Einmal hin, einmal her. Was gilt denn nun, Stadtpolizei?

Die Zürcher Stadtpolizei befindet sich spätestens seit der Corona-Krise auf Schlingerkurs. Dies zeigen vier Beispiele aus den vergangenen paar Wochen: Vom 1. Mai, über Verschwörungstheorien bis zur Critical Mass. Eine Analyse.

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Die erste richtige Demonstration nach Corona gegen Polizeigewalt und Rassismus (Bild: Rahel Bains)

1. Durchgreifen am 1. Mai

Die Polizei selber bezeichnete den Einsatz als «verhältnismässig», ein SP-Kantonsrat forderte einen Wechsel an der Spitze der Stadtpolizei. Die Rede ist vom 1. Mai, als in der Stadt kleine Gruppen von Demonstrierenden mit einem Rayonverbot belegt wurden, nur weil sie ein Transparent dabei hatten. In den Worten eines grünen Gemeinderats: «Ein Armutszeugnis, was sich die Stadtpolizei heute erlaubt. Plakate werden abgehängt, die öffentliche Meinungsäusserung unterbunden und auch Personen, welche Distanz- und Hygienevorschriften einhalten, weggewiesen.» Die zuständige Stadträtin Karin Rykart bezeichnete den Einsatz am 1. Mai ein paar Tage danach im Parlament als «hart an der Grenze, aber korrekt».

2. Laissez-faire bei den «Corona-Rebellen»

Eine bunte Gruppe von Verschwörungstheoretiker*innen und Lockdown-Gegner*innen demonstrierte eine Woche nach dem 1. Mai unter dem Label der «Corona-Rebellen». Der Tenor: Corona sei nicht so schlimm, Bill Gates wolle alle impfen, der ganze Lockdown sei pure Hysterie. Auf dem Sechseläutenplatz versammelten sich einige Dutzend Personen, hielten sich an den Händen. Von einem Einhalten der Corona-Abstandsregeln keine Spur. Die Polizei war zwar dort, schaute aber lange Zeit einfach nur zu. Im Nachhinein kritisierte die Polizeichefin Karin Rykart dieses Vorgehen: Der Einsatzleiter habe nicht richtig entschieden, die Polizei entschuldigte sich und bezeichnete das Nicht-Eingreifen als Fehler: «Die Handlungsrichtlinien des Kommandanten der Stadtpolizei Zürich wurden am Samstagnachmittag, 9. Mai 2020, auf dem Sechseläutenplatz nicht korrekt umgesetzt.»

3. Gebrochene Versprechen an der Critical Mass

Weil die Corona-Schutzregeln am vergangenen Freitag immer noch Gruppen von maximal fünf Personen erlaubten, haben einige Aktivist*innen der Critical Mass im Vorfeld mit der Stadtpolizei über den Velo-Event diskutiert. Die beiden Seiten einigten sich darauf, dass die Critical Mass durchgeführt werden kann, wenn es keinen zentralen Versammlungsort gibt, die Menschen in kleinen Gruppen unterwegs sind und keine DJs auf Anhängern mitgefahren werden. Am Freitagabend selber hielt sich die Polizei nicht an diese Versprechen, wie verschiedene Bilder und Videos in den sozialen Medien beweisen. Selbst Gruppen mit unter fünf Personen wurden kontrolliert und weggewiesen. Eine Person wurde gar in Handschellen gelegt, weil die Polizei fälschlicherweise dachte, dessen Fahrrad sei nicht für den Verkehr zugelassen. Die Polizei schreibt, dass die Teilnehmer*innen der Critical Mass auf die Covid-Verordnungen aufmerksam gemacht worden seien. «In der Folge wurden sie an mehreren Orten in der Stadt gestoppt und erneut abgemahnt. Uneinsichtige wurden gebüsst. Mehrere Velos mit Anhängern, Musikanlagen und Lautsprechern wurden präventiv sichergestellt.»

4. Demonstration mit rund 1000 Personen

Am Pfingstmontag zeigte die Stadtpolizei ein anderes Gesicht. Am Mittag haben sich zwischen 1000 und 2000 Personen versammelt und gemeinsam gegen Rassismus und Polizeigewalt demonstriert. Die Polizei schreibt in der Mitteilung: «Das bestimmende Thema der Demonstrierenden war der gewaltsame Tod eines Afroamerikaners in Minneapolis.» Und weiter: «Die Demonstration verlief äusserst friedlich und entlang der Route kam es zu keinerlei Sachbeschädigungen. Die Stadtpolizei Zürich hielt sich im Hintergrund bereit, verzichtete aber aus Gründen der Verhältnismässigkeit auf ein Stoppen des Demonstrationsumzugs.»

Dieses letzte Beispiel ist zu begrüssen und zeigt, wie es sein sollte: Die Polizei lässt eine Demonstration gegen Rassismus und Polizeigewalt ohne Anmeldung («Bewilligung») und trotz des durch Corona bedingten Veranstaltungsverbots laufen. Man wünscht sich, dies wäre die Normalität.

Einmal hin, einmal her. Was gilt denn nun? Eine Polizei muss eine klare Linie verfolgen. Natürlich sollte immer wieder auch im Einzelfall Spielraum bestehen, doch im Grundsatz müssen sich die Menschen auf ihre Polizei verlassen können – und darauf, dass sie sich an transparente Abmachungen und Regeln hält, die für alle gleich gelten. Doch wenn am 1. Mai Menschen mit Transparenten gebüsst werden, Verschwörungstheoretiker*innen aber im Kreis tanzen dürfen, an einem Freitag selbst Kleinstgruppen mit einem Velo schikaniert werden und am Montag eine Demonstration mit über 1000 Personen toleriert wird, dann fehlt der Stadtpolizei ganz offensichtlich eine Strategie. Doch wir Zürcher*innen müssen wissen, worauf wir uns verlassen können.

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Simon Jacoby

An der Universität Zürich hat Simon Politikwissenschaften und Publizistik studiert. Nach einem Praktikum bei Watson machte er sich selbstständig und hat zusammen mit einer Gruppe von motivierten Journalist:innen 2015 Tsüri.ch gegründet und vorangetrieben. Seit 2023 teilt er die Geschäftsleitung mit Elio und Nina. Sein Engagement für die Branche geht über die Stadtgrenze hinaus: Er ist Gründungsmitglied und Co-Präsident des Verbands Medien mit Zukunft und macht sich dort für die Zukunft dieser Branche stark. Zudem ist er Vize-Präsident des Gönnervereins für den Presserat und Jury-Mitglied des Zürcher Journalistenpreises. 2024 wurde er zum Lokaljournalist des Jahres gewählt.

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