Marionna Schlatter: «Klimakrise wird mehr Opfer als Corona fordern»
Corona zeigt: Wenn die Welt will, dann steht sie still. Wirtschaftliche Rettungsprogramme schiessen aus dem Boden. Aus dem links-grünen Lager wird gefordert, dass diese an klimafreundliche Bedingungen geknüpft werden. Doch wie? Tsüri.ch sprach mit Wissenschaftlerin Merla Kubli und Nationalrätin Marionna Schlatter darüber.
Die Wirtschaft steht still und politisch ist Corona das Thema Nummer eins. Die Klimafrage gerät ins Abseits. Gemäss einer Umfrage der Universität St. Gallen ist der Wille in der Bevölkerung jedoch vorhanden, einen Schritt in eine nachhaltigere Welt zu machen. Das Kundenbarometer erneuerbare Energien der Universität St. Gallen untersucht seit 2011 die Meinung der Schweizer Bevölkerung zu Energie- und Klimathemen. Mitautor und Professor an der Universität St. Gallen Rolf Wüstenhagen sieht im Klimawandel Parallelen zur derzeitigen Corona-Situation. Corona zeige, damit sich die Mehrheit der Menschen an harte Massnahmen hält, braucht es Regeln. Nach dem Motto: «Wenn mein*e Nachbar*in es nicht tut, warum soll ich es dann tun?»
Ein Ja zur Gletscher-Initiative und bitte mehr Tempo bei der Energiewende!
Merla Kubli ist Mitautorin des Kundenbarometers für erneuerbare Energien. Die Umfrage zeige auf, dass man bereit sei, klimapolitische Massnahmen anzunehmen, so Kubli. 55 Prozent der Schweizer*innen denken, dass die Energiewende zu langsam voranschreitet und 67 Prozent der Befragten würden die Gletscher-Initiative eher annehmen.
Klimaskeptiker*innen kriegen eine zu grosse mediale Präsenz.
Merla Kubli
Der Klimawandel löst starke Gefühle aus, über die Hälfte der Befragten sind traurig über den Wandel. Die Bevölkerung sei sich der Problematik bewusst. Allerdings bestehen in Teilen der Bevölkerung Wissenslücken. «Die Bevölkerung unterschätzt, wie hoch unter den Wissenschaftler*innen der Konsens zum Klimawandel ist», so Merla Kubli. Während 97% der Klimaforscher*innen überzeugt sind, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel stattfindet, unterschätzen die Befragten diesen breiten Konsens und denken, dass sich nur 69% der Wissenschaftler*innen einig sind. Man müsse vermehrt aufklären, und immer und immer wieder die Erkenntnisse aus der Wissenschaft ansprechen. Auch die Medien hätten hier ihren Part beizusteuern: «Klimaskeptiker*innen kriegen eine zu grosse mediale Präsenz. Man stellt Meinungen gegenüber, oft in einem eins zu eins Verhältnis, aber dieses bildet eben nicht die Wirklichkeit ab.»
Und dann kam Corona
Gopf, warum geht das beim Virus aber nicht beim Klima?
Marionna Schlatter
Das Coronavirus zeigt, wenn die Welt will, dann passiert etwas und zwar schnell. Nationalrätin und Präsidentin der Grünen im Kanton Zürich Marionna Schlatter sieht in der ganzen Situation auch die Bitterkeit: «Wir kämpfen schon so lange für Massnahmen und sind keinen Schritt weiter. Da denke ich schon: Gopf, warum geht das beim Virus aber nicht beim Klima?» Die Bedrohung der Klimaerwärmung sei eben noch nicht am eigenen Leib zu spüren. Und die Gefahr einer wirtschaftlichen Aufholjagd, bei derer die Klimadiskussion in den Hintergrund gedrängt werde, bestehe. Die Krise könne aber auch eine Chance für ein nachhaltigeres Denken sein. So hofft die Nationalrätin, dass sich Werthaltungen verschieben und dass gewisse Dingen mit anderen Augen gesehen werden. Beispielsweise sei man jetzt gezwungen Videokonferenzen zu machen, anstatt für ein Meeting nach London zu jetten, und merke, dass das durchaus auch Vorteile hat.
Für Wissenschaftlerin Merla Kubli ist klar, der Lockdown ist einschneidend für die Wirtschaft. Ziel wird es sein, die Wirtschaftskraft wieder hinaufzufahren. «Die Corona-Krise wird kein Anfang einer Nachhaltigkeits-Wende sein. Aber ich hoffe, dass gewisse strukturelle Änderungen vorgenommen werden. Rettungsprogramme könnten an klimafreundliche Bedingungen geknüpft werden», sagt Merla Kubli und spricht die Flugbranche an.
Keine Kondensstreifen am Himmel
Am Himmel ist es ruhig. Corona zwingt die Airlines ihre Maschinen auf dem Boden zu lassen und in Bern wird über Kredite für die Luftfahrt beraten. Ein grosses, politisches Thema. Am 7. April veröffentlichten die Grünen ihre Position dazu: «Kein Abheben ohne neue Spielregeln». Die Partei fordert, dass eine Unterstützung des Sektors durch die öffentliche Hand nur dann ins Auge gefasst wird, wenn dieser grundlegend neu ausgerichtet wird und mit Klimazielen kompatibel gemacht wird. Ein Vorschlag vom Bundesrat, wie er die gegroundeten Airlines unterstützen wird, soll bis Ende April vorliegen. Bundesrätin Simonetta Sommaruga betonte in der Pressekonferenz vom 9. April, dass das Geld für die Luftfahrt in der Schweiz bleiben müsse.
«Unter dem Deckmantel der Konjunktur wird man viele Sauereien an der Umwelt versuchen zu vertuschen, da müssen wir jetzt anknüpfen», so Marionna Schlatter. Genug lange hätte die Flugbranche von Privilegien auf Kosten der Umwelt profitiert.
Dabei sei man sich in der Politik einig, dass der Klimawandel existiere und etwas getan werden muss. «Aber über politische Massnahmen und die Dringlichkeit herrscht kein Konsens», sagt die Nationalrätin.
Nach Corona zurück zum Status Quo?
Der Bund zaubert derzeit viele verschiedene Förder- und Rettungspakete aus dem Boden. Sowohl für Marionna Schlatter als auch für Wissenschaftlerin Merla Kubli ist klar, dass man jetzt auf politischer und gesellschaftlicher Ebenen auch klimapolitische Bedingungen diskutieren muss. Gegner*innen sprechen von «Klima-Fesseln», welche man der Flugbranche anlegen möchte. Marionna Schlatter scheint es kaum um Fesseln zu gehen: «Die Klimakrise wird mehr Opfer generieren als das Coronavirus.»
Werweisen, was nach der Corona-Krise klimapolitisch kommen wird, kann man lange. Der Tenor ist klar: Es ist Zeit, neue Spielregeln festzulegen.
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Bevor Lara zum Journalismus kam, hat sie eine Lehre als Innendekorateurin nicht abgeschlossen, die Handelsmittelschule gemacht, in der Gastro gearbeitet und in der Immobilienbranche Luft geschnuppert. Durch ein Praktikum beim Radio Rasa in Schaffhausen fand sie zum Journalismus. Daraufhin folgte ein Kommunikations-Studium an der ZHAW, gefolgt von einem Praktikum bei Tsüri.ch und eines beim Tages-Anzeiger. Seit 2020 schreibt Lara für Tsüri.ch, seit 2023 ist sie in der Geschäftsleitung.