Kurzarbeit & Dividende: Wie Tsüri.ch eine Corona-Debatte prägte

2020 – die Pandemie erreichte Zürich. Statt im Homeoffice Däumchen zu drehen, prägten wir bei Tsüri.ch die Berichterstattung um die Debatte rund um Kurzarbeit und Dividendenzahlungen mit. Die Geschichte hinter der Geschichte.

Kurzarbeit & Dividende
Darf man in Krisenzeiten Gewinne privatisieren und gleichzeitig drohende Verluste der öffentlichen Hand überlassen? (Bild: Atelier Lugma)

Frühling 2020: Die Pandemie erreicht die Schweiz, der Bund verhängt einen Lockdown, Menschen klatschen aus den Fenstern fürs Gesundheitspersonal, wir lernen neue Wörter wie «Social Distancing», bunkern WC-Papier, wissen, was Aerosolen sind und streamen unsere Lieblingsband auf der Couch. Gleichzeitig melden diverse Firmen Kurzarbeit an und schütten Dividenden aus.

Das alles passierte wenige Wochen nach meinem Praktikumsstart bei Tsüri.ch. Besonders letztere Tatsache beschäftigte uns als Tsüri-Redaktion und wir prägten einen Diskurs, indem wir folgende Frage stellten: Staatliche Hilfe fordern, aber gleichzeitig Dividende ausschütten – geht das? 

Der Staat toleriert das; es sei eine «moralische Frage». Wir fanden: Es ist vor allem eine Frage, die eine gründliche Recherche verdient und wollten herausfinden, welche Zürcher Firmen staatliche Gelder einsackten, aber Gewinne ausschütteten. So starteten wir ein Recherche-Crowdfunding. Das Interesse unserer Leser:innen war gross: Innert wenigen Tagen sammelten wir über 17’000 Franken.

Was haben unsere Artikel ausgelöst?

Wir befinden uns im Jubiläumsjahr unseres 10. Geburtstags! Deshalb werfen wir immer mal wieder einen Blick in das Archiv von Tsüri.ch: Erzählen die Geschichten hinter den Artikeln, schauen zurück in unsere Anfangszeit und finden heraus, was unsere Recherchen für das Leben in Zürich bedeutet haben. Ab jetzt gibts jeden Monat einen solchen Jubiläumsartikel.

Die aufwendigen Recherchen konnten beginnen. Unternehmen, die wegen Corona weniger zu tun hatten, konnten einen Grossteil der Löhne vom Staat finanzieren lassen; dies nennt sich Kurzarbeit.

Normalerweise kommt das Geld aus der Arbeitslosenversicherung, doch während der Pandemie zahlte der Staat einen guten Batzen Geld. Dividenden, also Gewinne für die Aktionär:innen, durften die Firmen am Staatstropf trotzdem ausschütten. Kurzarbeit ermöglichte damals zahlreichen Unternehmen das Überleben und sicherte tausende Arbeitsplätze. Das war also eine gute Sache. 

Diverse Firmen schütteten Dividende aus – Politik war empört

Doch davon profitierten auch solche, die es eben nicht nötig hätten: Grosse Unternehmen, die ihre Aktionär:innen so indirekt mit Corona-Steuergeld bedienten. Zum Beispiel TX-Group (Tamedia), NZZ, ABB oder Adecco. Sie meldeten Kurzarbeit an, kassierten Steuergelder und schütteten gleichzeitig Dividenden an ihre Aktionär:innen aus. 

Oder auch Sika: Der Milliardenkonzern hatte Dividenden in der Höhe von 326 Millionen Franken ausgeschüttet, während 10 Prozent der Belegschaft auf Kurzarbeit war. Unsere Recherche zeigte, dass die Gewinne sogar aus der Schweiz fliessen – beispielsweise an amerikanische Finanzinvestor BlackRock.

Von dieser Tatsache waren Politiker:innen von rechts bis links empört. «Asozial, ich finde dieses Verhalten asozial und völlig unsolidarisch», sagte damals SVP-Kantonsrat Claudio Schmid. Und SP-Nationalrätin Mattea Meyer: «Ein grosser Konzern, welcher liquide sei, soll in Krisenzeiten auch selbst zur Kasse greifen und nicht die Kurzarbeit missbrauchen, um ihre eigenen Kosten tief zu halten.»


Um das Ausmass aufzuzeigen, habe ich damals zig Geschäftsberichte gelesen. Im Zuge unseres Rechercheprojekts haben wir nämlich dann auch alle börsenkotierten Unternehmen im Kanton Zürich unter die Lupe genommen und aufgelistet, wie viele davon Kurzarbeit eingeführt und Dividenden ausgezahlt haben.

Das Interesse an unseren Texten war riesig. Irgendwie verständlich, wir alle dürfen schliesslich wissen, was mit unseren Steuergeldern geschieht.  

Hier eine Auswahl von Recherchen, die damals entstanden sind: 

Investigative Recherchen im Praktikum

Diese Recherchen zu machen, war für uns als Redaktion im Frühling 2020 nur logisch. Dass ich als Praktikantin Teil davon sein konnte, erachtete ich nicht als crazy. Rückblickend war es das vielleicht.

Doch genau solche Arbeitserfahrungen bestärkten mich, den Weg weiterzuverfolgen und Journalistin zu werden. Denn früher oder später muss man das lernen: Unangenehme Fragen stellen, sich in neue Themen reinschmeissen und sich durch Zahlen-Wirrwarr kämpfen. 

Mein Praktikum im Homeoffice konnte spannender und lehrreicher nicht sein. Wo sonst bekommt man, als Praktikantin, die Chance investigativ zu recherchieren und kann grosse Firmen mit kritischen Fragen herausfordern?

Ermögliche weitere Recherchen

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