Oliver Classen: Urbanist, Gerechtigkeitskämpfer und Tsüri-Member

Beruflich kämpft er im Namen von Public Eye dafür, dass Schweizer Firmen im Ausland nicht ungestraft gegen Menschenrechte verstossen und die Umwelt verschmutzen. Ein Freiheitskämpfer sei er aber nicht: Nichts macht Tsüri-Member Oliver wütender als missionarische Attitüden, egal ob von links oder rechts.

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Oliver Classen am «Walk of Shame» mit Tsüri.ch Foto: Elio Donauer.

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Oliver Classen sagt von sich, er sei ein Urbanist. Er mag es, wenn der nächste Kiosk nur einen Steinwurf von seiner Haustür entfernt liegt. Trotzdem lebt er derzeit in einer Genossenschaftswohnung im Stadtkreis Höngg, idyllisch und ruhig zwischen Europa- und Hardbrücke gelegen mit Blick auf den Kreis 5 und die Limmat. Das Quartier sei seine kleine Bubble, in die er sich nach der Arbeit gerne zurückzieht. Trotzdem schliesst Oliver nicht aus, irgendwann wieder mitten in den «Kuchen» zu ziehen. Seit 14 Jahren arbeitet der 53-jährige ehemalige Journalist bei der NGO Public Eye mit insgesamt 26’000 Mitgliedern, die mittels Recherchen, Analysen und Kampagnen dort aktiv wird, wo die Schweizer Wirtschaft und Politik Menschenrechte in Gefahr bringen.

«Ich wünsche mir, dass die Schweiz sich zusammenrauft und eine richtige Lösung umsetzt», twittert Oliver zwei Stunden vor dem Interview, das im Public Eye-Büro an der Dienerstrasse stattfindet. Es ist das Quote einer Republik-Autorin, die in ihrem Bericht zur Konzernverantwortungsinitiative zum Schluss kommt, an der kommenden Abstimmung im November ein Ja in die Urne zu legen.

Die Initiative, die fordert, dass Schweizer Firmen im Ausland nicht ungestraft gegen Menschenrechte verstossen und die Umwelt verschmutzen sowie die Haftungsregeln für fehlbare Firmen verschärfen soll, beschäftigt Oliver schon seit Jahren. «Obwohl es bei dieser Abstimmung um eine konkrete Sachfrage geht, um einen konkreten Verfassungsartikel, geht es auch um das Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft. Wir kommen aus einer Epoche, in der die Politik jahrzehntelang vollzogen hat, was die Wirtschaft wollte oder brauchte. Heute herrscht – auch durch Covid-19 – ein Gegentrend. Es geht ja nicht zufällig um die Globalisierungsprofiteurin Schweiz. Wir alle wissen, dass Menschen in Billigproduktionsländern den Preis für unsere Standvorteile bezahlt haben. Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer sind nicht mehr bereit, dieses Leid weiterhin in Kauf zu nehmen. Wir sind an einem neuralgischer Punkt angelangt, das zeigen auch die jüngsten Mobilisierungen von Black Live Matters, dem Frauenstreik oder den Fridays for Future.»

Niemanden etwas aufzwingen

Oliver selbst geht nicht oft auf Demos. Quasi als Kompensation zu seiner Arbeit. Seiner 13-jährigen Tochter versucht er, lebenspraktisch die richtigen Werte mitzugeben. Zum Beispiel, wenn es ums Konsumverhalten geht. «Ich habe sie auch schon mal was bei Zalando bestellen lassen. Wenn sie dann merkt, dass am Ende nichts passt und sie alles zurückschicken muss, spreche ich mit ihr über die Maschinerie, die dahinter steckt. Ich versuche, sie an die real existierende Wirtschaftswelt heranzuführen und bei Fragen stets ein offenes Ohr zu haben.» Oliver will aber nichts aufzwingen. Niemandem. Nichts macht ihn wütender als missionarische Attitüden, egal ob von links oder rechts: «Ich weiss es selber nicht besser, habe lediglich das Privileg, einen Job zu haben, bei dem ich mich den lieben langen Tag mit wichtigen Themen auseinandersetzen und zu meinen Schlüssen kommen kann. Das haben die wenigsten.»

2014 hat Oliver für das Buch «Rohstoff. Das gefährlichste Geschäft der Welt», stellvertretend für seine Organisation, den Pro-Litteris-Förderpreis erhalten. Ein Ex-Journalist und Mediensprecher, der einen Journalismuspreis erhält – das erregte Aufsehen. Doch das brancheninterne Raunen war positiv: Schliesslich hätte der traditionelle Journalismus das Thema schlicht vernachlässigt, die öffentliche Resonanz auf die Rohstoffbranche habe damals in keiner Weise ihrer Bedeutung entsprochen. Auf die Frage, ob es auch heute Themen gibt, die von Journalist*innen links liegen gelassen werden, sagt Oliver: «Natürlich gibt es die, das liegt in der Natur der Sache.» Das sei primär eine Ressourcenfrage: «Wenn du dir anschaust, wie viele Afrika-Spezialist*innen derzeit für Schweizer Medien von diesem Kontinent berichten, merkst du schnell: Kein halbes Dutzend.» Journalismus habe den Auftrag, dort hinzuschauen, wo etwas nicht gut läuft. Missstände für die Konzernverantwortungsinitiative zu dokumentieren, hiess zum Beispiel: In Minen herumkriechen. Sich mit Offshore-Strukturen herumschlagen. Schauen, wie Finanzflüsse verlaufen. Der Durchschnittsjournalist hat kaum mehr die Mittel dazu. Public Eye leistet gegen diese Entwicklung mit eigenen Recherchen Widerstand.

Die richtigen Fragen stellen

Als Kind war Oliver lieber bei den Gewinnern, Gerechtigkeit stand nicht zuoberst auf der Prioritätenliste, erzählt er lachend. «Ich bin eher undogmatisch und auch kein Freiheitskämpfer. Auch will ich nicht päpstlicher sein als der Papst» – sagt’s und knallt sein iPhone auf den Sitzungstisch. Dass er ein Apple-Produkt besitze, werde ihm immer wieder vorgeworfen, auch auf Podien. «Ich glaube aber, dass es unser Job ist, die Leute dazu zu befähigen, sich selbst die richtigen Fragen zu stellen. Dass sie zum Beispiel wissen, dass ein iPhone ist, was es eben ist.» Und am Ende mache ohnehin immer erst die Dosierung das Gift.

Manch eine*r würde wohl ob der stetigen Konfrontation mit den globalen Missständen irgendwann durchdrehen oder überfordert das Handtuch werfen. Nicht so Oliver. Das Ganze sei eine Haltungsfrage. «Natürlich ist es etwas anderes, wenn du selber vor Ort bist und die Betroffenen persönlich kennenlernst. Doch das mache ich selten. Meistens wahre ich genügend Distanz zum Elend dieser Welt und das ist für meinen Job auch notwendig.» Beruflich Ungerechtigkeiten dokumentieren und politisch bekämpfen zu können, sei ein Privileg. So habe ich wenigstens nicht dauernd das Gefühl, für dumm verkauft zu werden. Wenn mich etwas richtig nervt, dann ist es Ignoranz und Inkompetenz», so Oliver.

Wenn er nicht gerade hinter seinem Schreibtisch versinkt, trifft man ihn im Theater, im Kino, beim Joggen und in Cafés. Das Sphères, das direkt an der Limmat und auf seinem Nachhauseweg liegt, mag er am liebsten. «Ich finde die Atmosphäre dort super. Es ist cool, undogmatisch, relaxed und hat Spirit, was sich nicht nur im Büchersortiment zeigt. Es ist zwar die Gastronomie gewordene Gentrifizierung, aber das auf völlig unangestrengte Weise.»

Da Oliver früher Medienjournalist war, interessiert ihn die Zukunft unserer Branche sehr. «Ich will relevanten und zukunftsfähigen Journalismus ermöglichen, so Oliver, der einst für kurze Zeit im Vorstand des ehemaligen Tsüri.ch-Vereins war. Deshalb sei seine Membership auch «Ehrensache», sagt er schmunzelnd.

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