Sport und Inklusion – es gibt noch viel Luft nach oben

Nirgendwo sonst erhalten Menschen mit Behinderungen eine solch hohe gesellschaftliche Beachtung wie im Sport. Trotzdem sei man noch weit davon entfernt, inklusiv zu sein, schreibt unser Kolumnist Islam Alijaj.

Paralympics
Im Sport sei Inklusion schon weiter fortgeschritten als in anderen gesellschaftlichen Bereichen, sagt Islam Alijaj. (Bild: International Paralympic Committee)

«Mensch Islam, du hast aber abgenommen. Wie machst du das eigentlich?», fragte mich kürzlich ein politischer Wegbegleiter. Politik sei ja nun nicht unbedingt als gutes Abnehmprogramm bekannt, aber ich würde ja geradezu die umgekehrte parlamentarische Metamorphose durchlaufen. 

Die Antwort war banal: Mit Sport. Ich hatte mich in einem Fitnessstudio angemeldet. «Ach so, du kannst auch Sport machen, so richtig?» Ja, kann ich. Klar: Für eine anständige «Boss-Transformation» reicht es mit Cerebralparese natürlich nicht. Und sind wir ehrlich: Im Rollstuhl käme ein Sixpack ohnehin nur in begrenztem Umfang zur Geltung. Aber Abnehmen, das geht.

Auch gleichstellungstechnisch finde ich mein Fitnessstudio nicht den schlechtesten Ort. Das mag in einem mutmasslichen Epizentrum des Testosteron-Überschusses überraschen, doch hier entwickelt sich Inklusion offenbar über den geteilten Wunsch nach Selbstoptimierung. Und so höre ich öfter: Cool, dass auch «einer wie du» was macht. 

Zeit für ein paar Gedanken zum Zusammenspiel von Sport und Inklusion. Denn der Sport im Allgemeinen ist in meinen Augen eines der am weitesten entwickelten Felder überhaupt. Kein anderer gesellschaftlicher Bereich hat diese integrative Kraft.

Angefangen bei vielen Stadien, die anders als beispielsweise die Tempel der SBB – ohne viel öffentlichen Druck – weitestgehend barrierefrei sind. Weiter sind da die vielen Vereine, die Menschen im Rollstuhl kostenlose Tickets zur Verfügung stellen. Ganz zu schweigen vom Engagement vieler Spitzensportler:innen, die inklusiven Projekten ein Gesicht geben.

Und schliesslich wäre da noch der Behindertensport selbst. Vor allem mit Blick auf die Grossereignisse Paralympics und Special Olympics muss man konstatieren: nirgendwo sonst haben Menschen mit Behinderungen medial eine vergleichbare Präsenz. Einerseits. 

Anderseits – ich weiss, es nervt, kein Text von mir ohne Haar in der Inklusions-Suppe – zementiert der Behindertensport die gesellschaftliche Separation besonders eindrücklich. Sportler:in ist Sportler:in. Aber Sportler:in mit Behinderungen ist in der Schweiz nicht einfach Sportler:in, sondern ein Mensch mit Behinderungen, der Sport treibt. Ach Islam, das stimmt doch nicht, du übertreibst, werden jetzt einige denken. 

Doch so ist es. Und zwar nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung, sondern auch institutionell: Paralympionik:innen werden in der Schweiz nicht durch die Sportförderung, sondern aus der Invalidenversicherung (IV) finanziert. Noch im Jahr 2016 flog nicht unser Sportminister zu den Paralympics, sondern Sozialminister Alain Berset. Ich finde: Der finanzielle Input der IV muss da enden, wo die Behinderungen von Sportler:innen egalisiert wurden. Alles andere ist ein Fall für die Sportförderung. Aber immerhin: bei den Paralympischen Spielen 2024 in Paris war Viola Amherd vor Ort.

Mein Traum wäre natürlich ohnehin eine Veranstaltung, bei der Olympionik:innen und Paralympionik:innen wo möglich auch gemeinsam antreten. Und wer mich jetzt fragen möchte, wie das denn alles gehen solle und wie man da noch faire Wettkämpfe organisieren könne und um Gotteswillen die Vergleichbarkeit und ob es denn nicht reicht, dass jetzt schon das Frauenboxen und und und, dem sage ich ganz offen:  

Keine Ahnung, ich träume. 

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