DANZH-Kritik: Stadt fördert keine Gratis-Festivals, organisiert aber selbst eines
Die Richtlinien sind eindeutig: Die Stadt fördert keine Gratis-Musikfestivals wie das Lauter Festival. Daran stört sich der Dachverband der nicht-kommerziellen Musikfestivals der Stadt Zürich (DANZH) – insbesondere deshalb, weil die Stadt mit dem Stadtsommer selbst eine Gratis-Konzertreihe veranstaltet. Wie erklärt die Stadt ihre Richtlinien? Was sagt der Kanton? Und wieso sind die Festivals des DANZH kostenlos?
Was ist ein Musikfestival? Und was ist einfach nur ein Festival? Nehmen wir das Lauter Festival, mit welchem Zürich Anfang Mai in den Sommer startete, als Beispiel für das Gedankenexperiment. Was machen die Menschen am Lauter? Wieso pilgern sie in Scharen an die Gessnerallee? Des Bieres wegen? Um mit Freund:innen an der Sihl abzuhängen? Wegen der Foodstände? Oder kommen sie, um sich die Konzerte der Musiker:innen anzuhören?
Was soll die Frage, magst du denken, wen interessiert das? Die Antwort lautet: das Ressort Jazz/Rock/Pop der Stadt Zürich Kultur – und somit auch den Dachverband der nicht-kommerziellen Musikfestivals der Stadt Zürich (DANZH), welchem auch das Lauter angehört. Denn: Das Ressort Jazz/Rock/Pop entscheidet aufgrund der Empfehlung einer Fachkommission darüber, welche Projekte im Bereich der aktuellen Musik mit dem Popkredit gefördert werden. Betreffend der Musikfestivals – oder eben nur Festivals – ist dabei die Frage entscheidend, ob die Musik im Zentrum der Veranstaltung steht oder nicht.
So viel vorweg: Der DANZH und die Stadt sind sich in der Frage nicht einig.
Keine Förderung von Gratis-Festivals
Der DANZH, welchem neben dem Lauter Festival auch das Stolze Openair, das Vorstadt Sounds Festival, das Openair Wipkingen, das Äms Fäscht, das Openair Wollishofen und das Werdinsel Openair angehören, stört sich daran, dass die Stadt nur eintrittspflichtige Musikfestivals fördert. Für städtische Beiträge müssen die Veranstalter:innen laut den Richtlinien einen Mindesteintritt von zehn Franken verlangen.
«Wir vom DANZH finden, dass die Stadt mit ihrer Kulturförderung auch Gratiskultur unterstützen soll», sagt David Bär, Vorstandsmitglied des Lauter Kollektivs. Die Stadt mache das zwar teilweise mit «Naturalien» wie der Zurverfügungstellung von Stadtboden oder kostengünstigen Veloständern, aber eben nicht mit Geld. Und das, obwohl die nicht-kommerziellen Musikfestivals viel für das städtische Kulturleben leisten würden, ist sich Bär sicher.
Wieso keinen Eintritt verlangen?
Die Festivals des DANZH verlangen alle keinen Eintritt – einzige Ausnahme ist das Vorstadt Sounds, bei welchem für gewisse Konzerte bezahlt werden muss und das deshalb wohl von der Stadt gefördert werden könnte. Wieso machen es ihm die anderen Veranstalter:innen nicht gleich? «Solange es geht, wollen wir Kultur und Musik allen zur Verfügung stellen», sagt Bär.
Zudem habe die Gratiskultur Vorteile für Newcomer:innen, die an den Festivals des DANZH spielen würden: «Junge Musiker:innen können so entdeckt werden.» Viele von den Bands am Lauter hätten noch keine Musik veröffentlicht. Für diese sei es viel wertvoller, an einem Gratisfestival zu spielen als in einem Club, wo jede:r Besucher:in für sie zahlen müsse und sie dadurch vor allem vor ihren Freund:innen spielen würden.
Diskrepanz: Stadtsommer ist gratis
Besonders stossen sich die Mitglieder des DANZH daran, dass die Stadt mit dem «Stadtsommer» selbst eine Gratis-Konzertreihe veranstaltet. «Man kann die Meinung vertreten, dass Konsument:innen für Kultur zahlen müssen», sagt David Bär, «dieses Argument greift aber nur solange, bis man selbst ein Gratis-Musikfestival veranstaltet.»
Am Stadtsommer würden teilweise Bands spielen, die schon an Festivals des DANZH gespielt und sich auch dadurch etabliert hätten. So beispielsweise Steiner & Madlaina, die 2013 das erste und 2018 das letzte Mal am Lauter Festival spielten, 2019 dann am Stadtsommer; die Band Mischgewebe, die sogar dem Label des Lauter Kollektivs angehöre, 2019 und 2022 an seinem Festival auftrat sowie 2021 am Stadtsommer; oder Kush K, die 2018 am Stolze Openair, 2019 am Lauter Festival und 2021 am Stadtsommer performten.
Was sagt die Stadt?
Niklaus Riegg vom Ressort Jazz/Rock/Pop erklärt, bei den Förderkriterien der Stadt stehe die Wertigkeit der Musik im Zentrum: «Musik ist heute überall gratis. Der einzige Ort, wo sie noch eine direkte finanzielle Wertigkeit hat, sind Live-Konzerte.» Diese Wertigkeit zu erhalten, sei beim Formulieren der Richtlinien wichtig gewesen.
Dabei gehe es nicht primär um die Eintritte – diese seien aber das einfachste Mittel, um sicherzustellen, dass sich ein Anlass wirklich um die Musik drehe: «Bei vielen Gratis-Konzerten steht die Musik nicht zwingend im Zentrum, weil die Veranstalter:innen mit anderen Angeboten wie Essensständen die Eintritte wettmachen müssen.»
Für die Stadt ist bei der Frage nach der Förderung eines Festivals also unter anderem entscheidend, ob die Musik bei dem Anlass im Zentrum steht. Bei den eintrittsfreien Festivals des DANZH ist das nach Meinung des Ressorts Jazz/Rock/Pop nicht immer gänzlich der Fall. «Ich gehe selbst gern an diese Festivals», sagt Riegg, «aber ich bin mir nicht sicher, ob wir das als Musikanlass fördern müssen.»
Stadtsommer nicht vergleichbar
Das Argument des DANZH, dass Kultur allen zugänglich sein soll, unterstützt Riegg. Mit den in den Richtlinien formulierten zehn Franken Eintritt wäre die Schwelle allerdings nicht sehr hoch, findet er.
Dazu, dass die Gratis-Festivals jungen Künstler:innen helfen würden, Reichweite zu generieren meint Riegg: «Newcomer:innen können bei uns für einzelne Konzerte eingeben.» Wenn diese Konzerte ihnen wichtig seien, könnten sie selbst Gelder dafür beantragen – «dann würden wir es geben.» Denn: «Wenn die Band von sich aus die Wichtigkeit der Kulturförderung bekräftigt, dann müssen wir das nicht in Frage stellen.»
Dass die Mitglieder des DANZH insbesondere eine Diskrepanz darin sehen, dass die Stadt mit Geldern aus der öffentlichen Hand selbst eine Gratis-Konzertreihe veranstaltet, kann Riegg verstehen: «In meinen Augen passiert beim Stadtsommer aber nicht unbedingt dasselbe wie bei den Gratis-Festivals des DANZH.» Beim Stadtsommer gebe es zwar auch einen Getränkestand, aber beispielsweise kein Foodfestival drumherum: «Wenn wir den Anlass selbst veranstalten, können wir sicherstellen, dass die Musik im Zentrum steht – dass die Leute der Band wegen da sind.»
Eintritt für Kanton kein «Killerkriterium»
Auch der Kanton unterstützt in der Regel nur Projekte mit Publikumseinnahmen, im Gegensatz zur Stadt allerdings nicht auschliesslich. Der freie Eintritt sei für die Fachstelle Kultur des Kantons Zürich «kein absolutes Killerkriterium», sagt Tom Hellat, Leiter des Förderbereichs Musik. Er ist zwar der Meinung, dass Besucher:innen eigentlich für kulturelle Veranstaltungen zahlen müssen, es gebe aber auch Ausnahmen. Zentral für eine Förderung sei natürlich auch für den Kanton die Wertigkeit der Musik. Das Lauter Festival beispielsweise fördert der Kanton seit 2018 jährlich mit einem Musik-Projektbeitrag, wie die Tätigkeitsberichte der Fachstelle Kultur zeigen. Hellat möchte sich zu diesem spezifischen Fall jedoch nicht äussern.
Es geht um die Musik. Da scheinen sich Stadt, Kanton und der DANZH einig zu sein. Nur wann genau die Musik im Zentrum steht, darüber herrscht kein Konsens. Kann Musik im Mittelpunkt stehen, wenn die Zuhörer:innen keinen Rappen für sie bezahlt haben? Lenkt ein Gläschen Wein weniger von einem Konzert ab als eine Bratwurst? Wie fest muss sich das Publikum auf eine Performance konzentrieren, damit eine finanzielle Unterstützung der öffentlichen Hand gerechtfertigt ist und wie lässt sich diese Aufmerksamkeit messen? Was um Himmels Willen ist ein Musikfestival – und was einfach nur ein Festival?