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Von Lara Blatter

Co-Geschäftsleitung & Redaktorin

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2. April 2020 um 05:00

Pflegefachmann: «Die Politik hat versagt, uns auszubilden und gut zu zahlen»

Junge Menschen aus dem Gesundheitswesen erzählen aus ihrem Alltag, sprechen über ihre Arbeitsbedingungen und wie sie die Corona-Krise erleben. Timo ist 25 Jahre alt. Seinen Job als diplomierter Pflegefachmann liebt er.

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Illustration: Artemisia Astolfi

Lara Blatter: Wie ist die momentane Lage bei euch im Spital?

Timo*: Ich arbeite momentan auf einer neuen Station, welche man für die aktive Betreuung der Corona-Patient*innen geschaffen hat. Viele Stockwerke, welche eigentlich nicht mehr in Betrieb waren, wurden blitz-saniert.

Es ist sehr ruhig, da eine schweizweite Besucher*innen-Sperre verhängt wurde. Wir bereiten uns auf die kommenden Wochen vor, noch herrscht Ruhe vor dem Sturm. Wir hoffen natürlich, dass der Sturm nicht kommt, aber wir rechnen damit.

Die Zahl des zusätzlichen benötigten Pflegepersonals wird bis 2030 auf 65’000 geschätzt.

Timo

Wie ist die Stimmung im Spital?

Sehr gespalten. Niemand ist begeistert, dass der Bund den arbeitsrechtlichen Schutz aufgehoben hat. Momentan arbeiten wir 8.5 Stunden pro Tag. Im schlimmsten Fall können es während sieben Tagen 12.5 Stunden-Schichten werden. Ich verstehe, warum der Bund diese Verordnung erlassen hat. Es gibt nunmal zu wenig Pflegepersonal und jetzt merkt die Gesellschaft, dass wir systemrelevant sind. Das ist ein politisches Problem, man hat versagt, die Leute auszubilden, gut zu zahlen und attraktive Stellenangebote zu kreieren. Laut dem Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums wird die Zahl des zusätzlichen benötigten Pflegepersonals bis 2030 auf 65’000 geschätzt.

Die Pflege schreit seit Jahren nach besseren Arbeitsbedingungen, mehr Personal und fairen Löhnen.

Timo

Was wünschst du dir nach Corona fürs Gesundheitswesen?

Ich stand auf dem Dach des Spitals und ass mit Kolleg*innen zu Mittag als die Leute klatschten. Aber Applaus allein reicht nicht. Es müssen Lösungen von der Politik her. Ich bin gespannt auf die Pflegeinitiative, welche voraussichtlich 2021 an die Urne kommt. Ich glaube viele Pflegende würden ein besser ausgebautes Team und Bedingnungen einem höheren Lohn vorziehen, denn bleibst du in der Pflege, so liebst du deinen Job. Aber wir können nicht das leisten, was unsere Patient*innen verdienen. Der Beruf hat in der Gesellschaft ein gutes Ansehen, dennoch schreit die Pflege seit Jahren nach besseren Arbeitsbedingungen, mehr Personal und fairen Löhnen. Gehört hat man uns aber erst jetzt, wenn wir im Rampenlicht stehen.

Hast du dir auch schon überlegt das Berufsfeld zu wechseln?

Jein. Es ist schwer die Leute in der Pflege zu halten. Aber ich liebe meine Beruf. «Wer sich bei vollem Bewusstsein für einen Beruf in der Pflege entscheidet, der gibt zu, dass er vom Leben nichts mehr erwartet.» Dieser Spruch ist etwas überspitzt, aber nicht ganz falsch. Für mein soziales Umfeld habe ich wenig bis keine Zeit, verdiene verhältnismässig schlecht und psychisch sowie auch physisch ist der Job sehr belastend. Das Berufsfeld möchte ich nicht wechseln. Ich würde meinen Beruf gerne bis zur Pension ausüben, kann mir dies aufgrund der momentanen Situation im Gesundheitswesen nur schwer vorstellen. Ich kann bis 65 nicht so arbeiten.

*Name und Arbeitsort der Redaktion bekannt. Zum Schutz der Interviewten sind ihre Namen sowie ihr genauer Arbeitsort nicht erwähnt.

Held*innen erzählen

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