Schlachthof-Areal: Quartier darf mitreden – und will keine Wohnungen
Die Stadt wünscht sich viel für das Schlachthof-Areal: Lokales Gewerbe, eine Schule, Grünflächen, vielleicht auch Wohnraum. Die Bevölkerung äussert an der ersten Dialogveranstaltung aber eine viel grundsätzlichere Sorge: dass sich Altstetten zu sehr verändert.
«Händ sie en Meatball welle? Vegetarisch natürlich», fragt die Frau vom Catering. Dass an dem Abend, wo die Zukunft des Schlachthof-Areals besprochen wird, fleischlose Häppchen serviert werden, kann als unmissverständliches Zeichen gedeutet werden: Altstetten ist in Bewegung.
Das Gelände, auf dem heute der letzte städtische Schlachtbetrieb steht, soll ab 2030 umgebaut und die Bevölkerung beim Prozess mitgenommen werden. Aus diesem Grund hat die Stadt am Montagabend zur Dialogveranstaltung eingeladen.
Der Saal im Hotel Spirgarten ist voll. 220 Personen haben an den weiss gedeckten Tischen Platz genommen – trotz Montagabend und Tramchaos, wie die Moderatorin, die eigens für den Abend engagiert wurde, gleich mehrmals erwähnt. Die Stimmung ist wie am ersten Arbeitstag in der Mittagspause: zurückhaltend-neugierig.
Stadt will einen «Food-Corner»
Bei dem Bauprojekt steht viel auf dem Spiel. Das Stück Land zwischen Hohl- und Baslerstrasse, zwischen Aussersihl und Altstetten ist das grösste Transformations-Areal, das die Stadt Zürich noch hat. 52’000 Quadratmeter können hier im Einklang mit den Richtplanungen und denkmalschützerischen Anforderungen weiterentwickelt werden – ein ziemliches Unterfangen.
Die Wünsche des Stadtrats sind seit Längerem bekannt. Sie wollen – basierend auf den Nutzungsvorgaben aus der Richtplanung und der Nutzungsstrategie –auf dem Schlachthof-Areal einen urbanen Gewerbestandort mit Fokus auf «Food» errichten. Ebenso sollen öffentliche Freiräume sowie eine Schule Platz finden. Auch die Möglichkeit für Wohnbau soll geprüft werden.
Die Stadt will es allen recht machen und ist gleich mit drei Vertreter:innen aus dem Stadtrat anwesend. Finanzvorsteher Daniel Leupi (Grüne) betont gegenüber dem Publikum das Innovationspotenzial der heimischen Lebensmittelbranche. Simone Brander (SP) vom Tiefbauamt berichtet, dass aus dem kommunalen Richtplan zwei Fussballfelder Freiraum für das Areal vorgesehen sind.
Kein Josefareal 2.0
Der eigentliche Gastgeber des heutigen Abends aber ist André Odermatt (SP). Sein Hochbaudepartement ist massgeblich für die Planung des Areals zuständig. «Ziel des Abends ist es nicht, konkrete Ergebnisse zu erzielen, sondern dass wir einen Dialog zwischen Stadt, Gewerbe, Vereinen, Politik und der Quartierbevölkerung etablieren», sagt Odermatt.
Doch Odermatt weiss, dass auch solche Dialogveranstaltungen nicht immer davor schützen, dass ein Projekt durchkommt. Erst diesen Frühling hat ihm das Parlament seine Pläne für das Josefareal im Kreis 5 zurückgegeben, weil es zu wenig Wohnraum beinhalten würde. Dem Schlachthaus-Areal soll nicht dasselbe Schicksal widerfahren.
«Es ist schwierig zu sagen, was auf dem Areal entstehen soll, wenn man nicht weiss, wohin sich das Quartier entwickelt.»
Marco, Anwohner
Auf der anderen Seite des Saals sitzt Marco, schwarzer Pulli, Kurzhaarschnitt, geschätztes Alter: Ende 40. Seit 20 Jahren wohnt er in Altstetten. Auf die Frage, was er sich vom neuen Schlachthof-Areal wünscht, antwortet Marco: «Es ist schwierig zu sagen, was auf dem Areal entstehen soll, wenn man nicht weiss, wohin sich das Quartier entwickelt.»
Altstetten im Wandel
Das ehemalige Arbeiter:innenquartier hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Altstetten, erst 1934 eingemeindet, ist heute das bevölkerungsreichste Quartier Zürichs. Wie die Statistik der Stadt Zürich zeigt, stiegen die inserierten Mieten in den letzten zehn Jahren um 30 Prozent, und nirgends wurden 2023 mehr Bauprojekte bewilligt. Marco ist selbst von diesen Veränderungen betroffen. Die Überbauung, in der er wohnt, wird abgerissen und er sucht eine neue Wohnung.
Auch die Diskussion im Saal spiegelt wider, wie sehr der Wandel die Stadtbevölkerung bewegt. Die Wünsche, die an den verschiedenen Tischen formuliert werden, sind eindeutig: Mehr Freiräume und Begegnungsorte ohne Konsumzwang, ein belebtes Quartier mit bezahlbaren gewerblichen Angeboten.
Ein älterer Mann meldet sich: Das Quartier brauche keine hochpreisigen Gastronomiekonzepte, sondern etwas, das «Altstetten gerecht wird».
«Wir hören immer wieder ‹Food, Food›. Was heisst das genau?»
Gabriela, Anwohnerin
Auffallend ist, dass von den Besucher:innen der Wunsch nach Wohnraum auf dem Areal kaum geäußert wird, trotz der intensiven Debatte in der Stadt.
Hört man Gabriela zu, könnte das daran liegen, dass in den letzten Jahren in Altstetten zwar viel gebaut wurde, die Bevölkerung dabei aber vergessen ging.
Begegnungsorte schaffen
Gabriela, die seit fast zwei Jahrzehnten mit ihrem Mann zwischen Schlachthof und Letzipark wohnt, erlebte, wie die Baugespanne an Nachbarhäusern hochgezogen und das Quartier zunehmend verbaut wurde – auf Kosten der Bevölkerung, wie sie sagt. «Wir leben in einer toten Ecke der Stadt», sagt sie. Sie sieht die Wünsche der Stadt mit Skepsis: «Wir hören immer wieder ‹Food, Food› . Was heisst das genau? Und wem bringt das etwas?» Der heutige Abend zeige deutlich, was das Quartier wirklich will: einen Ort, der die Menschen zusammenbringt.
Dennoch schätzt sie, dass die Bevölkerung diesmal einbezogen wird: «Endlich dürfen wir mitreden.» Bei privaten Bauprojekten habe sie als Anwohnerin keine Stimme, das sei hier anders.
Erste Pläne im Sommer 2025
Es sei wichtig, diese Anliegen noch einmal aufzunehmen, resümiert Stadtrat André Odermatt. Bevor man in die Testphase starte, in der die Ideen auf ihre Umsetzbarkeit hin geprüft würden.
Die Pläne des Stadtrats zeigten in einigen Punkten eine Überschneidung mit den Wünschen der Anwesenden, meint Odermatt. Vor allem das Anliegen, das bisher geschlossene Areal öffentlich zugänglich zu machen: «Durch den Fokus auf Food-Produktionen und Freiräume, bieten wir die nötigen Anreize, damit Menschen das Gebiet nutzen.»
Ein erster Einblick, wie das Schlachthof-Areal einmal ausschauen könnte, wird Ende August 2025 möglich sein. Ob die Pläne den Erwartungen des Quartiers entsprechen, das wird sich dann zeigen, die Häppchen an diesem Abend – obwohl fleischlos – fanden auf jeden Fall Anklang. Nach drei Stunden Diskussion umschwärmen die Menschen schliesslich die Apéro-Platten.
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