PubliBike Relaunch: leere Stationen, zu kleine Körbe, grosses Potential
Seit sieben Jahren rollen die PubliBikes durch Zürich. Der jüngste Relaunch sollte endlich alle Probleme lösen – doch es bleiben viele Baustellen. Ein Blick auf ein System im sympathischen Chaos.
Seit sieben Jahren rollen die PubliBikes durch Zürich – und mit ihnen eine Mischung aus Faszination und Frustration. Die etwas drolligen, aber erstaunlich wendigen Velos haben sich längst in die DNA der Stadt eingebrannt: Mal als Sympathieträger gefeiert, mal als Fremdschäm-Projekt verspottet.
Wer erinnert sich nicht an das legendäre «Schloss-Gate»? Plötzlich verschwanden massenweise PubliBikes von den Strassen – entsperrt mit einem simplen Klopftrick, der sich viral verbreitete. Oder denken wir an die Brissago Boyz, die den PubliBikes einen eigenen Song widmeten (Rapper Baze hat übrigens kürzlich nachgezogen). Diese Episoden machten ZüriVelo zur urbanen Legende – nicht immer aus den richtigen Gründen.
Der jüngste Relaunch im Mai sollte endlich alle Kinderkrankheiten heilen. Neue App, bessere Velos, zuverlässigeres System. Und vor allem unterstützt die Stadt neu den Veloverleih mit rund einer Million Franken pro Jahr. Was bisher als liebevoll chaotisches Veloprojekt akzeptiert wurde, muss mit den neuen Subventionen auf ein neues Qualitätsniveau gehoben werden. Die Anzeichen, dass dies gelingt: Nicht sehr gut – es bleiben fünf zentrale Baustellen.
Baustelle 1: Die App-Odyssee
Der Relaunch sollte alles besser machen – stattdessen ist die neue «PubliBike Velospot»-App zum digitalen Stolperstein geworden. Das Grundproblem: keine intuitive Nutzung der App und Phantom-Velos, die als verfügbar angezeigt werden, sich aber nicht entsperren lassen. Was früher in zehn Sekunden erledigt war, wird heute zur minutenlangen Geduldsprobe. Besonders absurd: Pro App kann nur ein einziges Velo ausgeliehen werden – unpraktisch für Familien oder Gruppen.
Die App-Store-Bewertungen sprechen eine deutliche Sprache: Kontoerkennungsprobleme, unerwartete 230-Franken-Rechnungen, verwirrende Benutzerführung. Dass es auch anders geht, beweist die Konkurrenz in Luzern (NextBike) mit ihrer 4,5-Sterne-App. ZüriVelo dümpelt dagegen mit 1,5 Sternen im tiefroten Bewertungsbereich.
Baustelle 2: Velos für Konzerne, leere Stationen für alle anderen
Das eigentliche Drama spielt sich an den Stationen ab. An Werktagen haben rund ein Drittel aller Stationen in Zürich nur ein Velo oder stehen komplett leer. Gleichzeitig stapeln sich bei Firmen wie Google, SwissRe oder der ETH die PubliBikes zu Dutzenden – dank exklusiver Firmenpartnerschaften mit Sonderkonditionen. Rund drei Viertel aller PubliBike-Fahrten werden über solche Firmenkontingente abgewickelt.
Die Rechnung ist ernüchternd: Während sich Grosskonzerne ihre private Velo-Flotte sichern, schauen Otto Normalverbraucher:innen in den Quartieren in die Röhre. Ein System, das der Allgemeinheit dienen sollte, entwickelt sich zur subventionierten Mobilitätslösung für Unternehmen.
Baustelle 3: Der geschrumpfte Korb als Symbol
Ein scheinbar banales Detail offenbart, wo ZüriVelo den Anschluss verliert: Ein simpler Migros-Sack passt nicht mehr richtig in die Körbe. Was zunächst wie eine Kleinigkeit wirkt, ist symptomatisch für eine schleichende Verschlechterung der Standards.
Der Korb war einst das Markenzeichen der PubliBikes – praktisch, alltagstauglich, durchdacht. Heute wird jeder Einkauf zum Tetris-Spiel. In einer Stadt, wo das Velo als Alternative zum Auto positioniert wird, zeigt dies, dass die praktischen Bedürfnisse der Alltagsnutzung aus dem Blick geraten sind.
Baustelle 4: Luxuspreise ohne Luxusservice
Mit drei Franken für die ersten 30 Minuten spielt ZüriVelo in der europäischen Spitzenliga der Fahrrad-Sharing-Preise – das E-Bike kostet sogar fünf Franken. Konkurrenzfähig zum ÖV sind die Velos somit kaum. Eine PubliBike-Tageskarte für schlappe 29 Franken macht das Problem deutlich.
Die internationale Konkurrenz zeigt, wie es günstiger geht: In Paris kostet eine halbe Stunde Vélib' einen Euro (E-Bikes: 3 Euro für 45 Minuten), in London sind es bei Santander Cycles auch nur 1,65 Pfund für 30 Minuten. Eine Pariser Tageskarte kostet mit 5 Euro rund sechsmal weniger als in Zürich — in London kostet die Tageskarte sogar nur 3,5 Pfund. Um ZüriVelo für die normale Bevölkerung attraktiv zu halten, wären günstigere Preise dringend nötig.
Baustelle 5: Zu wenig Fahrten, zu grosse Distanzen
Die Konsequenz dieser Probleme zeigt sich in den Nutzungszahlen: Mit rund 1,5 Fahrten pro Velo und Tag ist der Mehrwert des Sharing-Konzepts praktisch nicht vorhanden. Die Idee geteilter Mobilität würde voraussetzen, dass diese Verkehrsmittel öfter genutzt werden als im Privatbesitz. Zum Vergleich: Das Pariser Veloverleihsystem erreicht 6 Fahrten pro Velo und Tag, E-Trottinetts schaffen in Zürich ebenfalls höhere Raten.
Doch das Potential ist durchaus da: Die geplante Expansion auf 250 Stationen und 2'500 Velos bis 2026 könnte endlich den Durchbruch bringen. Ein dichteres Netz ist die Voraussetzung für höhere Nutzungsraten – wenn die Stationen näher beieinander stehen, steigt die Attraktivität exponentiell. Allerdings bieten selbst Basel oder Bern heute schon eine grössere Stationsdichte als sie in Zürich für 2026 geplant ist.
Fazit: Sympathieträger mit Riesenpotential
Die Grundidee von ZüriVelo ist nach wie vor aktuell. Die 860'000 Fahrten im vergangenen Jahr beweisen, dass die Zürcher:innen ihr Velo-Sharing schätzen – auch wenn sie täglich über dessen Macken fluchen. In einer Stadt, die ihre Klimaziele ernst nimmt, bleibt ein funktionierendes Fahrrad-Sharing unverzichtbar.
ZüriVelo hat sich trotz aller Widrigkeiten einen Platz im Herzen der Zürcher:innen erobert – die Anekdoten, Lieder und urbanen Legenden zeugen davon. Das System steht vor dem Durchbruch, braucht aber einen finalen Push. Mit der städtischen Million pro Jahr steigen die Ansprüche berechtigterweise, aber auch die Chancen.
Die Netzerweiterung ist der richtige Schritt. Kombiniert mit einer funktionierenden App, faireren Preisen und besserem Service könnte ZüriVelo endlich das werden, was es verspricht: ein zuverlässiges, erschwingliches und alltagstaugliches Mobilitätssystem für alle Zürcher:innen. Die Grundlagen sind gelegt, jetzt müssen PubliBike und die Stadt liefern. Die Zürcher Bevölkerung verdient ein Velo-Sharing, das nicht nur sympathisch ist, sondern auch funktioniert – mit Velos, die sich entsperren lassen, Stationen, die nicht leer sind, und Körben, in die der Migros-Sack passt.
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 2000 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 2500 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei!