Podium zu Leerkündiungen – «Zürich soll nicht wie Monaco werden»

In Zürich verlieren immer mehr Menschen wegen Leerkündigungen ihr Zuhause. Ob bei Sanierungen oder Neubauten – die Folge ist oft teurer Wohnraum, den sich viele nicht leisten können. Am Mittwoch diskutierten Expert:innen, was gegen diese Praxis unternommen werden kann und ob es sozialverträgliche Alternativen gibt.

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Gemeinsam diskutierten die Podiumsgäste am Mittwoch über die sozialen Folgen von Leerkündigungen, steigende Mieten nach Sanierungen und mögliche Alternativen für bezahlbaren Wohnraum. (Bild: Tsüri.ch / Emilio Masullo)

Am Mittwochabend, 11. Juni 2025, fand im 25hours Hotel Zürich West das Podium «Leerkündigungen führen zu Vertreibung – wie weiter?» statt. Die Veranstaltung wurde von Tsüri.ch im Rahmen des Fokusmonats zum Thema Wohnen organisiert und war die dritte von insgesamt fünf Events.

Leerkündigungen – also die gleichzeitige Kündigung aller Mietverhältnisse in einem Gebäude oder einer Siedlung – treffen besonders einkommensschwache Haushalte. Auch ausländische Haushalte und Alleinerziehende seien gemäss einer Studie der ETH Zürich aus dem Jahr 2023 überproportional häufig von Leerkündigungen betroffen.

Wie soll Zürich künftig mit dieser Form der Verdrängung umgehen? Darüber diskutierten Nathanea Elte, Präsidentin der ABZ, Jean-Pierre Valenghi, Leiter Immobilien bei der Baloise Group, Donato Scognamiglio, Unternehmer und EVP-Kantonsrat, sowie Sabeth Tödtli, Urbanistin. Moderiert wurde das Gespräch von Benedikt Hofer, Redaktor beim SRF.

Nathanea Elte: Wenn Vertrauen sozialverträglichen Wandel ermöglicht

Was tun, wenn ganze Siedlungen ersetzt werden müssen – und dennoch niemand verdrängt werden soll? Für Nathanea Elte, Präsidentin der Allgemeinen Baugenossenschaft Zürich (ABZ), liegt der Schlüssel in langfristiger Planung, transparenter Kommunikation und genossenschaftlichen Strukturen.

Die ABZ vermietet nach dem Prinzip der Kostenmiete und verzichtet damit auf eine Rendite. Gleichzeitig entzieht sie Bauland der Spekulation und schafft damit stabile und verlässliche Mietverhältnisse.

Dank dieser Grundhaltung geniesst die ABZ laut Elte hohe Akzeptanz bei Sanierungs- und Umnutzungsprojekten. Ein entscheidender Faktor sei der frühzeitige Einbezug der Bewohner:innen: Geplant werde mit einem Vorlauf von mindestens fünf Jahren, inklusive transparenter Information über den künftigen Mietzins. Dieser offene Umgang zahle sich aus: «Das Schöne ist das Vertrauen der Leute. Sie sehen, dass es funktioniert», so Elte.

Für sie steht fest: «Nur wer zusammenarbeitet, findet Lösungen.» Gerade in einer Stadt mit angespanntem Wohnungsmarkt wie Zürich sei Zusammenarbeit entscheidend.

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Nathanea Elte, Präsidentin der ABZ, setzt auf Vertrauen, Transparenz und Zusammenarbeit – zentrale Elemente für sozialverträgliche Sanierungen und eine zukunftsfähige Wohnraumpolitik in Zürich. (Bild: Tsüri.ch / Emilio Masullo)

Jean-Pierre Valenghi: Leerkündigungen als Folge von Wohnraummangel

Für Jean-Pierre Valenghi, Leiter Immobilien bei der Baloise Group, ist soziale Durchmischung zentral für eine lebenswerte Stadt – auch im Umgang mit Leerkündigungen gelte es, dieses Gleichgewicht zu wahren.

Auch das Versicherungsunternehmen Baloise nimmt Leerkündigungen vor, jedoch stets mit Rücksicht, wie Valenghi betont. Im Falle einer Leerkündigung bemühe man sich, fair zu handeln: frühzeitige Information, Flexibilität und finanzielle Unterstützung in Härtefällen gehören dazu. Das Feedback der Bewohner:innen zu diesen Massnahmen sei grundsätzlich positiv, so Valenghi. Hinsichtlich der Frage, welche Rolle Renditeüberlegungen spielen, meintt er, dass stets eine sorgfältige Kosten-Nutzen-Abwägung im Vordergrund stehe.

Valenghi beobachte, dass die Sensibilität für die Problematik auch innerhalb der Immobilienbranche zunehme – nicht zuletzt wegen öffentlicher Debatten wie rund um die sogenannten Sugus-Häuser. Immer öfter sässen nun Eigentümer:innen, Politik und Mieter:innenverbände gemeinsam am Tisch. Für Valenghi steht fest: «Wir müssen miteinander reden», nur so könnten Lösungen gefunden werden, die allen gerecht werden.

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Jean-Pierre Valenghi, Leiter Immobilien bei der Baloise Group, betont den fairen Umgang mit Leerkündigungen und die Verantwortung der Branche für soziale Durchmischung. (Bild: Tsüri.ch / Emilio Masullo)

Sabeth Tödtli: Sozialverträglich umbauen – aber wie?

Für die Urbanistin und Mitbegründerin von Urban Equipe, Sabeth Tödtli, ist klar: Renditeerwartungen spielen bei Leerkündigungen eine zentrale Rolle. In den meisten Fällen gehe es darum, Wohnungen nach der Sanierung teurer vermieten zu können. Doch wie lässt sich ein sozialverträglicher Umbau trotzdem realisieren?

Ein zentrales Problem sieht Tödtli in der mangelnden fachlichen Unterstützung bei solchen Projekten. Es sei oft schwierig, geeignete Fachpersonen zu finden – vielerorts werde von sozialverträglichen Methoden wie dem Sanieren im bewohnten Zustand sogar ausdrücklich abgeraten. Das vorhandene Fachwissen konzentriere sich meist auf Totalsanierungen oder Abriss.

Dennoch gibt es durchaus kreative Ansätze: Einige Eigentümer:innen stellen während der Sanierung Container auf oder mieten ganze Hotels an, um Mieter:innen vorübergehend unterzubringen. Solche Lösungen seien vor allem für grössere Akteur:innen mit umfangreichen Immobilienbeständen – sogenannten Portfolios – realistisch, wie es etwa bei der ABZ, Baloise oder Helvetia der Fall ist. Tödtli regt an, dass auch kleinere Eigentümer:innen sich zusammenschliessen könnten, um gemeinsam ähnliche Modelle umzusetzen.

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Urbanistin Sabeth Tödtli fordert mehr fachliche Unterstützung und kreative Lösungen für sozialverträgliche Sanierungen. (Bild: Tsüri.ch / Emilio Masullo)

Donato Scognamiglio: «Zürich soll nicht wie Monaco werden»

Gemäss Donato Scognamiglio, Unternehmer und EVP-Kantonsrat, führe die Attraktivität der Stadt zu einem angespannten Wohnungsmarkt, bei dem das Angebot die Nachfrage nicht mehr deckt.

Umso wichtiger sei der Dialog mit der Immobilienbranche. Es müsse diskutiert werden, wie günstiger, schneller und einfacher gebaut werden kann – und wie man Lösungen findet, die den Bedürfnissen der Bewohner:innen gerecht werden. Scognamiglio erwartet, dass dieser Austausch künftig an Bedeutung gewinnt. Bisher sei das Interesse der Branche jedoch kaum vorhanden gewesen – mit einigen Ausnahmen.

Gleichzeitig wächst der politische Druck: Im Kanton Zürich sind derzeit fünf wohnungspolitische Initiativen hängig;zwei von Hauseigentümer:innen, drei von Mitte-Links-Parteien. Zu den linken Initiativen zählen etwa die Wohnschutzinitiative, die Mieter:innen besser vor Verdrängung schützen möchte, sowie das Vorkaufsrecht für Gemeinden, das ihnen mehr Einfluss beim Immobilienerwerb verschafft.

Sollte die Immobilienbranche ihren bisherigen Kurs beibehalten, hält Scognamiglio die Annahme dieser Initiativen für sehr wahrscheinlich. Dabei kritisiert er, dass die Branche ihre Verantwortung bislang unzureichend wahrgenommen habe.

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Donato Scognamiglio, Unternehmer und EVP-Kantonsrat, fordert mehr Verantwortung von der Immobilienbranche (Bild: Tsüri.ch / Emilio Masullo)

Du willst mehr über die geplante Abstimmung zum Vorkaufsrecht für Stadt und Genossenschaften erfahren? Dann solltest du am Mittwoch, 18. Juni, ins Riffraff 1 kommen. Beim Podium «Bezahlbares Wohnen für Zürich» diskutieren Expert:innen, wie das Vorkaufsrecht dazu beitragen kann, mehr gemeinnützigen Wohnraum zu schaffen und die Wohnsituation langfristig zu verbessern.

Weitere Infos & Anmeldung.

Diese Veranstaltung war Teil des Fokusmonat «Wohnen». Zum ganzen Programm.

Grafik: Tobija Fischer
Grafik: Tobija Fischer
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Vera Müller

Vera hat an der Universität Zürich Politikwissenschaft und Geschichte der Neuzeit studiert. Während ihres Studiums engagierte sie sich als Vorstandsmitglied im Fachverein Polito, wo sie verschiedene Events organisierte und Diskussionen zu aktuellen politischen Themen mitgestaltete. Ihr Interesse an Medien und politischer Teilhabe führte sie in den Bereich Civic Media, wo sie seit April 2025 als Praktikantin tätig ist.

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