Parteiapéro statt Gemeinderat: Stadtrat Leutenegger schwänzt Sitzungen

Der FDP-Stadtrat Filippo Leutenegger fehlt an einem Grossteil der Parlamentssitzungen. Dass er stattdessen lieber an Anlässen seiner eigenen Partei teilnimmt, sorgt für heftige Kritik.

Filippo Leutenegger Stadtrat
«Ein lächerlicher Vorwurf», sagt Leutenegger. (Bild: Tsüri.ch / PD)

Die Anwesenheitsquote von Stadtrat Filippo Leutenegger ist tief: Von den bisher fünf Gemeinderatssitzungen im aktuellen Jahr hat er nur an zwei teilgenommen. Für die anderen liess er sich entschuldigen und nahm stattdessen unter anderem an einem Apéro der FDP Kreis 8 teil, wie eine Instagramstory seiner Parteikollegin und Nationalrätin Bettina Balmer zeigt. 

Das Phänomen ist nicht neu, bereits im vergangenen Dezember hatte sein Interviewtermin mit dem Nebelspalter Vorrang.

Filippo Leutenegger ist nicht nur Vorsteher des Schul- und Sportdepartements, sondern auch Präsident der Kantonalpartei. Deshalb muss er immer mal wieder Interessen priorisieren: zugunsten der Stimmbürger:innen, die ihn gewählt haben – oder eben zugunsten seiner Partei. 

Abwesenheiten von Leutenegger seien «normal»

Auf die häufigen Absenzen angesprochen, ist Selina Walgis, Gemeinderätin der Grünen, nicht überrascht. Dies sei nichts Neues, «es ist normal und wird kaum kritisiert». 

Sven Sobernheim, Fraktionschef der GLP, ärgert sich über die vielen Absenzen des Stadtrates. Seiner Ansicht nach müssen Regierungsmitglieder jedes Mal an der Sitzung teilnehmen, auch wenn sie keine eigenen Geschäfte auf der Traktandenliste haben. 

Andere Stadträt:innen handhaben es so, dass sie die ersten eineinhalb Stunden anwesend sind und sich für danach entschuldigen lassen. Sobernheim bemängelt grundsätzlich die Verfügbarkeit von Leutenegger: «Bei der Planung der Traktanden müssen wir viel Rücksicht auf seine Abwesenheit nehmen.»

Natürlich könne es mal vorkommen, dass man wegen einer Aufgabe im Zusammenhang mit dem Stadtratsamt nicht an der Gemeinderatssitzung teilnehmen kann, sagt Walgis. Aber: «Wenn man wegen der Parteiarbeit oder gar einem Parteiapéro fehlt, dann geht das nicht». Der Grünen Politikerin zufolge ist es wichtig, dass die Stadträt:innen anwesend sind, um zu hören, was diskutiert wird und um auch mal ausserhalb der Traktandenliste mit den Parlamentarier:innen Themen besprechen zu können.

«Möchtegern-Patron»

Kritik kommt auch von David Garcia Nuñez, Fraktionschef der AL. Dass Leutenegger vielen Sitzungen fernbleibt, sei ein «absolutes No-Go». «Als Möchtegern-Patron über Zürich kann er sich alles leisten, was seinen Angestellten den Hals kosten würde.» Wer 60 Prozent der Sitzungen verpasst, würde entlassen werden, so Garcia Nuñez. 

Dass Leutenegger selbst dann einer Sitzung fernblieb, als es um einen von der FDP-Fraktion bekämpften Schulhausbau ging, macht Garcia Nuñez besonders wütend. 

Natürlich dürfe der Stadtrat ein Parteiapéro besuchen, sagt Sven Sobernheim. Doch: «Wir haben den Druck, Schulvorstösse abzubauen, oder nicht?», fragt er rhetorisch. Das Stadtratsamt sollte seiner Meinung nach höchste Priorität haben.

«Wäre richtig, dass er sein Amt abgibt»

Wenn der Stadtrat lieber an einem Parteiapéro teilnimmt, statt an der Ratssitzung, könne der Eindruck entstehen, dass die Partei wichtiger sei als die Gesamtheit der Bevölkerung, sagt auch SP-Co-Fraktionschef Florian Utz auf Anfrage.  

Das Amt des Parteipräsidenten sei nicht per se unvereinbar mit dem Stadtratsamt, findet Utz: «Es ist jedoch eine extrem untypische Situation und je mehr Terminkonflikte entstehen, desto kleiner ist die Vereinbarkeit der beiden Aufgaben.»

Die Kombination von Stadtrat und Parteipräsident in Personalunion lehnt der AL-Fraktionschef David Garcia Nuñez aus «demokratietechnischen Gründen» ab: «Wie soll denn der Stadtrat frei und kontrovers über einen Schulbau diskutieren können, wenn der FDP-Präsident am Tisch sitzt?»

Inhaltlich habe sich Leutenegger noch nie für sein Amt als Schulvorsteher interessiert, denkt Sobernheim, deshalb «wäre es richtig, dass er aufhört und sein Amt abgibt».

«Ein lächerlicher Vorwurf» 

Eine andere Perspektive hat Përparim Avidili, Präsident der Stadtzürcher FDP: «Wir haben keinen Anlass, an seiner Motivation zu zweifeln. Ganz im Gegenteil ist er auch parteiintern in schul- und bildungspolitischen Themen aktiv unterwegs.» 

«Mein Amt als Stadtrat geniesst in meiner politischen Arbeit die oberste Priorität.»

Stadtrat Filippo Leutenegger

Es gäbe regelmässig Absenzen von Stadträt:innen. Wichtig sei, dass diese bei ihren Geschäften anwesend seien und Stellung nehmen würden, was laut Avdili bei Leutenegger jederzeit der Fall ist.

Auch der Angegriffene selber verteidigt sich und schickt ein Statement mit der Bitte, dies nur als Ganzes zu publizieren: «Ein lächerlicher Vorwurf. Mein Amt als Stadtrat geniesst in meiner politischen Arbeit die oberste Priorität und ich bin nach wie vor voll motiviert. Falls ich Geschäfte im Gemeinderat zu vertreten habe, bin ich engagiert anwesend. Dass sämtliche Regierungsmitglieder im Parlament jeweils anwesend sein sollen, ist eine kuriose Eigenart der Stadtzürcher Politik, denn dies ist weder beim Regierungs- noch Bundesrat der Fall.  Ohne eigene Geschäfte anwesend zu sein, ist Kür nicht Pflicht.» 

Ob Leutenegger nächstes Jahr nochmals zur Wahl antritt, ist noch offen, wie er auf Anfrage mitteilt. Und sein Parteipräsident Avdili sagt, die FDP werde die Kandidaturen «zur gegebenen Zeit» präsentieren.

Ohne Deine Unterstützung geht es nicht.

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Medien. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Mittlerweile sind 2000 Menschen dabei und ermöglichen damit den Tsüri-Blick aufs Geschehen in unserer Stadt. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 2500 – und mit deiner Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für Tsüri.ch und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 8 Franken bist du dabei!

Natürlich jederzeit kündbar.

Jetzt unterstützen!
Simon Jacoby

An der Universität Zürich hat Simon Politikwissenschaften und Publizistik studiert. Nach einem Praktikum bei Watson machte er sich selbstständig und hat zusammen mit einer Gruppe von motivierten Journalist:innen 2015 Tsüri.ch gegründet und vorangetrieben. Seit 2023 teilt er die Geschäftsleitung mit Elio und Lara. Sein Engagement für die Branche geht über die Stadtgrenze hinaus: Er ist Gründungsmitglied und Co-Präsident des Verbands Medien mit Zukunft und macht sich dort für die Zukunft dieser Branche stark. Zudem ist er Vize-Präsident des Gönnervereins für den Presserat und Jury-Mitglied des Zürcher Journalistenpreises. 2024 wurde er zum Lokaljournalist des Jahres gewählt.

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare

Christoph
18. Februar 2025 um 15:49

Wäre auch richtig, wenn Corinne Mauch nach 16 Jahren frischen Wind in das Präsidium lässt