«Schweizerdeutsche Musik kann international funktionieren»

Am 31. Mai taufen OG Florin und Melodiesinfonie ihre erste gemeinsame Platte in der Zentralwäscherei. Warum ihre Musik in kein Genre passt und weshalb sie trotz Mundartsongs an einen Erfolg im Ausland glauben, erzählen die Zürcher im Interview.

OG Florin und Melodiesinfonie
OG Florin und Melodiesinfonie reden über ihr Debütalbum: Eine Mischung aus Soul, Indie, Bossa Nova und Pop. (Bild: Sophie Wagner)

Am 31. Mai taufen Florin Simmen und Kevin Wettstein in der Zentralwäscherei ihr erstes gemeinsames Album «meh als null und eis».

Florin Simmen, besser bekannt als OG Florin, stammt aus Zug und begann seine Musikkarriere mit klassischem Hip-Hop und Rap. Doch bereits nach seinem ersten Album habe er, wie er sagt, alles gesagt, was er sagen wollte und sei bereit gewesen, sich anderen Musikgenres zu öffnen. Der Zürcher Kevin Wettstein alias Melodiesinfonie hat unter seinem Pseudonym bereits zwei Soloalben und zahlreiche EPs produziert. Mit «A Journey To You» 2019 wandte er sich endgültig von reinem Beatmaking ab und öffnete sich Jazz und Soul.

Kennengelernt haben sich die beiden vor rund sechs Jahren über eine Radiosendung: Als Simmen in einem Interview mit einem Zuger Radiosender erwähnte, dass er sich ein Feature mit Melodiesinfonie wünsche, dauerte es nicht lange, bis Wettstein auf Instagram in seine DM slidete. Erst 2023 entstand mit «Seaside» der eigentliche Startpunkt ihrer Zusammenarbeit. 

Sophie Wagner: Do-it-yourself, Blumenwiese, Herzschmerz und eine sanfte Männlichkeit – ist das eine bewusste Strategie, die gerade sehr gefragt ist oder spiegelt das einfach Ihre Persönlichkeiten wider?

Florin Simmen: Es ist spannend zu hören, wie uns Leute online wahrnehmen.

Kevin Wettstein: Der Do-it-yourself-Aspekt war sicher bewusst gewählt. Aber alles andere? Das sind wir einfach. Ich fände es befremdlich mit einer Kunstfigur zu arbeiten. Für mich ist Musik etwas sehr Persönliches.

«Es war wie ein Puzzle, das sich Stück für Stück zusammensetzte.»

Kevin Wettstein, Musiker und Produzent

Wie ist das Projekt überhaupt ins Rollen gekommen?

Wettstein: Letztes Jahr hat Florin mir geschrieben, dass er seinen Job verloren hat. Er hatte plötzlich Zeit, und wir dachten: Lass uns was machen. Ich fühlte mich auch gerade ein bisschen verloren. Es gab keinen konkreten Plan – wir wollten einfach ein, zwei Wochen im Studio verbringen und schauen, was passiert.

Florin kam mit einer Gitarren-Idee, ich habe etwas dazu gemacht, aber zuerst waren wir beide nicht wirklich zufrieden. Nach einer Essenspause sind wir zurück ins Studio und haben plötzlich eine gemeinsame Sprache gefunden. Es war wie ein Puzzle, das sich Stück für Stück zusammensetzte. In diesen zwei Wochen entstanden die meisten Demos, später haben wir die Songs dann weiterentwickelt. Die Texte kamen nach und nach dazu.

Simmen: Für mich war das eine neue Erfahrung, gemeinsam zu arbeiten und dann irgendwann zu merken: Okay, jetzt muss der Song auch mal fertig werden. Normalerweise schreibe ich allein mit der Gitarre, und sobald ich den Text habe, fange ich an zu produzieren. Diesmal war es eher: Der Text fehlt noch, also muss ich mich jetzt wirklich hinsetzen und ihn schreiben, statt darauf zu warten, dass mir eine Eingebung zufliegt.

Sie sind sehr offen in Ihrem Sound und mischen verschiedene Stile. Ist es aus Ihrer Sicht überhaupt nötig, Ihre Musik einem Genre zuzuordnen?

Wettstein: Ich bin generell gegen solche Begrifflichkeiten. Klar wollen oder müssen wir manchmal Sachen einordnen, aber unsere Musik ist sehr «genrefluid».

Simmen: Es gibt schon Einflüsse aus Indie und Jazz, der sich durch das Album zieht. Aber es gibt auch Songs, die man in anderen Kontexten hören könnte – zum Beispiel ein Soul-Track mit Punk-Einfluss oder umgekehrt. Deshalb ist es weniger ein Nicht-Wollen, sondern eher ein Nicht-Können, das Ganze genau zu beschreiben. Vom Umfeld höre ich unterschiedliche Einordnungen von Hip Hop, Indie, Blues, Neo-Soul Jazz und mit vielem kann ich mich gut arrangieren.

Viele Schweizer Musiker:innen, die im Ausland Erfolg hatten, haben sich in der Vergangenheit für Hochdeutsch oder Englisch entschieden – etwa Faber, Sophie Hunger und Black Sea Dahu. Heute scheint es wieder ein stärkeres Selbstverständnis für Dialektmusik zu geben. Warum war für Sie beide klar: Wir machen das auf Mundart?

Simmen: Ich habe mit 14 oder 15 Jahren mal einen Song auf Englisch aufgenommen, aber das hat sich einfach falsch angefühlt. Schweizerdeutsch ist für mich eine schöne, ausdrucksstarke Sprache. Ich wünsche mir, dass sich mehr Leute trauen, im Dialekt zu singen und dass das Publikum dafür offener wird. Oft höre ich: «Ich höre eigentlich keine schweizerdeutsche Musik.» Das finde ich schade. Es wäre schön, wenn sich das verändert.

Wettstein: Für mich war sofort klar, dass es ein Mundart-Album wird. Ich kenne Florin nur auf Schweizerdeutsch, und genau das hat mich auch gereizt. Der Sound, den wir gemeinsam entwickelt haben, steht für sich. Ich kenne nichts Vergleichbares in der Mundartszene. Ich wusste: Das wird etwas Besonderes.

Ist es nicht schwieriger, mit schweizerdeutschen Songs das Publikum im Ausland zu erreichen? 

Simmen: Doch, aber gleichzeitig wartet niemand in Amerika oder England auf englische Songs aus der Schweiz. Wenn man etwas richtig Neues, Krasses macht, vielleicht. Aber wenn man einfach den gleichen Sound macht wie UK oder US-Artists – warum sollte man dann auf jemanden aus der Schweiz aufmerksam werden?

Wettstein: Genau. Trotzdem kann schweizerdeutsche Musik international funktionieren. Vielleicht spielt OG Florin bald in London – warum nicht? Ich kenne japanischen Psychedelic Rock, verstehe kein Wort, aber der Vibe funktioniert. Das geht auch mit Dialekt.

Wie erleben Sie die aktuelle Situation in Bezug auf Promotion und Sichtbarkeit – beispielsweise bei Radiosendern in der Schweiz?

Wettstein: Sobald man ein Album auf Schweizerdeutsch macht, heisst es oft: «Promo nur in der Schweiz, international geht das ja nicht.» Aber ich frage mich: Warum eigentlich nicht? Wir spielten unseren Song «Seaside» in der UK, Kopenhagen und in Berlin und die Leute sind total mitgegangen, obwohl sie nichts verstanden haben.

Und was mich wirklich nervt: Schweizer Radios spielen kaum Schweizer Musik – wenn überhaupt, dann gibt es mal eine «Swiss Special»-Stunde. Dabei müsste es genau umgekehrt sein. Radios sollten vor allem Musik aus der Schweiz spielen. Punkt. Und internationale Musik gibt es als Special. Nicht andersrum.

Welche Schweizer Acts finden Sie aktuell spannend?

Simmen: Ich finde Edb grossartig. Er ist ein guter Freund von mir und ich wünsche ihm total, dass er sich seinen Platz im Schweizer Pop-Kosmos sichern kann.

Wettstein: Sirens of Lesbos finde ich auch wahnsinnig stark. Ich glaube, die sind gerade dabei, sich international zu etablieren. Auch Melina Nora finde ich wunderschön. Dann gibt es Löwenzahnhonig, Palinstar, District Five. Der Sound ist da, absolut. Aber es fehlt an Ressourcen. Und wenn dann noch der wirtschaftliche Druck dazukommt, versanden viele dieser Projekte wieder. Das finde ich verdammt schade.

Können Sie beide von Ihrer Musik leben?

Simmen: Ab und zu mache ich noch Tontechnik-Jobs oder springe aushilfsweise als Lehrperson ein. Aber mein Haupteinkommen kommt mittlerweile tatsächlich seit einem Jahr aus der Musik – durch Konzerte, Merch und Plattenverkäufe.

Wettstein: Seit 2017 kann ich von meiner Musik leben, hauptsächlich durch Streaming. Mein Hauptpublikum kam eigentlich immer von ausserhalb der Schweiz, und mittlerweile arbeite ich auch als Produzent für andere Künstler:innen. Einnahmen aus Auftritten sind bei mir eher selten.

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Sophie Wagner

Ausbildung als Polygrafin EFZ an der Schule für Gestaltung in Bern und aktuelle Studentin Kommunikation mit Vertiefung in Journalismus an der ZHAW Winterthur. Einstieg in den Journalismus als Abenddienstmitarbeiterin am Newsdesk vom Tages-Anzeiger, als Praktikantin bei Monopol in Berlin und als freie Autorin beim Winterthurer Kulturmagazin Coucou. Seit März 2025 als Praktikantin bei Tsüri.ch

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