«Push» – die noch dunklere Seite der Gentrifizierung
Gentrifizierung ist ein Phänomen, das längst nicht nur Zürich betrifft. Der Dokumentarfilm «Push» geht der Aufwertung von Grossstädten und Vertreibung deren Bewohner*innen der ganzen Welt auf die Spur und zeigt, was diese Entwicklung mit dem Menschenrecht auf Wohnraum, Pensionskassen und Kampfgeist zu tun hat.
«Woran erkennt man, dass man sein Viertel verlassen muss?», fragt ein Kneipenbesitzer in Toronto. «Vintage-Klamottenläden! Für ein Viertel gibt es nichts Schlimmeres, als arme Leute mit Stil.» Zürich ist längst nicht die einzige Stadt, die mit der – oder gegen die – Gentrifizierung kämpft. Dass Mieten in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen sind, die Gehälter aber nicht, ist ein Phänomen, von dem Grossstädte der ganzen Welt betroffen sind. In seinem neuen Dokumentarfilm «Push» zeigt der schwedische Regisseur Fredrik Gertten eine Seite der Gentrifizierung, die noch viel dunkler ist als das, was sich die meisten bisher darunter vorgestellt haben.
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Protagonistin des Films ist Leilani Farha, die als UN-Sonderberichtserstatterin für das Menschenrecht auf Wohnen Städte der ganzen Welt besucht und Wohnraumprobleme untersucht um zu sehen, wo Menschen in Bezug auf ihr Recht auf Wohnraum stehen.
Das Filmteam begleitet sie bei ihrer Arbeit und dokumentiert die Situation von Menschen, die von systematischer Gentrifizierung betroffen sind. Im Zentrum steht dabei stets die Frage: Was brauchen Menschen für ein würdevolles Leben? Für Farha ist klar: dazu gehört auch «angemessener und bezahlbarer Wohnraum».
Wenn wie in der chilenischen Stadt Valparaíso Luxuswohnungen auf Grundstücken gebaut werden, die nicht einmal denen, die bauen, gehören – und diese Luxuswohnungen nachher leerstehen weil sie sich niemand leisten kann, steht fest: diese Wohnungen sind nicht für die Leute der Stadt gedacht. «Die Frage ist, wer denn eigentlich noch in der Stadt lebt? Für wen ist die Stadt?»
UN-Sonderberichtserstatterin für für das Menschenrecht auf Wohnen Leilani Farha in New York. Bild: Janice d'Avila
Für Vertreter*innen der Mittel- und Unterschicht offenbar nicht. Wer es nicht geschafft hat, sich vor 25 Jahren ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen, muss raus, erzählt ein Mann, der seine Wohnung beim Brand des Grenfell-Towers in London vor zwei Jahren verloren hat und seither bei Freund*innen unterkommen muss. Wer es nicht geschafft hat, schon vor 2010 seinen Mietvertrag für die Wohnung am Idaplatz zu unterschreiben, wird es nie tun.
Für wen ist die Stadt?
Leilani Farha in «Push»
Saskia Sassen, Soziologie-Professorin an der Columbia Universität sagt: «Es zeigt sich, dass urbane Flächen sehr wertvoll werden.» Dies bestätigt auf Anfrage auch Walter Angst für Zürich. Der AL-Politiker und Kommunikationschef des Zürcher Mieterinnen- und Mieterverband betont: Städte sind der Ort, «wo es Arbeitsplätze gibt, das soziale Leben stattfindet, die Infrastruktur besser ist und die Menschen bessere Lebenschancen haben. Ohne eine sinnvolle Regulierung des Mietwohnungsmarktes führt das dazu, dass Investor*innen hier das grosse Geschäft machen».
Die höheren Mieten entsprechen aber nicht den Sanierungskosten. Begründet werden Mietzinse oft damit, dass sie «dem Markt entsprechend» angepasst wurden. Was aber bedeutet das, welche Kriterien bestimmen, was ein dem Markt entsprechender Preis ist?
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In London stehen ganze Strassenstriche von viktorianischen Villen leer. Wem diese gehören, weiss niemand, denn klingeln und nachfragen, kann man nicht – niemand wohnt darin. Nun haben Obdachlose damit begonnen, die Häuser zu besetzen, «bis sich etwas ändert». So lange leben also die Ärmsten der Stadt in Millionen-Lofts – eine Absurdität sondergleichen. Geschätzte Bewohner*innen des Koch-Areals: Ich habe gehört, im Renaissance-Turm seien noch Wohnungen frei?
Die Gebäude dienen nur als Vermögenswerte. Sie sollen leerstehen und ungenutzt bleiben.
Saskia Sassen in «Push»
Sassen sagt, es gehe längst nicht mehr um Wohnraum. «Die Gebäude dienen nur als Vermögenswerte. Sie sollen leerstehen und ungenutzt bleiben. Weil man dann mit ihnen spielen kann.» Wenn Menschen in den Häusern wohnen, ist es viel schwieriger, diese 35 Mal pro Stunde zu verkaufen. Wenn nicht, dann geht das – und wird auch getan.
Die Zwecksentfremdung von Immobilien
Immobilien dienen nicht mehr als Behausungen für Menschen, sondern mutieren zu reinen Geldanlagen – wie Goldbarren, Kunstwerke, Grundstücke.
Gold ist kein Menschenrecht, Wohnraum schon.
Leilani Farha in «Push»
Wird es schon bald ganze Geisterquartiere oder -städte geben, in denen niemand lebt, nie jemand leben soll und auch nie jemand leben wird? Die Arbeit von Architekt*innen, Bauarbeiter*innen, Elektroinstallateur*innen, Schreiner*innen – kurz: der ganzen Baubranche – würde zur reinen Beschäftigungstherapie. Oder eher: zur Geldvermehrungsstrategie? Eine gruselige Vorstellung.
Sowieso mutet der ganze Film dystopisch an. Nur, dass diese Dystopie bereits Realität ist. Es stellt sich die Frage, welche Rolle Menschen in Zukunft spielen werden – und welche Grosskonzerne wie Amazon und Blackstone, Hedgefonds, die globale Geldwäscherei.
In der Schweiz kann dies glücklicherweise nicht passieren, da «Wohnimmobilien nicht von ausländisch dominierten Unternehmen gehalten werden dürfen», erklärt Walter Angst das sogenannte «Lex Koller». «Unser Problem ist die grosse Schwemme an Pensionskassen-, Versicherungs- und Fondskapital, das in Immobilienanlagen drängt.»
Für Farha sind es die Nationalstaaten, die in der Verantwortung sind. Denn sie haben die internationalen Menschenrechtsverträge unterzeichnet – auch die Schweiz: «Die Verfassung [...] verpflichtet uns, allen Haushalten Zugang zu gutem und bezahlbarem Wohnraum zu ermöglichen. Studien zeigen, dass insbesondere untere Einkommensgruppen in viel zu teuren, zu kleinen und von Immissionen belasteten Wohnungen leben», so Walter Angst.
Städte werden zum Spielplatz der Reichen.
Leilani Farha in «Push»
«Städte werden zum Spielplatz der Reichen», sagt Leilani Farha bei einer Konferenz mit Bürgermeister*innen von Städten der ganzen Welt. Farhas Ziel ist, sie alle zu überzeugen, die Städte von den Investmentgesellschaften zu schützen, «die wie Aasgeier über unseren Städten kreisen». The Shift heisst diese Bewegung, mit der gemeinsam das Menschenrecht auf Wohnraum zurückerobert werden soll.
«You’ve changed» steht in mannshohen Lettern an die Mauer eines Torontoer Backsteinhauses gesprayt. «Alles wird gut», stand auch einst an der Fassade der besetzten Wohlgroth.
Push ist ab dem 6. Juni in den deutschschweizer Kinos zu sehen.
Titelbild: Sasha Snow
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