Zukunft des Josef-Areals – Kritiker:innen schiessen gegen Pläne der Stadt
Die Stadt Zürich will auf dem Josef-Areal im Kreis 5 bis ins Jahr 2032 ein Hallenbad und Alterswohnungen bauen. Gegen diese Pläne regt sich Widerstand: Eine Interessengemeinschaft aus Architekt:innen und Stadtplaner:innen fordert 500 gemeinnützige Wohnungen. Doch diese Forderung komme zu spät, sagt die Stadt.
Martin Hofer gehört nicht zu jenen, die in der zwischengenutzten Zentralwäscherei ein und aus gehen. Trotzdem liegt ihm etwas an dem vollgesprayten Betonklotz im Zürcher Kreis 5 – er will das Gebäude erhalten und daraus neuen Wohnraum schaffen. Hofer ist Teil der Interessengemeinschaft Zentrum Hardbrücke (IGZH), die sich seit einigen Jahren aus Expert:innen verschiedenster stadtplanerischen Sparten gebildet hat. Ihr neuester Coup: Auf dem Josef-Areal sollen bis zu 500 gemeinnützige Wohnungen entstehen. Doch der Zug dafür ist laut der Stadt bereits abgefahren.
Sein knallorangenes Hemd bildet einen starken Kontrast zum stahlblauen Himmel, der sich an diesem Nachmittag Ende September über Zürich eröffnet. Während Hofer erzählt, gehen seine Worte immer wieder im Lärm vorbeirauschender Lastwagen unter. Vierspurig bahnt sich die Strasse ihren Weg um den Bürokoloss der Zürcher Kantonalbank.
«Der Wohnanteil in Zürich West liegt aktuell bei 12 Prozent. Für ein lebendiges Quartier bräuchte es mindestens 30», sagt Hofer und richtet seinen Blick zur Baustelle neben der stillgelegten Kehrichtverbrennungsanlage. Das würde nicht nur die Zürcher Wohnungsnot entschärfen, sondern den Westen der Stadt attraktiver machen, so der Architekt.
Planschen statt wohnen
Hier, zwischen Viadukt und Hardbrücke, liegt eine der letzten ungenutzten Flächen im Besitz der Stadt Zürich: das Josef-Areal. Früher wurde auf den 20’000 Quadratmetern Wäsche aus den Zürcher Spitälern gewaschen, Abfall gesammelt und verbrannt. Bis 2032 sollen auf dem ehemaligen Industrieareal Alterswohnungen, ein Hallenbad und ein Quartierpark entstehen. Zudem plant die Stadt den Ausbau des Werkhofs, der nach wie vor in Betrieb ist. Grund für diese Entscheidung ist laut dem Medienverantwortlichen Daniel Bekcic die Bauzonenordnung (BZO), denn das Areal liegt in der Zone für öffentliche Bauten und Anlagen. Demnach seien Alterswohnungen zulässig, nicht aber andere Wohnnutzungen.
Dass man statt auf Wohnraum für alle auf Altersresidenzen, ein Hallenbad und einen Quartierpark setzt, kann Hofer nicht verstehen: «Die Stadt verpasst gerade die Chance, einen wichtigen Teil zur Entwicklung hin zu einem lebenswerten Zürich West beizutragen.» Dabei wäre es seiner Meinung nach ein Leichtes gewesen, die BZO via Stadtzürcher Parlament anzupassen, um den dringend gebrauchten Wohnraum zu schaffen. Das werde ständig gemacht, sagt Hofer.
Warum also hat die Stadt diese Option nicht in Erwägung gezogen?
Das habe vor allem mit fehlenden Ersatzflächen zu tun, so Bekcic. Einer Umzonierung würde ohne ebendiese Flächen kaum stattgegeben. Hinzu komme, dass das Gebiet aufgrund der stark befahrenen Hardbrücke stark lärmbelastet sei, weshalb auch nach einer BZO-Änderung nicht beliebig «hoch gestapelt» werden könne.
Der Neugasse-Eklat
Über eine solche Antwort zeigt sich Hofer irritiert. Zumal BZO-Änderungen bei vergleichbaren Arealen durchaus ins Auge gefasst wurden. So zum Beispiel beim ähnlich grossen Gebiet «Neugasse», unweit des Josef-Areals, das von den SBB aktuell als Reparaturzentrum genutzt wird. Einst sollte auf den 30’000 Quadratmetern ein Quartier mit 375 Wohnungen geschaffen werden – ein Drittel davon gemeinnützig.
«Dichter zu bauen, heisst in dem Fall auch, urbaner, zeitgenössischer und klimaverträglich zu bauen.»
Martin Hofer über die Zukunft des Josef-Areals
Doch trotz fünfjähriger Vorlaufzeit wurde daraus nichts: Im Frühling 2023 kam das Projekt zum Erliegen, da die SBB weder, wie von der Stadtzürcher Stimmbevölkerung gefordert, auf dem Areal hundert Prozent gemeinnützigen Wohnbau realisieren noch an die Stadt verkaufen wollte. Angesichts der Tatsache, dass nun auf dem Neugasse-Areal in absehbarer Zeit gar kein Wohnraum entstehen wird, schüttelt Hofer einigermassen resigniert den Kopf. Aber: Immerhin habe die Stadt dort mehr Willen gezeigt, denn auch auf dem SBB-Standort wäre eine Anpassung der Bauzone nötig gewesen, wenn die Planung es in die nächste Phase geschafft hätte. «Beim Neugasse-Areal schien ausser Frage, dass man die BZO entsprechend hätte anpassen müssen», kritisiert Hofer.
Gerade weil das Projekt auf dem Neugasse-Areal nicht realisiert werden kann, sieht er dringenden Handlungsbedarf, was die Zukunft des Josef-Areals betrifft. Geht es nach ihm und den Mitgliedern der Interessengemeinschaft, sollen bis zu 1000 Personen oder 500 Wohnungen auf dem Gebiet Platz finden. Wie genau das aussehen könnte, zeigt das aktuelle Sonderheft des Architekturmagazins Hochparterre.
Dicht, dichter, Josef-Areal
Hofer zeichnet die Gebäude mit den Händen in der Luft nach. Etwas höher und etwas dichter würden sie wohl werden, sagt er. Konkret ist in den Plänen der IGZH von einer Ausnutzung bis zu 400 Prozent die Rede – fast doppelt so viel, wie die Stadt für das Gebiet vorsieht. Doch dadurch könnten neben dem geplanten Hallenbad und den Alterswohnungen auch noch «gewöhnliche» Wohnungen gebaut werden. Einzig der geplante Quartierpark neben der KVA taucht in den Darstellungen nirgends auf. Dieser sei aber auch nicht zwingend nötig; man habe ja bereits die Josefwiese auf der anderen Seite des Viadukts, so Hofer.
Auf die Frage, ob es durch die verschiedenen Nutzungen nicht zu dicht werden könnte, antwortet Hofer: «Dichter zu bauen, heisst in dem Fall auch, urbaner, zeitgenössischer und klimaverträglich zu bauen.» Ausserdem handele es sich nicht um mehr Ausnutzung als vor der Umgestaltung. Gemäss Berechnungen der IGZH weist auch der dichteste Vorschlag weniger Baumasse auf als die Bauten der Kehrichtverbrennungsanlage, die bis vor zwei Jahren noch in Betrieb waren. Mit dem Unterschied, dass darin keine Menschen wohnten.
Vom Industriegebiet zum Wohnquartier
Wohnungen statt Büros, Einkaufsmeilen statt Verkehrsachsen: Dass im ehemaligen Industriequartier irgendwann mehr Menschen wohnen können statt nur 12 Prozent, ist das übergeordnete Ziel der IG Zentrum Hardbrücke. Gleichzeitig sei es ihnen ein Anliegen, dass der Charme des industriell geprägten Stadtteils wenn möglich erhalten bleibt, erklärt Hofer. Deshalb sieht das Konzept für das Josef-Areal auch eine Sanierung statt einen Abriss für den Betonklotz der ehemaligen Zentralwäscherei vor. «Es ist ein schlechter Scherz, dass die Stadt zuerst fast 20 Millionen Franken in die Umnutzung des Gebäudes investiert und es wenige Jahre später abreissen lässt.» Das sei weder finanziell sinnvoll noch klimaverträglich.
Dabei hätte das Quartier grosses Potenzial, ist sich Hofer sicher. Der Architekt und Ethiker setzt sich schon seit vielen Jahren dafür ein. Zusammen mit Martin Seiz, dem Gründer der Hamasil-Stiftung, die sich für Umweltschutz, kulturelle und soziale Projekte einsetzt. Seiz ist Initiator des Kulturparks an der Pfingstweidstrasse und besitzt selbst Immobilien in unmittelbarer Nähe zur Hardbrücke. Der fast 90-Jährige hat das Hochparterre-Themenheft zur Zukunft des Josef-Areals mitfinanziert.
Dass sich Menschen wie Seiz und Hofer gegen Baupläne wehren, die nicht ihrer Vorstellung entsprechen, passt nicht allen. Erst vor wenigen Wochen reagierte das Logistikunternehmen Welti-Furrer mit einem riesigen Plakat am Parkhaus Pfingstweid auf die Einsprachen, welche die Stiftung gegen zwei Neubauten eingereicht hat. «Hamasil verhindert hier Wohnungen für 1000 Franken», so der Vorwurf. Ein Haltloser, sagt Hofer: «Zum einen zeigen die Baupläne, dass hauptsächlich Büros entstehen sollen, zum anderen werden nicht Familienwohnungen, sondern Business-Apartments gebaut – die dann für 1000 Franken vermietet werden.» Solche Gebäude würden «rein gar nichts» zur Lebensqualität im Zürcher Westen beitragen.
Stadt plant seit 2011
Während Welti-Furrer sich nicht auf einen Dialog einlassen wollen, hofft Hofer beim Josef-Areal auf die Einsicht der Stadt. Und darauf, dass sie sich doch noch für mehr «gewöhnlichen» Wohnraum ausspricht. Doch ob die Stadt diesem Wunsch folgt, ist zu bezweifeln: Man habe schon vor Jahren damit begonnen, die Quartierbevölkerung und verschiedene Anspruchgruppen bei der Entwicklung des Gebiets einzubeziehen, so Daniel Bekcic von der Stadt. So, wie das der Gemeinderat mit einem entsprechenden Vorstoss bereits 2011 forderte. In drei öffentlichen Dialogveranstaltungen mit bis 200 Besucher:innen seien das Quartier und die Öffentlichkeit 2020, 2021 und 2022 über den Fortschritt der Testplanung und des Entwicklungskonzepts informiert worden. «Die Pläne sind inzwischen weit gediehen», schreibt Bekcic. Die IGZH habe sich weder in diesen Prozess eingebracht, noch sei sie mit ihren Ideen anderweitig an die Stadt gelangt.
Eine nächste Veranstaltung zur Zukunf des Josef-Areals ist laut Bekcic am 23. Oktober geplant, an der auch vier Stadträt:innen teilnehmen werden. Dann werde die Machbarkeitsstudie und der Ausblick auf die Wettbewerbe der breiten Öffentlichkeit präsentiert.