Ein Haus, viele Meinungen: Zürcher GLP ringt mit dem Vorkaufsrecht

Vorkaufsrecht? Vielleicht. Im Kanton wird eine bekannte Wohninitiative debattiert, doch innerhalb der Zürcher GLP herrscht Uneinigkeit.

2013 erwarb die Stadt das Koch-Areal von der UBS. Eine Initiative will, dass Gemeinden immer Vorkaufsrecht haben, wenn es darum geht, Boden von Privaten abzukaufen. (Bild: Isabel Brun)

Meinungsvielfalt, oder je nach Perspektive auch Uneinigkeit, ist bei den Grünliberalen schon fast Wahlversprechen. Das zeigte sich zuletzt bei einem Thema, das die Zürcher Bevölkerung wie kaum ein anderes umtreibt: Wohnen.

Ende Juni diskutierte der Kantonsrat über das Vorkaufsrecht. Die Initiative will den Gemeinden das Recht einräumen, bei Land- und Liegenschaftsverkäufen auf ihrem Gemeindegebiet als Erstes zuschnappen zu können, bevor diese auf den Markt kommen.

Innerhalb der kantonalen GLP bestand Uneinigkeit, weshalb am Ende Stimmfreigabe beschlossen wurde. Zuvor hatte die Fraktion gemäss Tages-Anzeiger einem abgeschwächten Gegenvorschlag der EVP ihre Stimmen verwehrt, sodass dieser keine Mehrheit fand. Schlussendlich lehnte eine Mehrheit des Kantonsrats die Vorkaufsrechtinitiative ab.

Soweit nichts Ungewöhnliches, bis auf dieses Detail: Im Komitee der Vorkaufsrecht-Initiative sind fünf GLP-Kommunalpolitiker:innen aufgeführt, darunter auch die neue Zürcher Stadtratskandidatin Serap Kahriman.

Stadtratskandidatin ist Mitglied im Initiativkomitee

Die Nachwuchshoffnung Kahriman muss die Wähler:innen in der Stadt überzeugen, für die das Thema «Wohnen» Jahr für Jahr die grösste Sorge darstellt.

Ob die uneinheitliche Haltung der GLP ihre Kandidatur schwächt? Kahriman wiegelt ab: «Wir vertreten keine starren Parteilinien, sondern führen differenzierte Diskussionen und respektieren verschiedene Meinungen.» Besonders bei der komplexen Wohnpolitik zeuge dies von Offenheit, so die Gemeinderätin.

Sie bleibt dabei: Angesichts der Wohnungsnot müssten verschiedene Ansätze geprüft werden. «Das Vorkaufsrecht gehört für mich unbedingt dazu.»

Danach gefragt, ob sie den Widerspruch mit den Kolleg:innen auf kommunaler Ebene bewusst in Kauf genommen habe, antwortet die kantonale Organisation unverbindlich. Zur Stimmfreigabe sei es gekommen, nachdem man «alle Vor- und Nachteile abgewogen» habe, wie Nora Ernst, Co-Präsidentin der GLP Kanton Zürich, schreibt. In der Partei sei die Gewichtung der Argumente zwischen dem Erwerb von knappem Wohnraum und dem Eingriff in die Eigentumsrechte unterschiedlich ausgefallen.

Städtische GLP will Vorkaufsrecht voraussichtlich unterstützen

Vielleicht ist die Unentschiedenheit der GLP in Sachen Wohnpolitik für die Partei tatsächlich gar kein allzu grosses Problem. Denn wie der Politologe Oliver Strijbis festhält: «Die typischen GLP-Wähler:innen dürften sich selber nicht einig sein.»

Strijbis ist Professor für Politikwissenschaft an der Franklin University Switzerland bei Lugano. Er sagt, typischerweise würden Wähler:innen sich aufgrund ihrer ökologischen und proeuropäischen Positionierung für die Zentrumspartei entscheiden. Ein Wahlkampf, der sich stark auf Wohnthemen fokussiert, wäre für die Grünliberalen daher ohnehin nicht förderlich. Die Partei würde mehr profitieren, wenn Umweltschutz oder die Bilateralen im Zentrum stünden, meint Strijbis.

Für die Wahrnehmung der Wähler:innen sei die nationale und kantonale Partei zwar sehr wichtig. Gerade bei Exekutivwahlen auf lokaler Ebene seien aber auch Abweichungen möglich, gerade wenn Kandidierende besonders bekannt oder beliebt sind.

Auf städtischer Ebene deutet sich nun eine klarere Linie an.

Nicolas Cavalli, Co-Präsident der GLP Stadt Zürich, schreibt auf Anfrage, das Thema sei früh und intensiv in der Fraktion diskutiert worden. Die Mehrheit der Mitglieder erachte das Vorkaufsrecht als gezieltes Mittel für eine nachhaltige und faire Stadtentwicklung. Deswegen werde die GLP Stadt Zürich «mit grosser Wahrscheinlichkeit» bald die JA-Parole fassen. Da die Initiative voraussichtlich nicht zurückgezogen wird, wird schlussendlich das Stimmvolk zwischen Initiative und Gegenvorschlag entscheiden.

Die kantonale GLP wiederum hat nach der Abstimmung im Kantonsrat ein Massnahmenplan zur Wohnkrise veröffentlicht. «Die Wohnbaupolitik ist stark polarisiert – das können wir uns nicht länger leisten», schreibt die Co-Präsidentin Ernst. Anstatt «nicht durchdachter Scheinlösungen» brauche es jetzt ein breit gefächertes Massnahmenpaket.

Denn: «In Zürich herrscht Wohnungsnot.» Zumindest in diesem Punkt sind sich alle einig.

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2023-05-02 Nina Graf Portrait-13

Aufgewachsen am linken Zürichseeufer, Studium der Geschichte, Literatur- und Medienwissenschaft an den Universitäten Freiburg (CH) und Basel. Sie machte ein Praktikum beim SRF Kassensturz und begann während dem Studium als Journalistin bei der Zürichsee-Zeitung. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin untersuchte sie Innovationen im Lokaljournalismus in einem SNF-Forschungsprojekt, wechselte dann von der Forschung in die Praxis und ist seit 2021 Mitglied der Geschäftsleitung von We.Publish. Seit 2023 schreibt Nina als Redaktorin für Tsüri.ch.

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