Danke für nichts, liebe Immobilienlobby

Die Wohnungsnot in Zürich geht auch an unserer Kolumnistin Jane Mumford nicht spurlos vorbei. Dabei wäre Wohnen doch ein Grundrecht – oder nicht?

«Was war zuerst: Das Angebot oder die Nachfrage?», fragt sich unsere Kolumnistin Jane Mumford. (Bild: Lara Blatter)

Heute ist in Zürich Wohndemo und ich werde teilnehmen. Denn unsere Wohngemeinschaft muss sich bald auflösen. Völlig grundlos. Danke, liebe Pensionskasse.

Danke für drei Jahre Missverständnisse, Anrufe ignorieren, am Telefon angeschnauzt werden, keine Antworten liefern, sich nie zurückmelden und den Schimmel im Bad als Problem für die Zukunft abhaken. Man nennt sich Verwaltung, aber benimmt sich wie die schlechteste Beziehungspartnerin ever. 

Und dann «dumpt» sie auch noch uns! Gut, wir hatten uns auch auf einen befristeten Vertrag eingelassen, bei dem man jegliche Widerspruchsrechte abgibt, sobald man unterschreibt. Aber wir hatten damals schlicht keine Wahl. Nach einem halben Jahr Wohnungssuche waren wir verzweifelt, liessen uns auf das ein, was möglich war.

Und das war halt toxisch. Krass, dass es das überhaupt geben darf. Danke, liebe Immobilienlobby.

Die Wohnverhältnisse in Zürich sind generell ziemlich ungesund geworden. Letzten September kam durch eine Immobilienstudie der Raiffeisen Bank ans Licht, dass die Mieten 2024 so stark gestiegen sind, wie in 30 Jahren nicht mehr. Kein Wunder: es gibt auch immer mehr Ersatzneubauten und Luxuswohnungen für wohlverdienende Menschen, von denen es in den letzten 20 Jahren wiederum auch immer mehr gibt.

Jetzt kann man sich durchaus fragen: Was war denn zuerst beim Luxus? Das Angebot oder die Nachfrage? 

Bei der Antwort sicher nicht irrelevant: Big Tech. Seit Zürich Google dazu verlockte, 2004 seinen europäischen Hauptsitz hierhin zu verlegen, hat der Konzern mehr als 5000 Angestellte in meine Lieblingskreise reingepumpt. Und die haben ziemlich gute Löhne.

Bei einem Jahreseinkommen von über 200'000 kannst du als Softwareentwickler:in auch locker so viel Wohnraum besetzen wie vier Menschen mit Mindestlohn.

Wer sich dann noch darüber aufregt, dass Menschen einwandern, die in extrem systemrelevanten Jobs arbeiten, sollte sich viel weniger darüber aufregen, wenn diese ihre drei Familienmitglieder zu sich holen, als wenn ein:e einzige:r Softwareentwickler:in auf doppelt so viel Wohnraum einen zehntel so systemrelevant ist – und wahrscheinlich erst noch im Verhältnis weniger Steuern zahlt. Just saying.

«Das Recht auf Wohnen ist zwar ein Menschenrecht, aber du gell, steht halt nicht direkt so in unserer Verfassung.»

Jane Mumford

Gemäss einer Studie des Mieterinnen- und Mieterverbands (MV) werden jeden Monat im Schnitt 350 Franken zu viel pro Mietperson eingezahlt. Schweizweit spricht der Verband von zehn Milliarden ungerechtfertigten Mietkosten pro Jahr.

Wisst ihr, was man mit zehn Milliarden alles machen könnte? Ziemlich viele bezahlbare Wohnungen bauen, zum Beispiel! 

Dabei hätten wir schon ziemlich gute Regelungen für Mietkosten, wenn sich alle dran halten würden und es irgendeine Form von Kontrolle gäbe. Was letztes Jahr zur Abstimmung vors Volk kam, schien in eine gute Richtung zu zeigen. Aber vieles wird auch ohne uns geregelt.

2020 hat das Bundesgericht hingekriegt, dass die Nettorendite für Vermieter:Innen statt 0,5 Prozent ganze 2 Prozent über dem Referenzzinssatz liegen darf (super Timing, da wir dank der Pandemie alle drinnen sein mussten und ziemlich angewiesen waren auf stabilen Wohnraum) und neu darf er gemäss dem MV sogar 3,5 Prozent darüberliegen.

Das Bundesgericht verfolgt im Alleingang eine Politik, die wegen des Referendumsrechts nie durchs Parlament kommen würde. Tja, schöne demokratische Welt, in der wir leben. Oder gerne leben würden, aber es ist zu teuer!

Das Recht auf Wohnen ist zwar ein Menschenrecht, aber du gell, steht halt nicht direkt so in unserer Verfassung. Schade eigentlich, denn wie die SP-Nationalrätin Jaqueline Badran pflegt zu sagen: «Man kann ja nicht nicht wohnen.»

Oder eben doch? In San Francisco sind die Mieten in den letzten zehn Jahren um 24 Prozent gestiegen. Die Obdachlosigkeit stieg in genau derselben Zeitspanne schon um 11 Prozent, obwohl die Effekte des Preisanstiegs vermutlich noch verzögerter stattfinden werden und sich wahrscheinlich erst in den nächsten Jahren voll entfalten werden.

Wie Zürich wohl in den nächsten zehn Jahren aussehen wird? Werden wir ein kleines WG-Zimmer für 1500 Franken als günstig bezeichnen? Wird es noch Altbauten geben, mit Efeu und bröckelnder Fassade? Oder werden wir immer mehr bezahlbare Cluster- und Satellitenwohnungen beziehen können? Es liegt auch ein Stück weit in unseren Händen.

See you at the Demo.

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