Kreislaufwirtschaft: Es ist nicht alles grün, was glänzt
Weil unser Konsum der Umwelt schadet, sollen Produkte länger genutzt und Abfall vermieden werden. Doch auch die Kreislaufwirtschaft hat ihre Tücken.
Sind sie leer, landen sie hier an der Baslerstrasse. Zu hunderten stapeln sie sich in den Kisten. Bereit, um ein weiteres Mal zu neuem Leben erweckt zu werden. Chimpy hat es geschafft. Ob am Kiosk oder in Selecta Automaten – die giftgrünen Powerbanks zum Ausleihen sind präsent.
Aus einer Idee vierer Freunde wurde in den vergangenen zehn Jahren ein Kleinunternehmen mit über 40 Mitarbeitenden. Ein System, das sich auch ökonomisch lohnt – obwohl bei der Gründung 2013 der ökologische Aspekt im Vordergrund stand.
«Wir wollten die Welt zu einer besseren machen», sagt Mirko Hofmann. Deshalb wird bei ihnen bis heute aus alten Konfitürengläser getrunken und auf Secondhand Möbeln gesessen. Der Mitgründer führt durch die Räumlichkeiten, nippt ab und zu an seinem Kaffee.
Vieles am Büro erinnert an eine Wohngemeinschaft junger Studierender: Über Hofmanns Pult baumelt ein Spiel für Nintendo 64, im Nebenraum ist eine Wand mit Fotos vom Team zugeklebt.
Komfortabel fürs Klima
In zwei Jahren würden sie umziehen, so Hofmann, und damit den nächsten Schritt in Richtung Professionalität wagen. Denn auch wenn einiges noch so wirke: Ein Start-up seien sie längst nicht mehr – zumindest nicht in der Schweiz. Hier sind die Powerbanks an 1200 Standorten erhältlich, für je 20 Franken. 15 Franken davon fungieren als Depot, das man bei der Rückgabe zurückerhält. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Akkus im Kreislauf bleiben. Die Rücklaufquote beträgt Hofmann zufolge etwa 80 Prozent.
Der Erfolg von Chimpy habe jedoch nichts mit dem Umweltbewusstsein der Kundschaft zu tun, erklärt das Mitglied des Managements: «Unser Produkt deckt vor allem das Bedürfnis danach, sein Handy aufzuladen. Es ist ‹convenient› – also komfortabler, als ständig eine eigene Powerbank mitzunehmen oder gar an einem stationären Kabel zu laden.» Dass das Wiederverwenden von Ressourcen auch das Klima schont, sei für die meisten zweitrangig.
Genau das verfolgt das Prinzip der Kreislaufwirtschaft. Statt Produkte oder Materialien nur einmalig zu nutzen, sollen sie so hergestellt werden, dass sie einerseits möglichst lange in einem Kreislauf bleiben und andererseits recycelt werden können.
Davon profitiere nicht nur die Umwelt, sondern auch die Schweizer Volkswirtschaft, heisst es beim Bundesamt für Umwelt (BAFU). Denn der Wert des Produkts soll in der Kreislaufwirtschaft so lange wie möglich erhalten bleiben.
Ideologie versus Wirtschaftlichkeit
In der Forschung und Politik ist man sich einig: Kreislaufwirtschaft ist die Zukunft. «Allen ist klar, dass wir so wie bisher nicht weitermachen können», sagt Christine Grimm von der Hochschule Luzern. «Circular Economy» ist eines ihrer Kernthemen. In den letzten Jahren habe sich diesbezüglich viel getan, sagt sie.
Zumindest in der Theorie: Laut dem Circularity Gap Report Switzerland waren 2023 erst sieben Prozent der Schweizer Wirtschaft zirkulär ausgelegt. Zu wenig, wenn man bedenkt, dass die Schweiz bis ins Jahr 2050 klimaneutral sein will.
Verschiedene Massnahmen, wie die Verbesserung des Abfallmanagements oder die Erhöhung der Nutzungsdauer von Produkten, sollen dazu führen, dass sich Kreislaufwirtschaft etabliert. Auch auf Kantons- und Gemeindeebene tut sich etwas: So hat sich die Stadt Zürich im Jahr 2023 und der Kanton 2024 dazu bekannt, Kreislaufwirtschaft stärker zu fördern und in Folge Strategien ausarbeiten lassen.
Christine Grimm begrüsst solche Bestrebungen. Die Politik sei ein wichtiger Hebel auf dem Weg zu einem nachhaltigeren Wirtschaftssystem: «Sie muss eine Umgebung schaffen, in der es sich für Unternehmen sowie Konsument:innen ökonomisch lohnt, auf zirkulär hergestellte Produkte zu setzen», so Grimm. Das sei die Kunst, der Knackpunkt der Kreislaufwirtschaft.
«Die Mehrheitsbevölkerung wird nicht mehr für ein Produkt bezahlen, nur weil es der Umwelt weniger schadet.»
Christine Grimm forscht zu «Circular Economy»
In ihrer Arbeit als Beraterin für Start-ups merke die Wirtschaftswissenschaftlerin immer wieder: «Viele Jungunternehmer:innen handeln aus einem ideologischen Gedanken heraus. Das ist zwar schön und gut, doch die Mehrheitsbevölkerung wird nicht mehr für ein Produkt bezahlen, nur weil es der Umwelt weniger schadet.»
«Kreislaufwirtschaft bietet nicht nur Vorteile»
Um die Voraussetzungen für Kreislaufwirtschaft zu verbessern, hat die EU vergangenen Frühling das Recht auf Reparatur eingeführt. Durch die neue Richtlinie sollen Produkte künftig so konstruiert werden, dass Einzelteile ersetzt werden können. Zudem müssen Unternehmen einen Reparaturservice anbieten.
Ob sich das für die Produzent:innen in jedem Fall lohnt, bezweifelt Grimm: «Die Arbeitskraft ist oftmals um ein Vielfaches teurer als die Rohstoffe.» Entsprechend sei es bei Produkten, die in der Herstellung günstig sind, weder für die Firmen noch die Kund:innen attraktiv, Waren aufbereiten zu lassen. Die Forscherin nennt als Beispiele Tablets oder Fernseher.
Es ist nicht die einzige Kritik, die sie gegenüber dem Prinzip äussert. «Kreislaufwirtschaft klingt nach der idealen Lösung. Dabei bietet sie nicht nur Vorteile – wie auch das lineare nicht nur Nachteile bringt.» Beispielsweise verbrauche die Aufbereitung von Produkten zusätzliche Energie, wie Strom oder Wasser.
Auch würde es Konsumierende dazu verleiten, mehr kaufen zu wollen, weil sie im Glauben sind, ein «nachhaltiges» Produkt zu wählen – obwohl sie dieses gar nicht brauchen. Solche Effekte müssten zwingend mitgedacht werden, warnt Grimm: «Nur so kann Kreislaufwirtschaft wirklich zu einer nachhaltigeren Zukunft beitragen.»
Für Mirko Hofmann und sein Team hat sich die Entscheidung, auf ein zirkuläres Produkt zu setzen, trotzdem gelohnt. Obwohl bei Chimpy noch vieles per Handarbeit erfolgt.
An diesem Tag sind acht Personen damit beschäftigt, die Akkus zu kontrollieren und zu reinigen, bevor sie zum Aufladen ins selbstentworfene Holzgestell gesteckt werden. Es passt ins Bild des Unternehmens, dass der Strom aus einer Solaranlage stammt. Auch wenn man im Laufe der Jahre gemerkt habe, dass es gar nicht so einfach sei, die Welt zu einer besseren zu machen – und gleichzeitig alle Löhne zahlen zu können.
In unserer Konsumgesellschaft gehen täglich Ressourcen, Materialien und Energie verloren. Sie landen im Abfall oder verpuffen. Eine Katastrophe fürs Klima. Ein Lösungsansatz ist die Kreislaufwirtschaft. Im Gegensatz zur linearen Wirtschaft ist das Ziel der Kreislaufwirtschaft, den Lebenszyklus von Produkten durch Wiederverwendung, oder Upcycling zu verlängern und im Kreislauf zu behalten.
Wie aber soll das funktionieren? Wo sind die grössten Hebel? Welche neuen Geschäftsmodelle ergeben sich daraus und wie machen wir konkrete Produkte langlebiger? Im September und Oktober widmet sich Tsüri.ch mit verschiedenen Partner:innen dem Thema und organisiert dazu fünf spannende Veranstaltungen.