Reise in die Vergangenheit: Start-up eröffnet temporären Ticketschalter in Wipkingen
Ein Zürcher Jungunternehmen bringt den analogen Bahnschalter zurück – mitten im digitalen Zeitalter. Was steckt hinter dem Pop-up, das eigentlich ausschliesslich auf Online setzen will?
Ende April öffnet im alten Wartesaal des Bahnhofs Wipkingen ein Bahnschalter. Für zwei Monate wird dort wieder persönlich beraten, gedruckt, geplant, gebucht. Der Schalter stammt nicht von der SBB, sondern vom Zürcher Start-up «SimpleTrain». Die Firma verkauft europaweite Bahnreisen – von Portugal bis zum nördlichen Polarkreis – normalerweise übers Internet.
Nun wagt sie den Schritt zurück in die Vergangenheit: analoge Beratung, mitten in Zürich, bis Ende Juni.
Von der Schüler:innenhilfe zum Buchungsportal
Hinter «SimpleTrain» steht ein neunköpfiges Team, das das Buchen von Zugreisen einfach machen will. Auch dort, wo Bahnportale scheitern. Etwa bei komplizierten Umsteigeverbindungen oder mit Spezialwünschen wie Gruppenreisen oder Fahrradtransport.
Die Idee dazu sei während der Gymizeit der Jungunternehmer:innen entstanden. «Mein Kollege Marius Portmann ist oft mit Zug verreist und hat gemerkt, wie schwierig es ist, Zugreisen über Landesgrenzen hinweg zu buchen», erzählt Saskia Bilang, Mitinhaberin und Co-Geschäftsleiterin. Portmann habe für Freund:innen Bahnverbindungen zusammengestellt. Eine Marktlücke, wie er bemerkt habe.
Schon bald wurde aus der Idee ein Unternehmen: 2020 gründete Portmann zusammen mit seinen Mitschüler:innen Austin Widmer und Linus Egli «SimpleTrain». Mittlerweile führen Portmann, Widmer und Bilang das Start-up, unterstützt werden sie von Spezialist:innen in verschiedenen Bereichen. Einige davon würden Vollzeit arbeiten, andere neben dem Studium.
Zugreisen wird einfacher, aber nicht immer billiger
Das Geschäftsmodell von «SimpleTrain» klingt zunächst einfach: Zugreisen durch ganz Europa über eine Plattform, statt jede Verbindung über die jeweilige lokale Bahnseite zu buchen.
Mittlerweile verarbeitet das Team tausende Anfragen im Jahr und deckt nach eigenen Angaben 40 Länder ab. Alle Buchungen erfolgten über die eigens entwickelte Plattform, die in Zusammenarbeit mit einem externen Partner entstanden sei, erklärt Bilang. «Über unser System haben wir Zugang und Schnittstellen zu den Bahngesellschaften DB, ÖBB, SBB, SNCF und Trenitalia und ermitteln daraus die Verbindungen und Preise für ein Ticket.»
Für einfache Strecken laufe der Buchungsprozess vollautomatisch und ohne Aufpreis im Vergleich zu den Preisen der Bahngesellschaften. Bei komplexeren Reisen würden Mitarbeitende helfen. Dann wird es auch teurer: «Wir verrechnen nur dann eine Gebühr, wenn jemand aus unserem Team involviert ist», sagt Bilang.
«Es buchen ganz unterschiedliche Leute: Vom 13-jährigen Schüler bis zur 82-jährigen Pensionierten.»
Saskia Bilang, Mitgründerin von «SimpleTrain»
Doch gerade bei solchen komplexen Reisen stellt sich die Frage: Wie konkurrenzfähig ist das Angebot preislich wirklich? Bilang erklärt, dass die Buchungsexpert:innen jeweils die Angebote für eine Reise vergleichen und allenfalls auch Interrail in Erwägung ziehen, um das günstigste Angebot zu finden.
Garantieren würden sie den tiefsten Preis aber nicht: «Gerade bei Sparbilletten und aufgrund unserer Gebühr kann es vorkommen, dass geübte Reisende bei einem nationalen Portal den besseren Preis erzielen.» Der Mehrwert liege dafür in der Übersichtlichkeit, die sie in den Buchungsprozess gebracht hätten.
Das Unternehmen versucht, auch auf individuelle Bedürfnisse einzugehen: Schweizer Rabatte wie das Halbtax oder GA werden berücksichtigt, ebenso Sonderwünsche wie Fahrradmitnahme oder Gruppenreisen. Der Service richtet sich damit nicht nur an Digital Natives, sondern an ein breites Publikum. «Es buchen ganz unterschiedliche Leute», sagt Bilang. «Vom 13-jährigen Schüler bis zur 82-jährigen Pensionierten.»
Absage bei der «Höhle der Löwen»
Der Weg dahin verlief nicht immer geradlinig. Zwar wird das Start-up seit Herbst 2020 durch den Migros-Pionierfonds unterstützt – über die genaue Fördersumme schweigt Bilang –, doch in der Sendung «Die Höhle der Löwen» ging das Team leer aus. Die Investor:innen waren nicht überzeugt von der Unternehmensbewertung in Höhe von drei Millionen Franken und lehnten ein Investment ab.
Trotzdem hielt das Team an seiner Vision fest. Anfang 2025 wurde «SimpleTrain» mit dem Zürcher Zukunftspreis ausgezeichnet, der mit 16’000 Franken dotiert ist. Mittlerweile finanziert sich das Unternehmen grösstenteils selbst. «Wir zahlen uns inzwischen Löhne, von denen wir leben können», sagt Bilang. Konkrete Umsatzzahlen verrät sie nicht.
Bekannt ist aber, dass «SimpleTrain» im Jahr 2022 einen Umsatz von 1,3 Millionen Franken erwirtschaftete. Die Bearbeitungsgebühren lagen dabei bei rund 105’000 Franken, was etwa acht Prozent pro Buchung entspricht.
Ein Reiseschalter als Experiment
Und jetzt also ein physischer Schalter im Wartesaal Bahnhof Wipkingen. Während andere Bahnunternehmen Automaten aufstellen, geht SimpleTrain den umgekehrten Weg. «Wir wurden von Regula Fischer angefragt, ob wir den Schalter dauerhaft übernehmen möchten», sagt Bilang. Das sei für sie als komplett digitale Buchungsplattform zwar keine Option gewesen, für zwei Monate wolle man aber dennoch persönlich mit Kund:innen in Kontakt treten und ihre Bedürfnisse besser kennenlernen.
Ganz uneigennützig ist das nicht. Der temporäre Schalter ab dem 29. April soll auch Sichtbarkeit bringen. Das leerstehende ehemalige Reisebüro liegt an einer Pendlerachse, mit viel Laufkundschaft.
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Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in Politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.