Netto-Null und das Gewerbe: «Es wird Verlierer:innen geben»

Die Stadt definiert mit Netto-Null bis 2040 und den kommunalen Richtplänen klare Ziele für eine nachhaltigere Gesellschaft. Auch die lokalen Gewerbetreibenden sind von diesen Veränderungen betroffen. Diese wünschen sich andere Anreize, um sich nachhaltig weiterzuentwickeln.

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Kaffeemaschinen Made in Zürich: Solche Formen von produzierendem Gewerbe soll es in der Stadt wieder mehr geben. (Bild: Zuriga).

In Sachen Klimaschutz kennt die städtische Politik eine Richtung, und diese lautet vorwärts. Bis 2040 soll Zürich klimaneutral sein, also nicht mehr Emissionen ausstossen als kompensiert werden können. Mit dem kommunalen Richtplan Verkehr bleibt die Stadt weiter auf ihrem Kurs, den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren. Der kommunale Siedlungsrichtplan soll vorhandene Quartierzentren, wie zum Beispiel den Lindenplatz in Altstetten zusätzlich fördern, um Arbeits- Einkaufs- und Pendelwege zu verkürzen.

Auch die städtische Wirtschaft spielt bei diesem «Grünen Umbau» eine bedeutende Rolle, hält der Stadtrat in einem Protokoll vom April 2021 fest: «Ein wichtiger Faktor für die Zielerreichung Netto-Null ist der offene und innovative Charakter des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfelds in der Stadt».

Von den Auswirkungen der städtischen Klimaschutzziele sind laut Protokoll rund 15'000 oder etwa ein Drittel aller Betriebe betroffen. Lokale Gewerbetreibende haben mit weniger Parkplätzen, mehr Tempo-30-Zonen, sowie einem veränderten Stadtbild zu rechnen.

Es begann lange vor Netto-Null

Laut der neusten Firmenbefragung der Stadt, an der rund 1400 Unternehmen teilnahmen, liegen die grössten Sorgen des produzierenden Gewerbes bei den hohen Mieten und dem Verkehr.

Die Entwicklungen im Verkehrsbereich bringen zusätzliche Herausforderungen für lokales Gewerbe, sagt auch Anna Schindler, Direktorin der Stadtentwicklung: «Die Stadt Zürich setzt auf den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und des Fussgänger- und Veloverkehrs. Der motorisierte Individualverkehr soll reduziert werden.» Der Verkehrszuwachs solle in den nächsten Jahren vor allem durch den öffentlichen Verkehr gedeckt werden, der in der Stadt stets auf einem guten Stand gewesen sei.

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Anna Schindler an der Smart City Pitch Night im Jahr 2018 (Foto: Laura Kaufmann, Tsüri.ch).

«Bereits seit Ende der 90er-Jahre bereitet die Verkehrsplanung den Gewerbetreibenden sorgen. Die Kündigung des historischen Parkplatzkompromisses ist jedoch für das Gewerbe besonders schwierig», sagt Schindler. Mit dem Parkplatzkompromiss von 1996 ersetzte die Stadt oberirdische Parkplätze in der Innenstadt durch unterirdische, ohne dabei die Gesamtzahl der Parkfelder zu verringern. Dieser Kompromiss soll nun ausser Kraft treten.

Die Stadt verfolge eine Verringerung des Autoverkehrs bereits seit Jahren, erklärt Schindler. Dies sei zum Beispiel ein zentraler Faktor im Programm «Stadtverkehr 2025». Die stimmberechtigte Bevölkerung hat im Jahr 2008 die Vorlage zur 2000-Watt-Gesellschaft angenommen: «Das Netto-Null-Ziel bis 2040 ist eine zusätzliche Verschärfung dieser Ziele in einem veränderten zeitlichen Horizont», sagt Schindler.

Die Stadt verlangt von keinem Betrieb, dass er weniger mit dem Auto unterwegs sein soll, wenn er dieses betrieblich braucht.

Anna Schindler, Direktorin für Stadtentwicklung

Es wird Verlierer:innen geben

Um Klimaneutralität bis 2040 zu erreichen, solle auch das produzierende Gewerbe und das Handwerk zurück in die Stadt finden, erklärt Schindler. Dies verkürze sowohl Transportwege, als auch die Wege, die Konsument:innen zurücklegen müssen. Die hohen Mietkosten für Gewerbe- und Produktionsräume würden hierbei eine Hürde bilden.

«Wir können das Gewerbe nicht finanziell fördern, dafür aber indirekt indem wir preisgünstige Mieträume in stadteigenen Gebäuden anbieten», sagt Schindler. Im Niederdorf kümmere sich die Stadt beispielsweise intensiv darum, das lokale Gewerbe mithilfe von günstigen Mieten zu fördern.

Vor allem zu Beginn würde sich das Netto-Null-Ziel der Stadt positiv für das Lokalgewerbe auswirken, sagt Schindler: «Es wird vor allem bauliche Investitionen geben, die für die städtische Wirtschaft sehr interessant sind.»

Dennoch gebe es auch Verlierer:innen bei einem solchen Vorhaben. Die Rahmenbedingungen müssten jedoch für alle gleich sein, betont Schindler. Das betreffe auch die Verkehrssituation: «Die Stadt verlangt von keinem Betrieb, dass er weniger mit dem Auto unterwegs sein soll, wenn er dieses betrieblich braucht. Dies ist explizit der Fall beim Gewerbe.»

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Mehr Ideen auf kleinem Raum

Was Gewerbetreibenden dabei helfe sich weiterzuentwickeln, sei die Nähe zu anderen Unternehmen, findet Moritz Güttinger, Gründer von Zuriga. Der Anbieter für Espressomaschinen designt, entwickelt und produziert seine Geräte in der Stadt. «Eine Vielzahl von Betrieben und Unternehmen in unmittelbarer Nähe zu haben, ist für ein lokales Gewerbe sowohl wichtig als auch produktiv», erklärt Güttinger.

Zuriga tausche sich regelmässig aus – genauso mit Kaffeeröstereien wie mit Technologiefirmen, die Kunststoffe aus nachwachsenden Rohstoffen herstellen. «Mehr lokale Unternehmen bedeuten auch mehr Ideen und Erfahrungen auf dem gleichen Raum», erklärt der Unternehmer.

Dies gelte unabhängig davon, ob die verschiedenen Betriebe etwas ähnliches oder dasselbe tun würden. «Wenn wir sehen, was auf dem Wirtschaftsplatz Zürich möglich ist, ist das unglaublich inspirierend», sagt Güttinger. Eine solche Umgebung sei auch für eine nachhaltige Entwicklung der städtischen Wirtschaft förderlich.

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Seit 2016 entwickelt und produziert Zuriga Kaffeemaschinen in der Stadt (Bild: Zuriga).

Seine Espressomaschinen produziert Zuriga in einer Manufaktur in Altstetten, wo auch Reparatur- und Servicearbeiten stattfinden. Die Maschinen, die Zuriga verkauft oder zur Reparatur zurücknimmt, transportiert der Betrieb mit Veloanhängern. «Eine urbane Logistik muss anders aufgebaut sein, als sie heute ist», findet Güttinger. Es ergebe zum Beispiel nicht immer Sinn, mit grossen Lastwagen in die Stadt hinein und wieder hinaus zu fahren.

Ohne den Autoverkehr geht es nicht

«Die meisten Unternehmen haben bereits heute Anreize, sich in eine nachhaltige Richtung zu entwickeln», sagt Nicole Barandun, Präsidentin des Gewerbeverbandes der Stadt Zürich (GVZ). Unter anderem deshalb, weil die die Nachfrage nach klimafreundlichen Angeboten spürbar sei: «Die ganze Gebäudetechnik lebt von dem Trend, Bauten besser zu dämmen und effizientere Heizsysteme zu installieren», nennt Barandun als Beispiel.

Die eigene Firmenstruktur in eine klimafreundliche Richtung zu bewegen, sei jedoch für viele Unternehmen schwierig. Vor allem angesichts einer Verkehrswende. «Ganz ohne den motorisierten Individualverkehr kann das lokale Gewerbe in der Stadt nicht funktionieren», sagt die GVZ-Präsidentin.

Wenn ein Firmenmitarbeiter schnell nach Dübendorf rausfahren muss, dann wird das mit dem Velo schwierig.

Nicole Barandun, Präsidentin Gewerbeverband Stadt Zürich

So müsse beispielsweise ein Bauunternehmen die Möglichkeit haben, Material an eine Baustelle zu transportieren. Auch eine Gartenbaufirma brauche einen Pick-Up, um Grünabfälle von einem Kundengarten mitnehmen zu können. «Viele grössere Unternehmen bedienen sich deshalb an einer Mischung aus Fahrzeugen», erklärt Barandun.

Ein:e Monteur:in könne problemlos mit dem Velo oder dem ÖV zu einer Baustelle fahren. Dabei sei jedoch zu berücksichtigen, dass viele Firmen über die Stadtgrenzen hinweg Aufträge ausführen und der Faktor Zeit eine wichtige Rolle spiele: «Wenn ein Firmenmitarbeiter schnell nach Dübendorf rausfahren muss, dann wird das mit dem Velo schwierig.» Weiter gebe es Firmen die zwar auf Elektrofahrzeuge umsteigen wollen, dies aufgrund fehlender Ladestationen in der Stadt jedoch nicht könnten.

Weniger bürokratische Hürden

Der motorisierte Individualverkehr sei auf dem Weg zu einem nachhaltigen Gewerbe nur einer von vielen Aspekten, sagt Barandun: «Der Streit um Lastenvelos und Lieferwagen ist ein Nebenschauplatz, auf den wir uns zu stark konzentrieren.» Das städtische Gewerbe könne am besten auf den Wunsch einer Netto-Null-Gesellschaft reagieren, wenn die Stadt bürokratische Hürden abbaue.

Wir sollten alle wieder einen Schritt aufeinander zukommen, anstatt uns in ideologischen Grabenkämpfen zu bewegen.

Nicole Barandun, Präsidentin Gewerbeverband Stadt Zürich

Dies habe die Erweiterung der Aussengastronomie gezeigt, findet Barandun. Aufgrund der Corona-Pandemie durften Zürcher Wirt:innen im letzten Jahr während mehreren Monaten ihre Aussenbereiche vergrössern. Aufgrund der damaligen Situation konnten Gastrobetriebe kostenlos mehr Stühle und Tische vor ihren Lokalen aufstellen. «Die Plätze wurden von Konsument:innen rege genutzt, was auch eine Nachfrage an lokalen Konsummöglichkeiten aufzeigt», sagt die GVZ-Präsidentin.

Von derartigen Lockerungen städtischer Auflagen würden auch Gewerbetreibende in den Quartieren profitieren. Dadurch könne sich das Gewerbe in Quartierzentren natürlicher entwickeln, was auch den städtischen Verkehr verringere. Mit zusätzlichen Auflagen liesse sich das Ziel eines klimaneutralen Gewerbes wiederum nicht erreichen, sagt Barandun: «Wir sollten alle wieder einen Schritt aufeinander zukommen, anstatt uns in ideologischen Grabenkämpfen zu bewegen.»

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