Warum wir unsere Altersvorsorge vom Immobilienmarkt entkoppeln müssen
Schweizer Pensionskassen investieren ein Viertel ihres Vermögens in den Immobilienmarkt. Deshalb wird oft davor gewarnt, den renditeorientierten Immobilienmarkt anzutasten. Aber: Profitieren wirklich alle von den Entwicklungsstrategien der Pensionskassen? Unsere Kolumnistinnen von Mieten-Marta sind dieser Frage nachgegangen.
Wenn ich wegen der Wohnkrise den Immobilienmarkt kritisiere, heisst es oft: «Es geht halt nicht anders, weil unser aller Altersvorsorge ist auf hohe Renditen durch Immobilen angewiesen!» Das Argument kommt oft sogar von links. Wie mich das ärgert. Weil erstens ist das ungenau: «Unsere aller Altersvorsorge» besteht ja bekanntlich aus mehreren Säulen und die solidarische AHV ist dank des Umlageverfahrens (Beiträge fliessen direkt in Renten) nicht auf den Immobilienmarkt angewiesen. Es sind die Pensionskassen (PK), von denen wir gar nicht «alle» profitieren, die Unsummen in Immobilien investieren.
Und zweitens sind diese Investitionen nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems: Die PK treiben die Mieten hoch, verdrängen Rentner:innen und produzieren Ungleichheiten. Aber der Reihe nach.
1. Ein Viertel der PK-Gelder liegen im Immobilienmarkt.
Die privaten Pensionskassen (PK) sichern deine ganzen Beiträge über die Jahrzehnte bis zu deiner Rente. Sie häufen so ein riesiges Vermögen an (über 1150 Milliarden!), welches sie profitabel anlegen müssen. Und fast ein Viertel dieses Pensionskassen-Vermögens liegt in Immobilien.
So gehört fast ein Fünftel aller Mietwohnungen den Pensionskassen. Und damit das PK-Vermögen wächst, brauchen die PK hohe Renditen auf ihren Immobilien. Und wie erzielt man hohe Renditen? Mit hohen Mieten. Das bedeutet: Die Mieter:innen der Pensionskasse-Wohnungen bezahlen mit ihren hohen Mieten in die Renten von vielen anderen mit. Doch von wem eigentlich?
2. Viele haben keine oder nur sehr kleine PK-Renten.
Von den Pensionskassen-Geldern profitieren wir nicht alle gleichermassen. Denn wir haben nicht alle eine Pensionskasse, oder wir haben nur sehr wenig Geld in der PK. So hat zum Beispiel ein Drittel aller Frauen gar keine eigene Pensionskasse und die anderen bekommen nur halb so viel PK-Rente als Männer (Stichwort: Gender Rent Gap). Trotzdem müssen sie mit ihren Mieten die Renten der anderen finanzieren? Das ist unhaltbar.
3. Für viele geht die Pensionskasse-Rente für die Miete drauf.
Auch Menschen, die von der Pensionskasse etwas Rente bekommen (werden), müssen sich fragen, ob diese Entwicklung zielführend ist. Denn ist das nicht ein Teufelskreis? Die Mieten steigen, weshalb die Renten steigen müssen, was wiederum die Mieten in die Höhe treibt und so weiter. Wer also nur ein geringes Pensionskassen-Vermögen hat, würde unter Umständen mehr von tiefen Mieten profitieren als von dem vergleichsweise geringen PK-Vermögen.
Dabei wäre die beste Altersvorsorge doch tief bleibende Fixkosten, also insbesondere tiefe Mietzinse! Was nützt es denn Ursina und Peter Wohin-Bloss, wenn sie zwar eine kleine Rente bekommen, sich dafür aber sich nirgendwo mehr eine Wohnung leisten können?
Dass das Ziel der PK nicht bezahlbare Wohnungen sind, zeigt sich auch darin, dass Pensionskassen «mangels attraktiver [...] Investitionsmöglichkeiten vermehrt in den eigenen Gebäudebestand investieren» – soll heissen, dass sie im Namen ihrer Rendite-Ziele ihre bestehenden Wohnungen vergolden und danach für viel höhere Mietzinse neu vermieten. Besonders perfide: Ich kenne mittlerweile viele Menschen, die von ihrer eigenen PK aus ihrem Zuhause gekündigt wurden, zwecks Aufwertung!
4. Renten für Reiche vertreiben ärmere Rentner:innen.
Das klingt nicht fair – aber es kommt noch schlimmer: Wer wenig Geld hat, wohnt eher zur Miete, Reiche wohnen eher im Eigenheim. Das heisst: Es sind Menschen mit kleinem Portemonnaie und kleinen Renten, die mit ihrer Miete vor allem die Renten der Reicheren sichern. PK-Gelder in Wohnraum zu investieren, resultiert also in einer Art Umverteilungsmaschine von Arm zu Reich.
5. Die Kosten des Pensionskassen-Systems sind enorm.
Doch selbst wenn ihr jetzt zu all dem findet: «Ach, Mieten-Marta, übertreibe mal nicht», dann habe ich noch ein Argument in petto. Denn wie neusten Zahlen erahnen lassen, bezahlen wir mit den hohen Mieten nicht einmal «nur» die Renten, sondern obenauf noch exorbitant hohe Verwaltungskosten und Gewinne!
Jährlich verwenden Pensionskassen nämlich 6,8 Milliarden Franken für die Verwaltung – drei Viertel davon für die Vermögensverwaltung (siehe NZZ). Eine aktuelle Recherche von den beiden Journalisten Danny Schlumpf und Mario Nottaris geht sogar davon aus, dass jährlich etwa 20 Milliarden Franken aus dem PK-Vermögen in die Finanzindustrie abfliessen (siehe «Das Rentendebakel» oder die Video-Zusammenfassung von Flavien Gousset). Wie viel es ganz genau ist, weiss leider niemand, weil dafür die Transparenz fehlt. Sicher ist aber: Die AHV ist mit etwa 220 Millionen Franken pro Jahr viel effizienter.
Es heisst, dass 10 Prozent der im Geschäft der beruflichen Vorsorge erzielten Erträge direkt von den Versicherungen und ihren Aktionär:innen abgezwackt werden dürfen (Stichwort: Legal Quote). Ich behaupte also: Es ist kein Zufall, dass sich dieses ineffiziente und unsolidarische Pensionskassen-System so hartnäckig hält. Es wurde von den Profiteur:innen eingeführt und seither von denselben verteidigt. Eine gute Quelle dafür ist der SRF-Dokumentarfilm «Das Protokoll» (aktuell leider nicht in der Mediathek verfügbar).
Was machen wir nun mit alledem? Also ich persönlich schliesse daraus, dass wir als Gesellschaft dringend überdenken sollten, wie und wo wir unsere Altersvorsorge investieren. Und dass es höchste Zeit ist, den Immobilienmarkt von unserer Altersvorsorge zu entkoppeln.
Habt ihr auch Meinungen und Ideen? Dann schreibt mir doch auf Instagram oder an [email protected]. Ich freue mich.
PS: Ein Bonus-Argument für alle Buchhaltung-Nerds habe ich noch!
Ein weiteres Problem ist nämlich die Art und Weise, wie Pensionskassen ihre Rendite berechnen müssen: 2004 wurden die Rechnungslegungsvorschriften der PK so geändert, dass nicht mehr der ursprüngliche Anlagewert, sondern der aktuelle Marktwert bilanziert werden muss und als Basis für die Berechnung der Rendite dient.
Ihr könnt euch vorstellen: Der Anlagewert ist tiefer als der Marktwert! Diese bürokratische Änderung führt also dazu, dass die Immobilien der PK in ihren Büchern auf einen Schlag viel mehr wert waren, und ihre Renditen dadurch automatisch kleiner wurden. Ein Rechenbeispiel: Ich habe ein Haus für 1 Million Franken in den Büchern, mit den Mieteinnahmen mache ich jährlich 50’000 Franken Gewinn, das entspricht einer Rendite von 5 Prozent. Steht dasselbe Haus nun plötzlich für 5 Millionen in den Büchern, habe ich mit den gleichen Mietverträgen plötzlich nur noch 1 Prozent Rendite. Ich habe aber Renditeziele zu erfüllen, das ist mein Job. Also kündige ich den Mieter:innen und plane eine Totalsanierung, um anschliessend viel höhere Mieten verlangen zu können. Na bravo.
Mieten-Marta |
Die Mieten-Marta steht für das Recht auf Wohnen. Sie ist eine Figur, die sich für bezahlbaren Wohnraum in Zürich und gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung einsetzt. Auf ihrem Blog und unregelmässig auf Tsüri.ch veröffentlicht sie Recherchen, Analysen und manchmal auch einfach hässige Kommentare. Hinter der Figur steckt ein Kollektiv von Mieter:innen. Diese Tsüri-Kolumne schrieben Sabeth Tödtli und Antonia Steger im Namen der Mieten-Marta. Kontaktieren kann man sie via [email protected]. |
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