Pflegefachmann: «Unsere Anliegen sind vermutlich zu unpopulär und teuer»
Am 28. November kommt die Pflegeinitiative vor die Urne. Wir haben bereits zu Beginn dieses Jahres mit Timo* über seinen Arbeitsalltag und die Corona-Pandemie gesprochen. Der 26-Jährige diplomierte Pflegefachmann arbeitete zu diesem Zeitpunkt seit bald einem Jahr auf einer Covid-Station im Kanton Zürich.
Dieses Interview erschien ursprünglich am 1. Februar 2021.
Lara Blatter: Seit bald einem Jahr arbeitest du auf einer Covid-Station. Wie ist die Stimmung bei euch im Spital?
Timo*: Mit der mutierten Variante wird uns die Arbeit auf der Covid-Station nicht so schnell ausgehen. Die Lage ist etwas entspannter als noch vor Weihnachten. Da war noch ungewiss, wie viele Menschen sich während den Feiertagen infizieren werden. Die Unsicherheit, wie sich die Situation entwickeln wird und von welchem zeitlichen Horizont wir sprechen, bleibt trotzdem bestehen. Die Stimmung ist verhalten. Wir sind müde und arbeiten weiter. In der Hoffnung, dass die Massnahmen greifen und sich die Bevölkerung daran hält.
Ist Corona bereits eine neue Realität im Spital?
Corona ist schon länger eine Realität. Mittlerweile ist sie aber auch zur Normalität geworden.
Die Personalsituation hat sich unter Corona nochmals verschärft und die Löhne haben sich nicht verändert.
Timo*
Wie legt sich diese Normalität im Arbeitsalltag nieder?
Niemand ist mehr beeindruckt, wenn in der Diagnose Covid-19 auftaucht. Wir haben so viele Menschen mit Covid-19 behandelt, dass man sich daran gewöhnt hat. Dass Teile des Teams infolge Krankheit oder Quarantäne ausfallen und der Rest das kompensieren muss, ist alltäglich geworden.
Welche Gefühle kommen in dir hoch, wenn du an die vergangenen Monate denkst?
Corona bestimmt nun seit einem Jahr unseren Alltag. In diesem Jahr scheinen viele Menschen im Internet ihre Professur in Virologie absolviert zu haben. Alle wissen es besser und um wissenschaftliche Fakten scheinen sich immer weniger Leute zu kümmern. Ein Gefühl von Unverständnis, Müdigkeit und manchmal sogar Wut macht sich in mir breit.
Hat sich in punkto Arbeitsbedingungen etwas im letzten Jahr geändert?
Die Personalsituation hat sich unter Corona nochmals verschärft und die Löhne haben sich nicht verändert. Die Belegschaft hat vom Spital einen Corona-Bonus zwischen 200 und 1000 Franken erhalten. Wie lange wir aber noch unter diesen Bedingungen arbeiten müssen, kann niemand adäquat abschätzen. Mein Arbeitgeber schützt uns so gut wie möglich. Jedoch ändern die Vorgaben immer wieder, was uns verunsichert. Die Problematik der Materialknappheit hat sich in den letzten Monaten aber stark verbessert.
Unsere Anliegen für eine gute, langfristige und moderne Pflege sind vermutlich zu unpopulär, zu teuer oder für viele Politiker:innen nicht relevant genug.
Timo*
Im März hast du gesagt, dass die Pflege seit Jahren nach besseren Arbeitsbedingungen, mehr Personal und fairen Löhnen schreit. Wurde der Schrei gehört, danach aber ignoriert?
Der Hilferuf wurde gehört; es wurde darüber berichtet, debattiert und geklatscht. Das hat gut getan. Verändert hat sich aber kaum etwas. Unsere Anliegen für eine gute, langfristige und moderne Pflege sind vermutlich zu unpopulär, zu teuer oder für viele Politiker:innen nicht relevant genug. Die Aufmerksamkeit der Medien ist verflogen und die Solidarität hat nachgelassen. Ich habe das Gefühl, dass die Leute damit beschäftigt sind, ihre eigenen Probleme zu beseitigen und wirtschaftliche Interessen zu vertreten.
Wie stehst du zur Impfung?
Ich vertraue der Wissenschaft und habe durch meine Ausbildungen ein rudimentäres Verständnis über den Aufbau des Impfstoffes. Eine 100%ige Alles-Wird-Gut-Garantie gibt es nicht, aber wenn man viele Covid-19 Schicksale gesehen hat und an der Front miterleben muss, wie zerstörerisch und brutal diese Krankheit sein kann, schätzt man die eventuellen und mehrheitlich milden Nebenwirkungen der Impfung vermutlich anders ein.
Was ist dein Lohn und dein Arbeitspensum?
Momentan arbeite ich etwa 30 Prozent, da ich nebenbei einen Masterstudiengang in Pflege absolviere. Nach diesem habe ich zusammen mit der Lehre, der Berufsmaturität und dem Bachelor-Studium sieben Jahre Ausbildung absolviert und würde brutto 5920 Franken verdienen.
*Name und Arbeitsort der Redaktion bekannt. Zum Schutz der Interviewten sind ihre Namen sowie ihr genauer Arbeitsort nicht erwähnt.
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