Café Boy startet neu – mit Bistroküche statt Parteistube
Am Samstag feiert das Café Boy im Kreis 4 seine erneute Neueröffnung. Die Betreiber:innen setzen auf französische Bistroküche und wollen aus der Stammbeiz der Linken einen Quartiertreff machen.
Die violette Säule neben der Bar wurde schwarz gestrichen, eine Spiegelfront bedeckt die Wand und der weitläufige Speisesaal wird durch eine Bankreihe unterteilt. Im vorderen Bereich stehen Bistrotische mit rot-weissen Servietten.
Das Café Boy im Kreis 4 feiert diesen Samstag seine Wiedereröffnung.
Und obwohl draussen der immer gleiche Schriftzug prangt, ist erkennbar, dass eine neue Pächterschaft das linke Traditionslokal übernommen hat.
Französisches Bistro trifft auf moderne «Beiz», unaufgeregt, aber unverkennbar hip. Passend zum Stadtteil, der sich vom Arbeiter:innenviertel zum gentrifizierten Trendquartier gewandelt hat.
Einzig die schallisolierte Decke in violett – ein Überbleibsel der Vorgänger:innen – passt nicht ganz ins Bild.
Auch in der Speisekarte wird der Bistro-Ansatz umgesetzt: Rindstatar, Crevettencocktail mit Brioche, Steak au poivre, dazu Frites oder glasiertes Marktgemüse. Wer will, findet unter «Poulet Rôti» ein Güggeli vom Grill.
«Französische Brasserie-Küche mit Einflüssen aus der amerikanischen Küche der 60er Jahre», erklärt Flavia Müller, Co-Geschäftsführerin des neuen Café Boy, das Menü.
Ganztags geöffnet
Daneben gibt es eine kleine Frühstückskarte und wechselnde Mittagsmenüs. Das Lokal an der Ecke Sihlfeld- und Kochstrasse wird täglich von 9 Uhr bis spätabends geöffnet sein. Das ist neu.
Das Café Boy sei auf die Bedürfnisse der Anwohner:innen ausgerichtet und solle zum Treffpunkt im Quartier werden, sagt Co-Geschäftsführerin Müller.
Das Lokal ist bereits in Betrieb, obwohl das grosse Eröffnungsfest noch bevorsteht.
Ein sogenanntes «Soft Opening», erklärt Müller. «So konnten wir die Abläufe bereits einüben, damit am Samstag alles möglichst reibungslos abläuft und wir vielleicht sogar die Chance haben, das Fest etwas zu geniessen.»
Müller leitet das Café Boy gemeinsam mit Tina Mostoufi. Die Geschäftsführung ist erst seit zwei Monaten am Werk, auch das Team, bestehend aus 17 Personen, wurde neu zusammengestellt. Küchenchef Andrin Steuri, der zuletzt verschiedene Pop-ups in Bern geleitet hat, hat das Menü erst letzte Woche finalisiert.
Auch die GmbH «Doppelter Boden», die das Lokal betreiben wird, besteht gerade mal seit zwei Monaten. Dahinter stehen sechs Personen aus der Zürcher Gastroszene mit Bezug zum Restaurant Schnupf und dem Gasthaus zum Guten Glück.
Die Idee, das Café Boy zu betreiben, hatten die Gastronom:innen aber schon länger.
«Bereits 2019, als die Räumlichkeiten ausgeschrieben waren, haben wir uns dafür interessiert», sagt Lisa Bärenbold, Mitinhaberin des Restaurants Schnupf und Mitglied von Doppelter Boden.
Dass es jetzt geklappt habe, freue sie, denn «das Boy ist schon lange Teil der Stadt und unter den schon älteren Zürcher:innen haben fast alle eine Geschichte, die sie hier im Lokal erlebt haben.»
Verwoben mit dem «linken Zürich»
Die denkmalgeschützte Liegenschaft, in der sich das Café Boy befindet, wurde in den 1930er Jahren als Wohnheim der «Proletarischen Jugend» von Zürich gebaut. Die Räumlichkeiten im Erdgeschoss dienten damals als Mensa für die Bewohner:innen. Bis heute gehört das Haus der fast 110-jährigen Bonlieu-Genossenschaft, die 1917 vom Sozialisten Gustav Nüssli gegründet wurde.
Warum eine im Zürich der 1930er Jahre gegründete Gaststätte den Namen «Boy» trägt, ist nicht vollständig geklärt. Max Winiger, Gründungsmitglied der Genossenschaft, soll im selben Jahr Vater eines Jungen geworden sein und aus Freude über den Nachwuchs das Restaurant «Café Boy» getauft haben.
Nach einem neunjährigen Zwischenspiel der zwei Gastronomen Stefan Iseli und Jann Hoffmann, die dem Café Boy «Gault Millau»-Punkte einbrachten, kehrte das Lokal 2019 in sozialdemokratische Hände zurück; doch das brachte dem Lokal kein Glück.
Unter der SP-nahen Genossenschaft «Wirtschaft zum guten Menschen» kämpfte das Restaurant mit den Folgen der Corona-Pandemie und internen Herausforderungen.
2024 meldeten die Betreiber:innen Konkurs an.
Die neuen Mieter:innen kennen die Vorgeschichte. «Klar haben wir Respekt vor der Neueröffnung», sagt Lisa Bärenbold. «Doch wir sehen an diesem Ort viel Potenzial.»
«Wir sind kein Parteilokal»
Der Name «Doppelter Boden» erinnert daran, dass es im Haus einst einen doppelten Boden gab, wo sich die Leute in den 1940er Jahren und der Nachkriegszeit vor der Polizei verstecken konnten.
Die jetzigen Betreiber:innen wollen die Geschichte des Ortes würdigen, sich aber nicht darauf beschränken. «Wir sind kein Parteilokal», sagt Bärenbold, «das Café Boy ist für alle da.»
Der Betrieb läuft, obschon noch nicht alles fertig ist. Die Menükarte und das Frühstücksangebot sollen laufend ausgebaut und auch das aktuell vierköpfige Küchenteam vergrössert werden. Schliesslich sollen bis zu 120 Plätze belegt werden.
Die Feuerprobe folgt am Samstag, ab 14 Uhr beginnen die Feierlichkeiten.
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Aufgewachsen am linken Zürichseeufer, Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft an den Universitäten Freiburg (CH) und Basel. Sie machte ein Praktikum beim SRF Kassensturz und begann während dem Studium als Journalistin bei der Zürichsee-Zeitung. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin untersuchte sie Innovationen im Lokaljournalismus in einem SNF-Forschungsprojekt, wechselte dann von der Forschung in die Praxis und ist seit 2021 Mitglied der Geschäftsleitung von We.Publish. Seit 2023 schreibt Nina als Redaktorin für Tsüri.ch.