Pilotprojekte für Asylhilfe: «Probieren es auch dann, wenn die Chancen gering sind»
Pikett Asyl bietet Rechtsberatung für Asylsuchende, die von einer Ausweisung bedroht sind. Nach dem Ende der Pilotphase vergrössert sich das Projekt demnächst. Auch die AOZ weitet ihr Tandemprogramm aus, das Geflüchteten bei der Integration hilft.
Für viele Menschen, die von einer Ausweisung bedroht sind, ist das Büro von Laurence Steinemann die letzte Anlaufstelle. Sie ist die Koordinatorin des Pilotprojektes «Pikett-Asyl», das seit September letzten Jahres rechtliche Unterstützung für Asylsuchende in den Bundesasylzentren (BAZ) anbietet.
Steinemann sitzt in ihrem Büro an der Dienerstrasse an einem Holztisch, an dem sie in Kürze einen Geflüchteten aus Nordafrika empfängt, der über einen Vertragsstaat des Dublin-Abkommens in die Schweiz kam. Wie die meisten ihrer Klient:innen, erhielt auch er einen negativen Asylbescheid vom Staatssekretariat für Migration.
Die Idee für das Projekt sei durch die Arbeit der Freiplatzaktion entstanden, die sich im Kanton seit Jahrzehnten für die Rechte von Asylsuchenden einsetzt. Aufgrund des neuen Asylverfahrens habe sich auch die Hilfsorganisation angepasst.
Die Nachfrage nach einer Stelle, die niederschwellig eine zweite Meinung zu einem negativen Entscheid abgeben könne und in jedem Fall Beschwerde erhebe, sei sehr gross: «Oft handelt es sich auch um Fragen und Probleme, für die die Betroffenen sonst kaum eine Ansprechstelle haben», sagt Steinemann.
Wir bieten jeder Person die Möglichkeit, eine Beschwerde einzureichen, auch wenn wir die Chancen sehr gering einschätzen.
Laurence Steinemann, Pikett-Asyl
Ein Rennen gegen die Zeit
Mit der Revision des Asylgesetzes im Jahr 2019 trat das beschleunigte Verfahren in Kraft. Die meisten Asylgesuche sollen damit innert 140 Tagen abgeschlossen werden.
Rechtsvertreter:innen seien dazu gezwungen, ihr Mandat niederzulegen, wenn sich eine Beschwerde als wenig aussichtsreich erweise, sagt Steinemann: «Wenn die staatlich finanzierten Beratungsstellen deshalb keine Beschwerde einreichen, können sich Geflüchtete an uns wenden». Das Pikett-Asyl funktioniert unabhängig vom Bund und stellt seinen Service kostenlos zur Verfügung.
Die kürzere Verfahrensdauer bedeute in erster Linie eine stark verkürzte Beschwerdefrist von fünf, statt wie zuvor 30 Tagen. In diesem Zeitraum müssen man mit den Klient:innen ein Gespräch führen, zusätzliche Abklärungen treffen, sowie die Beschwerde verfassen und versenden, erklärt Steinemann: «Wir bieten jeder Person die Möglichkeit, eine Beschwerde einzureichen, auch wenn wir die Chancen sehr gering einschätzen.»
Zwischen dem Start des Pilotprojekts im September 2020 und Oktober dieses Jahres wendeten sich 243 Asylsuchende an die Beratungsstelle, wie aus einer unabhängigen Erhebung hervorgeht. Im selben Zeitraum konnten 143 Personen eine Beschwerde einreichen und damit ihre Rechte voll ausschöpfen.
Zugang zu den eigenen Rechten
Rechtsanwält:innen und Jurist:innen mit Vorerfahrung unterstützen Steinemann dabei, Beschwerden für Abgewiesene zu schreiben. Das geschehe, wenn nach Einschätzung des Pikett-Asyl eine Aussicht auf Erfolg oder ein strategisches Interesse besteht, den Fall vor Gericht zu bringen.
Zum Beispiel könne dies der Fall sein, wenn ein Entscheid eindeutige Verfahrensfehler aufweise, erklärt Steinemann. Dann würden die Rechtsanwält:innen den Fall übernehmen und im eigenen Mandat weiterführen: «Handelt es sich um einen Fall, der keine verfahrensrechtlichen Schwierigkeiten mit sich bringt und eindeutig chancenlos ist, triagieren wir auch an unseren Freiwilligen-Pool.»
Dieser Pool sei mit Jurastudent:innen und anderen engagierten Freiwilligen besetzt ist, sagt Steinemann. Die Beschwerden verfasse Pikett-Asyl im Namen ihrer Klient:innen: «Dabei geht es darum, den Ratsuchenden Zugang zu ihren Rechten zu ermöglichen und dabei Zeit zu gewinnen, damit sie sich organisieren können.»
Ehemalige Klient:innen helfen mit
Auch frühere Klient:innen, die mittlerweile eine Aufenthaltsberechtigung haben, unterstützen das Projekt ehrenamtlich. Sie würden mithelfen, indem sie zum Beispiel als Dolmetscher:innen tätig sind: «Die Menschen, die unentgeltlich für uns arbeiten, sind eine grosse Hilfe und stets motiviert.»
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Deshalb sei es wichtig, sich um Freiwillige zu kümmern und ihnen etwas zurückzugeben: «Das kann ein gemeinschaftliches Treffen sein, bezieht jedoch auch die angemessene Begleitung und Ausbildung mit ein.» Letzteres sei auch wichtig, da die Arbeit mit Geflüchteten und ihrem Schicksal nicht immer einfach sei: «Es ist deshalb wichtig, dass wir eine Strategie dafür haben, wie wir mit dieser Belastung umgehen.»
Das Pilotprojekt geht diesen Dezember zu Ende. Damit endet die Arbeit des Pikett-Asyl jedoch nicht, sagt Steinemann: «Im Mai 2022 gehen wir voraussichtlich in ein nationales Projekt über.» In Zukunft soll das Pikett-Asyl neben Zürich auch in Bern und Basel Asylsuchenden dabei helfen, ihre Rechte vollumfänglich wahrzunehmen.
Wir müssen auch dafür sorgen, dass die richtigen Menschen im Tandem zusammenfinden.
Maya Sonderegger, AOZ
Gemeinsam Hürden überwinden
Auch die Asylorganisation Zürich (AOZ) baut ihr Angebot aus. Im Auftrag des städtischen Sozialdepartements vermittelt die gemeinnützige Organisation Kontakte zwischen Asylsuchenden und freiwilligen Helfer:innen im Rahmen ihres Tandemprogramms.
Aufgrund des neuen Fördersystems für Geflüchtete des Kantons, könne die AOZ dieses Programm ausweiten, wie aus einer Medienmitteilung hervorgeht: «Wir suchen deshalb Personen oder Familien, die sich sozial engagieren möchten und Zeit für regelmässige Treffen haben.» Dadurch sollen in Zukunft mehr Geflüchtete die Möglichkeit haben, an dem Programm teilnehmen zu können.
«Die Stadt leistet auf diesem Gebiet seit vielen Jahren Pionierarbeit. Beim kantonalen Tandemprogramm handelt es sich um ein Pilotprojekt für die Jahre 2021 bis 2023», sagt Maya Sonderegger. Es solle nun in allen Regionen des Kantons ein ähnliches Förderprojekt existieren, erklärt die Leiterin der Fachstelle Freiwilligenarbeit.
Da Geflüchtete während ihres Asylverfahrens meist an verschiedenen Orten und in betreuten Zentren gelebt haben, sei es nicht einfach, sich in der Stadt zurecht zu finden: «Hier lebende Freiwillige können dabei helfen, solche Hürden zu überwinden.»
Bereits in der Vergangenheit seien viele Zürcher:innen engagiert gewesen zu helfen, sagt Sonderegger: «Wir müssen jedoch auch dafür sorgen, dass die richtigen Menschen im Tandem zusammenfinden.»
Das hänge beispielsweise vom Alter oder den Bedürfnissen der Geflüchteten ab: «Manche Leute erhalten Nachhilfe, andere wiederum Hilfe bei der Wohnungssuche oder bei Bewerbungen für Lehrstellen.» In jedem Fall würden die Geflüchteten von den sozialen Kontakten und der Orientierung im Alltag profitieren, sagt Sonderegger.
Häufig entstehen Freundschaften, die über das Programm hinausgehen.
Maya Sonderegger, AOZ
Commitment von beiden Seiten
Neben dem Tandemprogramm veranstaltet die AOZ auch Kurse und Gruppenprojekte. Aufgrund der Corona-Pandemie habe es in der Vergangenheit jedoch weniger Veranstaltungen in Gruppen, dafür mehr Tandems gegeben. «Wegen der Pandemie hatten die Leute womöglich auch mehr Zeit, sich um solche Projekte zu kümmern oder sich Gedanken dazu zu machen», sagt Sonderegger.
Die Teilnahme an einem Tandem sei auch für die Geflüchteten freiwillig, erklärt Sonderegger: «Beide Seiten gehen damit aber ein Commitment ein. Die Mindestdauer für ein Tandem liegt bei sechs Monaten.»
Von dem Programm würden die Helfer:innen dafür auch profitieren, zum Beispiel indem sie etwas über andere Kulturen lernen könnten. «Häufig entstehen auch Freundschaften, die über das Programm hinausgehen», sagt Sonderegger. Für ein Tandem könne sich jede:r anmelden: «Wir suchen sowohl junge als auch ältere Freiwillige, auch Familien können teilnehmen.»
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