Seefelder:innen fürchten sich vor Totalsanierung: «Haben uns daran gewöhnt, mit Ohropax zu schlafen»

Viele Mieter:innen aus dem Seefeld haben uns von Heizungsproblemen in ihrer Liegenschaft berichtet. Weil sie sich jedoch vor einer Totalsanierung fürchten, halten sie sich mit dem Melden von Mängeln zurück. Aus Angst, sich eine neue Wohnung suchen zu müssen und künftig noch mehr Geld für die Miete auszugeben, ist man offenbar bereit, vieles zu erdulden.

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Impressionen aus dem Seefeld. Die hier abgebildeten Gebäude haben nichts mit den beschriebenen Geschichten zu tun. (Bild: Steffen Kolberg)
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«Es ist nicht so, dass wir eine top-sanierte Wohnung erwartet hätten», meint Anna, und fügt hinzu: «Wir dachten, wir wissen worauf wir uns da einlassen.» Als die junge Frau im Sommer 2020 zusammen mit Freund:innen eine WG gründet, ist sie froh über die etwas in die Jahre gekommene Wohnung in einem Gründerzeitbau. Über offensichtliche Mängel wie schlecht schliessende Türen und veraltete Installationen sehen sie damals hinweg, sagt sie: «Es hat ja auch seinen Charme, wenn nicht alles perfekt ist.» Anna heisst in Wirklichkeit anders und möchte die Namen aller Beteiligten lieber anonym halten. Denn sie hat Angst, dass ihr Vermieter, der in der Zürcher Kulturszene bekannt ist, sie wegen Rufschädigung belangen könnte.

Etwas über 3000 Franken zahlen sie für die 4-Zimmer-Wohnung. Sie wissen, dass andere Mieter:innen im Haus mehrere hundert Franken weniger zahlen, und das bei gleichem Grundriss. Das finden sie zwar ärgerlich, aber verkraftbar – der Mietvertrag wird von den Vormieter:innen übernommen, der Preisaufschlag geschieht also noch vor ihrer Zeit. Der Kontakt zu ihrer Verwaltung ist anfangs gut, kleinere Mängel werden behoben oder ihre Erledigung wenigstens versprochen. Doch die böse Überraschung kommt im ersten Winter: Die Heizung gibt laute, klopfende Geräusche von sich. Anna zeigt mehrere Videos, die sie mit ihrem Handy aufgenommen hat. Darauf hört man ein rhythmisches Schlagen, mal im Sekundentakt, mal als schnelles Rattern. «Davor hat uns beim Einzug niemand gewarnt», erzählt Anna: «Inzwischen wissen wir aber, dass deshalb schon Mietparteien aus dem Haus ausgezogen sind.»

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(Bild: Steffen Kolberg)

«Grauenhafte Lärmbelästigung»

Die WG meldet die Heizungsgeräusche der Verwaltung, zusätzlich zu einem neuen Problem, das im Badezimmer auftaucht: Schimmel. Als auf wiederholte Anfragen nichts passiert, wenden sie sich an den Mieter:innenverband, der ihnen daraufhin zu einer Mängelrüge rät: «Man sagte uns, das sei ein klarer Fall», so Anna: «Wir hätten ein Recht auf die Behebung der Mängel und auf ein einwandfreies Mietobjekt.» Doch als Anna und ihre Mitbewohner:innen der Verwaltung die Mängelrüge schicken, eskaliert die Lage: Der Vertreter der Verwaltung schaltet den Vermieter der Liegenschaft ein, welcher über diesen Schritt überrascht und sogar erbost zu sein scheint. Die Beiden erscheinen zum Besichtigungstermin und, so erzählt es Anna, belehren die jungen Leute darüber, dass sie grosses Glück hätten, überhaupt an dieser Lage wohnen zu dürfen.

Zum Bad hätten sie erklärt, dass man es eigentlich nur komplett sanieren könne. Das ginge dann jedoch mit einer Mieterhöhung von zirka 100 Franken pro Monat einher. Dabei hatten Anna und ihre Mitbewohner:innen eigentlich auf eine Mietzinsreduktion aufgrund der lärmigen Heizung gehofft. Die allerdings laufe völlig in Ordnung, habe der Vermieter behauptet: «Er meinte es sei normal, dass ältere Heizungen manchmal laut sind», erzählt Anna: «Aber ich glaube, ihm ist nicht bewusst, welches Ausmass das hat. Er bekommt das auch nicht mit, denn es passiert sporadisch, oft mitten in der Nacht.»

Dass die Heizung nicht nur für Anna und ihre Mitbewohner:innen ein Problem ist, bestätigt eine andere, anonyme Rückmeldung, die Tsüri.ch aus dem gleichen Haus vorliegt: «Grauenhafte Lärmbelästigung», heisst es darin auf die Frage nach dem Heizsystem. Sollte die Heizung wirklich so ein Problem darstellen, müsse man gleich das ganze Haus abreissen und durch einen Neubau ersetzen, soll der Vermieter Anna und ihrer WG erklärt haben. Für sie habe das wie eine Drohung geklungen, ihr Zuhause zu verlieren: «Wir wollen auf keinen Fall, dass das Haus totalsaniert oder sogar abgerissen wird, und wir dann wieder etwas Neues suchen müssen.»

Man hält den Rest aus

Anna ist nicht die einzige Mieterin, die uns in unserem Crowdnewsroom von Heizungsproblemen berichtet hat. Und sie ist auch nicht die einzige, die Angst vor einer Totalsanierung ihrer Liegenschaft hat. Ihr Fall macht aber deutlich, was vereinzelt passieren kann, wenn man bei Mängeln hartnäckig auf sein Recht besteht. Und er illustriert damit, was wohl einige Mieter:innen im Kreis 8 vor Augen haben, wenn sie bestehende Mängel in ihrer Wohnung aus Furcht vor einer drohenden Totalsanierung nicht melden. Aus Angst, sich eine neue Wohnung suchen zu müssen und künftig noch mehr Geld für ihre Miete auszugeben, sind manche Menschen im Seefeld bereit Einiges zu erdulden.

«Mit dem ohnehin begrenzten ‹Konfliktbudget› mit der Verwaltung müssen wir sparsam umgehen.»

Anonyme Mieterin im Seefeld

So zum Beispiel eine Mieterin, die bei einer privaten Immobilienfirma mietet. Sie schildert uns, dass sie nur das Allernötigste melde, zum Beispiel den Ausfall von Warmwasser oder Schimmel in der Wohnung. Zu anderen Mängeln wie schlecht isolierten Fenstern oder Defekten bei der alten Küchen- und Badausstattung äussere sie sich gegenüber der Verwaltung nicht. Man halte den Rest aus, schreibt sie, denn: «Wegen dem Zustand des Hauses erwarten wir jederzeit eine Totalsanierung.» Sie möchte unter keinen Umständen nähere Angaben zu ihrer Geschichte machen, erklärt sie: «Wir haben Angst, dass wir trotz allem wiedererkannt werden, dann eine Rachekündigung beziehungsweise ‹Sanierung› droht und wir auf dem Wohnungsmarkt schlechte Chancen haben. Mit dem ohnehin begrenzten ‹Konfliktbudget› mit der Verwaltung müssen wir sparsam umgehen und es dort nutzen, wo es uns einen Vorteil bringt – zum Beispiel beim Schimmel.» Ansonsten gelte es, die Füsse stillzuhalten und auf den Mieter:innenverband und dessen politisches Engagement zu setzen.

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(Bild: Steffen Kolberg)

Die Heizung heizt im Sommer

Ein anderer Mieter ist etwas auskunftsfreudiger, zumindest was seine Hausverwaltung angeht: Es handelt sich um die Swiss-Life-Tochter Livit. «Im ganzen Haus herrscht die Sorge vor einer Totalsanierung», erzählt er. Er selbst lebe schon über 20 Jahre dort und habe einen guten Draht zu seiner Nachbarschaft, in der es Menschen gebe, die seit ihrer Geburt vor 60 Jahren dort wohnten. Das rund 80-jährige Haus sei das letzte Mal Anfang der 90er-Jahre saniert worden und inzwischen in die Jahre gekommen, so der Mieter: «Der Unterhalt beschränkt sich auf das Nötigste.» Die Wärmeisolierung sei nicht gerade optimal, schildert er. Ausserdem lasse sich die Heizung nicht überall regulieren, so dass manchmal mitten im Hochsommer das WC geheizt werde. Die Hausverwaltung habe ihm jedoch mitgeteilt, dass sich daran nichts ändern liesse.

Weil sie Angst vor einer Totalsanierung hätten, seien auch er und andere ihm bekannte Mieter:innen sehr zurückhaltend mit dem Melden von Mängeln: «Einmal hat mein Kühlschrank nicht mehr funktioniert und ich habe tatsächlich ein paar Tage gezögert, bis ich die Verwaltung angerufen habe. Später habe ich erfahren, dass es einer Nachbarin ganz genauso ging.» Was zusätzlich zur Verunsicherung beitrage sei der Umstand, dass seines Wissens Neumieter:innen seit ein paar Jahren nur noch einjährige Mietverträge erhielten: «Die verlängern sich dann zwar jeweils automatisch. Aber wir wissen nicht, ob das ein Zeichen eines bevorstehenden Umbaus oder Abbruchs ist oder ob damit die Anfechtung des Anfangsmietzinses erschwert werden soll.» Auch das Ja zum Kantonalen Energiegesetz im letzten Jahr bestärkt ihn in der Annahme, dass der Trend zu Totalsanierungen und Leerkündigungen in Zukunft nur noch zunehmen werde.

Dieser Meinung ist auch ein weiterer Mieter, der bei einer grossen Versicherung mietet und noch eine Ölheizung im Keller hat. Er glaubt, dass diese bei einer anstehenden Heizungssanierung «die Gelegenheit ergreift, die Wohnungen einer Gesamtsanierung zu unterziehen und die Rendite zu steigern», wie er schreibt: «Auch wenn wir der Meinung sind, dass es gut ist bei Neubauten keine Öl-oder Gasheizungen mehr einzubauen, fürchten wir uns davor, dass die Ölheizung ersetzt wird. Denn was auch immer behauptet oder gefordert wird, eine Heizungssanierung heisst hier im Seefeld Totalsanierung und Leerkündigung.»

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(Bild: Steffen Kolberg)

Die Angst ist nachvollziehbar

Walter Angst vom Mieter:innenverband Zürich erklärt, dass man nicht davon ausgehe, dass die Zahl der Leerkündigungen und Totalsanierungen mit dem neuen Energiegesetz noch einmal steige: «Sie ist jetzt schon auf einem extrem hohen Niveau. Sie hat sich in den letzten zehn Jahren verdoppelt. Unsere politische Forderung war darauf ausgerichtet, diesen Trend mit flankierenden Massnahmen zu brechen und die Zahl der Leerkündigungen zu reduzieren.» Bis man sehe, was die bislang beschlossenen städtischen Massnahmen bringen, werde es allerdings noch eine Zeit dauern.

Für ihn ist es nachvollziehbar, dass Mieter:innen im derzeitigen Umfeld Angst vor Totalsanierungen haben, doch er gibt zu bedenken, dass die Entscheidung dafür in der Regel nicht von Mängelmeldungen abhänge: «Das ist immer eine Frage der Rendite. Ökologische Argumente stehen allenfalls bei kleinen Eigentümer:innen im Zentrum.» Es sei im Gegenteil wichtig, gut begründet auf seine Anliegen hinzuweisen: «Sobald die Vermieterin sich weigert, Mängeln nachzugehen und man daraufhin rechtlich nachhakt, kann eine dreijährige Sperrfrist ausgelöst werden. Dabei muss es noch nicht einmal zum Gang vor eine Schlichtungsbehörde kommen. Der gesetzlich verankerte Schutz vor Rachekündigungen funktioniert.»

Dass auch das Schlichtungsverfahren funktioniert, zeigt uns eine weitere Rückmeldung aus dem CrowdNewsroom. Nach dem Einbau eines neuen Heizsystems und anderen Arbeiten am Haus sei eine Mietzinserhöhung angekündigt worden, schreibt eine Person. Sie wehrte sich dagegen und bekam letztlich von der Schlichtungsbehörde recht: Die Erhöhung wurde abgewehrt.

«Es wurde wohl jahrzehntelang immer wieder über den alten Schimmel drüber gestrichen.»

Anna, Mieterin im Seefeld

Stillhalten und Resignation

In Annas WG dagegen wurde der Schimmel im Bad inzwischen von einem Sanitärfachmann abgespachtelt, mitsamt mehrerer Schichten Farbe. «Es wurde wohl jahrzehntelang immer wieder über den alten Schimmel drüber gestrichen», erzählt sie. Sie hat noch einmal mit dem Mieter:innenverband Kontakt aufgenommen. Dort spreche man weiter von einem eindeutigen Fall, so Anna: «Sie sagen, wir hätten ein Recht auf eine Mietreduktion und sollten uns aufgrund der unbeantworteten Mängelrüge an die Schlichtungsbehörde wenden.» Die WG aber ist sich unsicher, ob sie das wirklich tun soll. Sie haben Angst, dass der Fall bis vors Bezirksgericht weitergezogen wird. Und sie fürchten sich vor den möglichen Kosten und dem zusätzlichen Aufwand, den das bedeuten könnte.

«Vielleicht belassen wir es auch einfach dabei», meint Anna am Ende des Gesprächs resigniert. Ihre Mitbewohnerin ergänzt: «Wir haben uns schon daran gewöhnt, mit Ohropax zu schlafen. Und eine neue Wohnung suchen wollen wir auf keinen Fall.» Zum Thema Badsanierung und einer möglicherweise damit einhergehenden Mieterhöhung haben sie nichts mehr gehört, erzählen sie: «Es scheint gerade ein gegenseitiges Stillhalten zu sein.»

Redaktionelle Mitarbeit: Marc Engelhardt, CORRECTIV CrowdNewsroom

Dieses Projekt wird unterstützt von JournaFONDS – Bündnis für Recherche und Reportage und der Stiftung Mercator Schweiz. 

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