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Gemeinderats-Briefing #46: Die Geldflut

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: Stadt verrechnet sich schon wieder, die AOZ auf dem Weg der Besserung, Einigkeit beim Alter.

Illustration: Zana Selimi

Bei Tsüri.ch bin ich nicht nur für den Gemeinderat, sondern auch für die Administration verantwortlich. Und um etwas besser zu verstehen, was ich dort eigentlich mache, habe ich kürzlich einen Buchhaltungskurs besucht. Nun kenne ich die Grundbegriffe von Budgets und Erfolgsrechnungen und weiss, was Aktiven und Passiven, was Eigen- und was Fremdkapital sind.

Welche Posten wohin gehören und was sie genau beinhalten, das wussten gestern auch mehrere Gemeinderäte (gendern ist in diesem Fall nicht nötig), als es um die städtische Rechnung 2022 ging. Sven Sobernheim (GLP) befand, 2 Milliarden Franken zweckfreies Eigenkapital sei ein sinnbefreites Horten von Geld, die Stadt könne sich nun endlich eine Senkung der Gemeindesteuern um 3 Prozentpunkte genehmigen. Florian Blättler (SP) erklärte Sobernheim darauf, das zweckfreie Eigenkapital sei nicht gehortetes, sondern investiertes Geld, das zum Beispiel in Schulhäusern stecke, was wiederum Sobernheim in einer weiteren Reaktion verneinte. Zuletzt hielt Flurin Capaul (FDP) Blättler vor, er habe schlicht Aktiven und Passiven verwechselt.

Was nun in diesem Fall stimmt, kann ich mit meinem Kurswissen auf die Schnelle leider nicht sagen. Dafür weiss ich, wie die städtische Rechnung 2022 ausfiel: Nämlich wie in jedem Jahr mit einem satten Plus gegenüber dem Budget. Statt mit dem budgetierten Minus von 300 Millionen Franken schliesst die Stadt das letzte Jahr also mit einem Überschuss von 300 Millionen Franken ab. Während der Aufwand mit 9,964 Milliarden Franken um knapp 300 Millionen höher lag als budgetiert, lag der Ertrag mit 10,261 Milliarden Franken fast 900 Millionen höher als erwartet.

Laut dem Präsidenten der Rechnungsprüfungskommission Florian Utz (SP) hat zum hohen Ertrag insbesondere das Steueraufkommen natürlicher Personen sowie die Grundstücksgewinnsteuer beigetragen. Durchschnittlich über 840 Stellen seien bei der Stadt im letzten Jahr unbesetzt geblieben, was die Ausgaben gedrückt habe. Bei den Steuereinnahmen von juristischen Personen, also primär von Unternehmen, sei die Abhängigkeit vom Bankensektor nach wie vor sehr gross: Mehr als die Hälfte der über 900 Millionen Franken Steuern in dieser Kategorie stamme von ihm. Die Übernahme der CS durch die UBS sei daher ein Risiko für den städtischen Haushalt, das sich für das laufende Jahr noch gar nicht richtig abschätzen lasse.

Wie in jedem Jahr weigerte sich nur die SVP, die Rechnung anzunehmen. Johann Widmer zählte auf, warum: «Schulpaläste», «unnötige Klimamassnahmen», «Velowahn». Die unbesetzten Stellen zeigten zudem, dass die städtische Verwaltung auch schlanker auskomme und eine Verwaltungsreform mit Stellenabbau vertragen könne. Vertreter:innen von SVP, FDP, GLP und der Mitte sprachen sich, auch hier wie jedes Jahr, für eine Senkung der Steuern im nächsten Jahr aus. Përparim Avdili (FDP) mutmasste, dieses Mal könne das «Wunder» geschehen, schliesslich werde Finanzvorstand Daniel Leupi (Grüne) bei der Präsentation der Zahlen im September mitten im Wahlkampf um den Ständerat stecken und bei der Bevölkerung punkten wollen.

Gemeinderät:innen der linken Ratsseite sprachen sich – auch dies wenig überraschend – gegen Steuersenkungen aus. Felix Moser (Grüne) meinte zwar, die Frage, was mit den Überschüssen zu machen sei, sei nicht so leicht zu beantworten. Er schob allerdings nach, dass in den nächsten Jahren noch hohe Investitionen anstünden, für die Geld gebraucht werde. Tanja Maag (AL) erkannte in den hohen Einnahmen unter anderem aus der Grundstücksgewinnsteuer ein «Zeichen für die laufende Veränderung der Bevölkerungsstruktur in der Stadt». Man müsse unter anderem Massnahmen ergreifen, um der Abwanderung aus den Care-Berufen zu begegnen. Ihre Fraktion enthielt sich zur städtischen Rechnung, weil man wichtige sozialpolitische Schwerpunkte nicht umgesetzt sehe.

Die AOZ auf dem Weg der Besserung?

Am gleichen Tag wie die städtische Jahresrechnung wird in der Regel auch der Geschäftsbericht der Asylorganisation Zürich (AOZ) diskutiert. Im letzten Jahr wurde daraus eine kontroverse Debatte: Zuvor waren Missstände im Asylzentrum für unbegleitete Minderjährige (MNA) bekannt geworden, das durch die AOZ bewirtschaftet wurde. Der Jahresbericht, der sich damit jedoch nicht befasst hatte, wurde damals von Sanija Ameti (GLP) als «Image-Broschüre» betitelt.

In diesem Jahr fand Ameti lobende Worte für den Bericht: Es sei erfreulich, dass die Kritik an der AOZ darin Beachtung finde. Das Jahr sei zunächst wegen der Geflüchteten aus der Ukraine, später dann wegen einer starken Zunahme von MNAs sehr herausfordernd gewesen, neu geschaffene Stellen bei der AOZ hätten leider nicht alle besetzt werden können.

«Es war wohl eines der schwierigsten Jahre für die AOZ.»

Sozialvorsteher Raphael Golta, SP, zum Jahresbericht der Asylorganisation Zürich

Stadtrat Raphael Golta (SP) betonte, alle Akteuere seien im letzten Jahr extrem gefordert gewesen, es sei wohl eines der schwierigsten Jahre für die AOZ gewesen. Zudem hätten Kanton und Bund, die Leistungen bei der AOZ bestellten, einen erheblichen Einfluss darauf, wie die Arbeiten dort ausgeführt würden. Der Einfluss der Stadt dagegen sei begrenzt. Den niedrigen Diskussionsbedarf zum Thema interpretierte Golta so, dass die grosse AOZ-Diskussion wohl in der nächsten Woche folgen werde, wenn es um die zukünftige Ausrichtung der Organisation gehe. Einzig die SVP lehnte den Bericht ab, laut Johann Widmer seien die Asylleistungen in der Stadt Zürich sowieso zu teuer.

Einigkeit beim Alter

«Künftig soll es für die Finanzierung entsprechender Unterstützungsleistungen keinen Unterschied machen, ob eine Person in einer Institution lebt oder zu Hause wohnt», heisst es in einer Motion aus dem Jahr 2020 der beiden SP-Politikerinnen Marion Schmid und Sofia Karakostas. Mit der Finanzierung von Unterstützungsleistungen sind kommunale Betreuungs- oder Hilfszuschüsse gemeint, die älteren Menschen ein möglichst langes Leben ausserhalb von Betreuungsinstitutionen wie Heimen ermöglichen sollen. Für zuhause wohnende Personen mit Zusatzleistungen zur AHV bestünden Finanzierungslücken gegenüber Personen, die in Heimen lebten, heisst es in der entsprechenden Weisung des Stadtrats, die die Motion nun umsetzt. Das sei nicht nur schlecht im Sinne des selbstbestimmten Lebens im Alter, sondern auch unnötig teuer, schliesslich koste ein Heimplatz deutlich mehr als ein Mensch, der zuhause Betreuungsleistungen bezieht.

Zwar habe der Bund sich darauf verständigt, den Missstand zu beheben, so Ruedi Schneider (SP), der die Weisung vorstellte. Doch da dort seit Jahren nichts vorangehe, komme man dem Bund nun mit einem Pilotprojekt zuvor, wie es auch schon erfolgreich in der Stadt Bern durchgeführt worden sei. «Es ist nötig, dass wir hier in Zürich jetzt Nägel mit Köpfen machen, im vollen Bewusstsein, dass das noch nicht der Weisheit letzter Schluss ist», meinte auch Stadtrat Raphael Golta. «Wir werden nach dem befristeten Pilot eine Evaluation machen und hoffen, dass in der Zeit auch etwas Bewegung in die Sache bei Bund und Kanton kommt.»

Für Diskussionen sorgte unter anderem die Limite des Zuschusses von 800 Franken im Monat, die für Josef Widler (Die Mitte) zu hoch war. Sein Änderungsantrag wurde jedoch abgelehnt. Der gesamte Rat stimmte der städtischen Vorlage zu, genauso wie einem Begleitpostulat von Patrik Brunner (FDP) und Florine Angele (GLP). Sie hätten statt der von der Stadt präferierten Fachstelle «Zürich im Alter» lieber nicht-städtische Organisationen wie Pro Senectute oder die Spitex für die Bedarfsabklärung gesehen und forderten dementsprechend auch eine Evaluation von deren Eignung.

Weitere Themen der Woche

  1. In drei gemeinsam behandelten Postulaten beschäftigten sich Samuel Balsiger und Derek Richter (beide SVP) gestern mit Strassenblockaden und der Störung des Verkehrs. Sie forderten unter anderem die Auflösung der Strassenblockaden von Klimaaktivist:innen durch die Polizei, die Verrechnung der Kosten von Strassenblockaden sowie eine konsequente Ahnung der Störung des öffentlichen Verkehrs. Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart wies darauf hin, dass Strassenblockaden bereits aufgelöst und Störungen des Verkehrs bereits geahndet würden. Dass eine Verrechnung nicht möglich sei, sei bereits in einer Antwort auf eine Schriftliche Anfrage der SVP dargelegt worden. Als letzte Geschäfte des Abends sorgten die Postulate und die zahlreichen Wortmeldungen für ein Überziehen der Sitzung, viele Ratsmitglieder verliessen direkt zu Beginn der Debatte den Ratssaal, um an der frischen Luft zu plaudern. FDP und Mitte unterstützten die Forderung nach einer Verrechnung der Kosten, die FDP eine konsequente Ahndung der Verkehrsstörung. Einzig bei der Auflösung von Blockaden durch die Polizei stand die SVP alleine da. Überwiesen wurde keines der Geschäfte.

  1. Ebenfalls mit dem Verkehr beschäftigte sich eine Weisung, die auf eine Motion der GLP-Fraktion zurückging. Mit ihr soll eine digitale Transformation der Verkehrslenkung und eine intelligente Verkehrsvernetzung umgesetzt werden. Die Vision sei Software statt Hardware, so Patrick Hässig (GLP). Ausser der SVP nahmen alle Fraktionen die Weisung an.

  1. Weiter auf eine Umsetzung warten muss eine 2020 eingereichte und 2021 überwiesene Motion von Luca Maggi (Grüne) und Christina Schiller (AL), die einen Ersatz der Bewilligungspflicht bei Demonstrationen durch ein Meldeverfahren fordert. Sicherheitsvorsteherin Rykart bat um eine Fristerstreckung für die erforderliche Teilrevision der Polizeiverordnung von 12 Monaten, der Gemeinderat gewährte ihr drei. Damit müsste die Weisung bis zum Dezember 2023 vorliegen. Für Irritationen sorgte die Begründung, weshalb die Frist verlängert werden solle: Es stünden derzeit noch mehrere Geschäfte zu Teilrevisionen der Polizeiverordnung an. Darunter zwar keine zum Thema Kundgebungen, dafür aber unter anderem zu Laubbläsern.

  1. Tanja Maag verlas zu Beginn der Sitzung eine Fraktionserklärung ihrer AL. Darin wird ein Polizeieinsatz am feministischen Streiktag kritisiert, bei dem ein Polizist offensichtlich eine Demonstrantin zu Boden reisst. Es handle sich um ein trauriges exemplarisches Beispiel von Polizeigewalt in der Stadt, heisst es weiter. Schockiert hätten auch die Reaktionen von Vertreter:innen der Stadtpolizei auf sozialen Medien, nachdem der Vorfall bekannt wurde. «Wir fordern einerseits eine unabhängige Strafuntersuchung gegen die beteiligten Polizist:innen, andererseits muss die Führung der Stadtpolizei zur Rechenschaft gezogen werden», so die Erklärung. Die Fraktionen von AL, SP und Grünen reichten zudem eine dringliche Schriftliche Anfrage ein, die nach Einschätzungen zur Verhältnismässigkeit des Einsatzes fragt.

  1. Die AL-Fraktionserklärung provozierte einige Reaktionen im Saal: Yasmine Bourgeois meinte, das Thema sei ermüdend und die Verfasser:innen sollten dem städtischen Personal mehr Respekt entgegenbringen. Stephan Iten (SVP) sprach von einer «sehr einseitig verfassten Erklärung» und meinte, Gewalt gehe immer zuerst von Demonstrierenden aus. Sein Fraktionskollege Samuel Balsiger forderte Sicherheitsvorsteherin Karin Rykart auf, zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen. Diese jedoch schwieg, wie schon so oft.

  1. Luca Maggi nutzte eine Persönliche Erklärung, um auf die neuesten Erkenntnisse zur MNA-Unterbringung in Zürich einzugehen. In der provisorischen Unterkunft in der ehemaligen Polizeikaserne stünden gerade einmal 2,6 Quadratmeter pro Jugendliche:r zur Verfügung, referierte er. Anstatt dass sich die Situation nach dem Skandal um das MNA-Zentrum Lilienberg im letzten Jahr verbessert habe, habe sie sich sogar noch verschlimmert.

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