Seefeld: Sanierungsangst, Renditemaximierung und unberechtigte Mieterhöhungen

Die Ergebnisse unserer Recherche «Wem gehört das Seefeld?» zeigen, was manche Bewohner:innen im Kreis 8 durchmachen – und dass sie sich erfolgreich wehren könnten, wenn sie sich trauten.

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Zusammen mit dem CORRECTIV CrowdNewsroom und dem Quartierverein Riesbach haben wir die Bewohner:innen im Kreis 8 zu Jahresbeginn aufgerufen, sich an unserer Crowdrecherche «Wem gehört das Seefeld?» zu beteiligen. Unser Ziel war es, mehr Licht in den intransparenten Wohnungsmarkt zu bringen. Wir wollten herausfinden, wie es um die Eigentums- und Mietverhältnisse im Kreis 8 steht und wissen, wie Mieter:innen ihre Situation einschätzen, was sie umtreibt und wie sie ihr Quartier wahrnehmen. Jetzt liegen die ersten Ergebnisse vor. Sie zeigen, wie die berüchtigte «Seefeldisierung» abläuft und wer daran verdient – aber auch, dass das Seefeld und die anderen Quartiere im Kreis 8 noch private Vermieter:innen haben, die das Viertel lebenswerter machen als manche Zürcher:innen meinen.

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Das Seefeld von oben. (Foto: Elio Donauer)

Die Seefeld-Recherche

Viele Menschen haben uns im CrowdNewsroom nicht nur Auskunft über ihre eigene Liegenschaft gegeben, sondern auch gleich über ihre direkte Umgebung, über Eigentümer:innen und Mietpreise, vergangene oder anstehende Sanierungen und positive wie negative Erfahrungen, die sie oder ihre Nachbar:innen gemacht haben. Auch einige Eigentümer:innen haben mitgemacht und uns bereitwillig einen Nachweis ihrer Eigentümerschaft geliefert. Viele Teilnehmer:innen waren zudem bereit, mit uns in Kontakt zu treten, uns zu treffen und mit uns zu sprechen. An dieser Stelle allen Beteiligten ein herzliches Dankeschön!

Die so gewonnenen Erkenntnisse dienten uns als Basis weiterer Recherchen, um ein möglichst umfangreiches Bild von der Eigentümer:innenstruktur des Kreises zu erlangen. Das umfasste unter anderem das Durchforsten von Immobilienportfolios grosser Unternehmen sowie ungezählte Anrufe beim Grundbuchamt, das pro Gespräch nur eine begrenzte Zahl von Grundstücksauskünften gibt. Ausserdem konnten wir die Ergebnisse früherer Recherchen zum Grundbesitz heranziehen, wie der von Tsüri.ch zusammen mit dem Rechercheteam Reflekt durchgeführten Swiss Life Recherche.

Hohe Anfangsmietzinsen, die unangefochten bleiben

Häufiger Grund von Mieter:innenärger ist laut unserer Recherche ein stark erhöhter Anfangsmietzins bei der Neuvermietung. Manche Bewohner:innen berichten uns von Aufschlägen von 400 Franken und mehr, auch wenn nur die Wände gestrichen wurden. Argumentiert werde dann mit der sogenannten «Orts- und Quartierüblichkeit». Die meisten Mieter:innen berichten uns, dass sie sich nicht getraut hätten, ihren als zu hoch empfundenen Anfangsmietzins anzufechten. Sie fürchten Nachteile gegenüber der Verwaltung oder eine Niederlage, sollte es zu einem Prozess kommen. Dabei seien solche Anfechtungen, gerade wenn die Eigentümer:innen mit «Quartierüblichkeit» argumentierten, fast immer erfolgreich, sagt Walter Angst. Denn die Berechnung der Quartierüblichkeit sei sehr komplex, und die Vermieterseite im Zweifel in der Beweispflicht.

«Manche Vermieter:innen scheinen zeigen zu wollen, dass sie besonders toll sind, weil sie vermeintlich mögliche Mieterhöhungen nicht verlangen.»

Walter Angst, Mieter:innenverband Zürich

In mehreren Mietvertrags-Änderungsschreiben verschiedenster Verwaltungen, die uns vorliegen, werden «noch nicht realisierte Mietzinserhöhungsreserven aufgrund Orts- und Quartierüblichkeit» angegeben. Sie schwanken stark zwischen knapp 2 und knapp 4 Prozent und sind mit der Erläuterung ergänzt, dass eine Geltendmachung dieser Mietzinsreserven vorbehalten bleibe. So wird suggeriert, dass eine Mietzinserhöhung um die angegebenen Prozent zukünftig jederzeit möglich sei. Weil jedoch die Orts- und Quartierüblichkeit in Anfechtungsverfahren meist nicht rechtsgültig nachgewiesen werden könne, sei die Mietzinserhöhung im laufenden Mietverhältnis kaum je durchsetzbar, erklärt Walter Angst vom Mieter:innenverbad Zürich: «Die Ankündigungen haben in der Regel keinen Effekt. Manche Vermieter:innen scheinen damit zeigen zu wollen, dass sie besonders toll sind, weil sie vermeintlich mögliche Mieterhöhungen nicht verlangen.»

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Blick aus dem Maschinenraum. (Bild: Steffen Kolberg)

Viele langjährige Mieter:innen geben zudem an, dass es vor allem ihre Expat-Nachbar:innen seien, die weder den Anfangsmietzins anföchten noch die jeweilige Mietzinssenkung aufgrund eines sinkenden Referenzzinssatzes einforderten, da sie schlicht gar nichts von ihren diesbezüglichen Rechten wüssten. Zwar zeigt eine vom Mieter:innenverband in Auftrag gegebene Studie letzten Dezember, dass nicht eingeforderte Mietzinssenkungen weit mehr als ein blosses Expat-Phänomen sind: Über 40 Prozent der darin befragten Mieter:innen gaben an, die ihnen zustehende Mietzinssenkung zuletzt nicht eingefordert zu haben.

Da Expats aber meist nicht sehr lange in ihrer Wohnung bleiben, führen häufige Neuvermietungen in Kombination mit jeweils erhöhten Anfangsmieten und nicht eingeforderten Mietzinsreduktionen scheinbar zu einer Potenzierung des Problems. So entstehen laut Rückmeldungen von Mieter:innen teilweise gewaltige Mietzinsunterschiede von bis zu 1000 Franken für denselben Wohnungsgrundriss in ein und derselben Liegenschaft. Manche Bewohner:innen berichten auch davon, dass Neumieter:innen mehr für eine 2.5-Zimmer-Wohnung zahlten als ihre direkten Wohnungsnachbarn mit 4.5 Zimmern.

Diese «Expatisierung» und ihre Ausnutzung durch die Immobilienwirtschaft könnte einer der Gründe dafür sein, warum das Seefeld bei den Zürcher Angebotsmieten besonders stark hervorsticht. Das Vergleichsportal Comparis hat für uns die Medianmieten auf Immobilienportalen im Kreis 8 mit denen in der gesamten Stadt Zürich verglichen. Das Ergebnis: Für eine neu vermietete 2-Zimmer-Wohnung müssen Menschen im Kreis 8 rund 400 Franken mehr zahlen als in der Gesamtstadt. Bei einer 3.5-Zimmer-Wohnung sind es 700, bei einer 4.5-Zimmer-Wohnung sogar 1000 Franken. 2019 lag der Medianwert für eine angebotene 4.5-Zimmer-Wohnung bei stolzen 4155 Franken, hat seither aber wieder etwas abgenommen.

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Banken und Versicherungen tummeln sich an den Hauptstrassen

Geht es um die Eigtumsstrukturen, lassen sich im Bild, das die Ergebnisse des CrowdNewsrooms vom Seefeld zeichnen, erste Muster erkennen. So zeigt sich beispielsweise, dass Banken, Versicherungen und Pensionskassen besonders viel Grundeigentum an den grossen Hauptstrassen wie der Seefeldstrasse oder der Mühlebachstrasse besitzen, während in kleineren Seitenstrassen wie der Ceresstrasse, der Höschgasse oder der familiären Siedlung an Eigen- und Heimatstrasse private Eigentümer:innen dominieren, die ihre Häuser oft seit Generationen halten. Ein Grund dafür scheint die Baustruktur zu sein: In den erwähnten Seitenstrassen ist sie oft kleinteilig, häufig stehen Bauten oder ganze Ensembles auch noch unter Denkmalschutz. Das verteuert Objektentwicklungen, die oft mit dem kompletten Abriss und Neubau von Gebäuden einhergehen und häufig von institutionellen Besitzer:innen durchgeführt werden.

Anders sieht es an bestimmten Stellen der Seefeld- und Mühlebachstrasse aus: Hier besitzen die Institutionellen oft grosse Mehrfamilienhäuser aus der unmittelbaren Vor- und Nachkriegszeit, Totalsanierungen und Ersatzneubauten sind für die Entwicklungen der letzten Jahre prägend. Das spiegelt sich auch in den Rückmeldungen der dortigen Bewohner:innen: Angesichts der Bautätigkeiten um sie herum gehen die Mieter:innen unsanierter grosser Mehrfamilienhäuser hier vielfach davon aus, dass auch ihnen in naher Zukunft eine Totalsanierung und damit einhergehende Leerkündigungen drohen. Wir arbeiten aktuell an einer Online-Karte des Kreises, in der wir die Eigentumsmuster im Seefeld noch deutlicher dokumentieren können – dabei liegt unser Fokus auf institutionellen Besitzer:innen wie Banken, Versicherungen oder Pensionskassen. Daten zu einzelnen Privateigentümer:innen werden wir nicht veröffentlichen.

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Die Seefeldstrasse, Hauptachse des Seefelds. (Bild: Steffen Kolberg)

Sicher, aber etwas langweilig

Neben diesen strukturellen Fragen beschäftigen uns natürlich auch die inhaltlichen Rückmeldungen aus dem CrowdNewsroom. In ihnen bildet sich die ganze Ambivalenz des weitgehend gentrifizierten Stadtteils ab. So haben wir unter anderem gefragt, wie die Bewohner:innen ihr Quartier charakterisieren würden. Auf den ersten Blick ist ein überwältigender Anteil der Antworten darauf positiv: Viele schwärmen von der guten Lage nah am See, von der Lebensqualität und der Familienfreundlichkeit im Seefeld und im ganzen Kreis 8. Gleich mehrere Seefelder:innen schreiben von einem «Dorf inmitten der Stadt» sowie davon, wie grün und sicher es im Kreis ist und dass sie die dortige Ruhe so nah am Stadtzentrum schätzen.

Die Kehrseite davon ist, dass viele Bewohner:innen den Kreis 8 «etwas langweilig» finden. Manch eine:r schreibt sogar von einem «töteligen Charakter» und auch das Wort «posh» fällt mehrmals. Auch sehen viele Teilnehmer:innen die Entwicklungen der letzten Jahre mit Sorge. Das Seefeld verliere durch die Gentrifizierung an Charakter, heisst es. Fast nur Gutverdienende zögen zu, was die Tendenz zu Anonymität und autolastigem Verkehr verstärke.

«Viele Neubauten, die in Opfikon-Glattbrugg stehen könnten.»

Ein:e Bewohner:in des Kreis 8

Viele sehen die soziale Durchmischung durch diese Entwicklungen gefährdet. Es gebe zu wenige Wohnungen für Normalverdienende und Rentner:innen, «nutzlose Läden» und nur wenige «coole Restaurants, Geschäfte oder Galerien». Manche haben Probleme mit der wachsenden Zahl von Expats, die nie wirklich im Quartier ankämen, sowie mit Neubauten, «die in Opfikon-Glattbrugg stehen könnten.» Ein:e Seefelder:in schreibt gar von einem «Ausgehviertel von libertären und velohassenden Steuerflüchtlingen aus anderen Gemeinden», die «hier wohnen, leben, koksen, und nicht in Zürich angemeldet sind.»

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Seefeld oder Opfikon? (Bild: Steffen Kolberg)

Ledermann ist und bleibt Thema

Diese Ambivalenz dem Viertel und seiner Entwicklung gegenüber zeigt sich auch in der Haltung zu der Firma, die wie keine zweite für die Aufwertung des Quartiers steht: Die Ledermann Immobilien AG. Das vom lokalen Immobilienkönig Urs Ledermann gegründete Unternehmen gilt mit seinen Aufkäufen und Sanierungen von Altbauten sowie zwischenzeitlich auch mit der Errichtung von Ersatzneubauten als Inbegriff dieser «Seefeldisierung». Im CrowdNewsroom und in Gesprächen mit Bewohner:innen des Seefelds fällt immer wieder der Name Ledermann, wenn es um das Thema Luxussanierungen und Mietsteigerungen geht.

Aus noch unsanierten Liegenschaften, die erst in den letzten Jahren von der Ledermann Immobilien AG übernommen wurden, melden Mieter:innen zurück, dass sie Angst vor der zukünftigen Entwicklung haben. «Es ist eine nur Frage der Zeit, wann das Haus saniert und zu einem horrenden Preis wieder vermietet wird», heisst es da zum Beispiel. Auf der anderen Seite gibt es auch positive Rückmeldungen aus Häusern, die von Ledermann saniert und verwaltet werden. «Das Haus wurde komplett kernsaniert», gibt ein:e Mieter:in an, «der Charme wurde aber trotzdem beibehalten, was ich sehr schön finde.»

«Man versucht, die Kosten durch Masse niedrig zu halten.»

Walter Angst, Mieter:innenverband Zürich

Ähnlich ambivalent sieht es bei einer anderen Firma aus, die nicht nur im Seefeld, sondern in ganz Zürich bekannt und berüchtigt ist: Der Livit Immobilienverwaltung. Das hundertprozentige Tochterunternehmen der Swiss Life AG verwaltet nicht nur Liegenschaften des Mutterkonzerns, sondern auch solche anderer, vor allem institutioneller Vermieter:innen wie Lebensversicherungen, Banken und Pensionskassen. Darunter sind beispielsweise solche des Rückversicherers Swiss Re oder der Balintra AG, einem Immobilienunternehmen der Grossbank UBS.

Manche Mieter:innen ärgern sich bei der Livit über minimalste Instandhaltungen oder darüber, dass sie Referenzzinssenkungen nicht automatisch, sondern nur auf Anfrage weitergibt. Andere dagegen sind ziemlich zufrieden mit der Kommunikation und dem Service des Bewirtschafters. Oft scheint die Zufriedenheit eher von der individuellen Betreuer:in abzuhängen als vom Unternehmen selbst. Walter Angst vom Mieter:innenverband Zürich meint, man habe mit der Livit keine besonders schlechten Erfahrungen gemacht: «Sie hat sicher nicht das schlechteste Preis-/Leistungsverhältnis unter den Verwaltungen.» Durch die Finanzialisierung des Immobilienmarkts, also den Trend zur Immobilie als Investmentmöglichkeit, stünden die grossen Verwaltungen ganz generell unter einem erheblichen Preisdruck: «Man versucht, die Kosten durch Masse niedrig zu halten. Es ist ein knallhartes Business.»

In einer ersten Artikelreihe wollen wir uns in den nächsten Tagen verschiedenen weiteren Aspekten dieses vielfältigen Quartiers widmen. Wir berichten von Fällen, in denen Mieter:innen so grosse Angst vor einer Totalsanierung und damit dem Verlust ihrer Wohnung haben, dass sie vorhandene Mängel lieber gar nicht erst melden. Wir schauen uns zwei Architektenträume im Villenviertel an der Zollikerstrasse und die Geschichte hinter ihnen genauer an. Ausserdem widmen wir uns den positiven Rückmeldungen, die uns über den CrowdNewsroom erreicht haben und fragen die jeweiligen Hausbesitzer:innen, was sie besser machen als andere. Und weil auch uns der Ausbruch des Krieges mitten in der Auswertung unserer Recherche überrascht hat, fragen wir zunächst bei einem einem Immobilienberatungs-Unternehmen nach seinen Auswirkungen auf den Zürcher und damit auch den Seefelder Immobilienmarkt.

Redaktionelle Mitarbeit: Marc Engelhardt, CORRECTIV CrowdNewsroom

Dieses Projekt wird unterstützt von JournaFONDS – Bündnis für Recherche und Reportage und der Stiftung Mercator Schweiz. 

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