Schützengesellschaft Stadt Zürich: Die Gastgeber:innen der grössten Chilbi

Dieses Wochenende findet im Albisgütli das Knabenschiessen statt. Organisiert wird das Fest seit 400 Jahren von der Schützengesellschaft der Stadt Zürich. Tsüri.ch war vor Ort zu Besuch.

Knabenschiessen Schützengesellschaft
Heinz Büttler, Schütze und Chef in Aktion. (Bild: Nina Graf)

Am Wochenende findet Zürichs grösstes Volksfest statt, doch für diesen Mann ist das ganze Jahr über Chilbi. Heinz Büttler steht vor dem improvisierten Baracken-Büro, das im Albisgütli aufgebaut ist. Es ist Mittwoch vor dem Knabenschiessen.

Büttler trägt eine gelbe Leuchtweste, auf dem Rücken stehen Funktion und Rang: Platzmeisterei, Chef. Der Mann hat einen festen Händedruck und eine Stimme, die es gewohnt ist, die Richtung vorzugeben. Das «Du» ist mehr Ansage als Frage. «Säg mir Heinz» sagt er und schon laufen wir los.

Im Organisationskomitee des Fests gibt es auch einen Chef Knabenschiessen, aber Heinz ist derjenige, bei dem alle Fäden zusammenlaufen. Sein Einsatz erstreckt sich über das ganze Jahr. Er lädt die Schausteller:innen ein, organisiert den Platz, koordiniert mit Polizei, Stadt, dem Feuerschutz.

Immer in der Hand hält er den Plan des Festgeländes. Darauf ist der Standplatz von jedem einzelnen Wagen eingetragen. «Die Choreografie muss stimmen», sagt Heinz. Es ist wie auf der Arche; von allen «guten Bahnen» gibt es zwei. Zwei Geisterbahnen, zwei Falltürme, zwei Autoscooter. «Vor allem in der Nacht, wenn alles beleuchtet ist, soll die Chilbi gut aussehen.» 

Knabenschiessen Albisgütli
Hochbetrieb für den Aufbau der grössten Chilbi von Zürich und vielleicht auch der Schweiz. (Bild: Nina Graf)

Am Mittwoch und am Donnerstagvormittag treffen die letzten Wagen ein, danach folgt einen Sicherheitscheck. Den hat Heinz selbst angeordnet für jene Stände, bei denen der Chef noch einmal zusätzlich sicherstellen will, dass alles korrekt ist. Oder wie Heinz sagt: «Luege, dass die Sach auch verhebt.» 

Dass Büttler im Militär war, ahnt man, bevor er es kurz nach dem Kennenlernen selbst anspricht. 45 Jahre war er im Dienst, 30 davon als Berufsoffizier. Und übers Militär und das Schiessen kam er, obwohl ursprünglich aus Solothurn, zur Schützengesellschaft der Stadt Zürich und so dann zum Amt des Platzmeisters. 

Schütz:innen organisieren die grösste Chilbi

Das Knabenschiessen ist die grösste Chilbi im Kanton, gemäss ihrem Platzchef sogar die grösste zusammenhängende Chilbi der Schweiz, bezogen auf das Areal. Mit ihren 400 Jahren ist sie auch nicht gerade die Jüngste. 1656 ist die erste «Knaben Schiesset» überliefert. 144 Knaben haben damals teilgenommen und seit 1991 dürfen auch Mädchen um den Preis schiessen.

Noch älter als das Volksfest ist aber die Organisation dahinter. Gastgeberin des Volksfests ist seit jeher die Schützengesellschaft der Stadt Zürich.

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Knabenschiessen in schwarz-weiss, 1966. (Bild: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv / Fotograf: Metzger, Jack / Com_L15-0678-0003 / CC BY-SA 4.0)

Die Ursprünge der Schützengesellschaft reichen bis ins 15. Jahrhundert. Mit über tausend Mitgliedern ist sie heute einer der grössten Schützenvereine. Davon sind nur etwa 20 Prozent sogenannte «Aktive», die für den Verein in verschiedenen Disziplinen schiessen. Die anderen beteiligen sich an verschiedenen Aktivitäten, wie zum Beispiel der Hirsebreifahrt, einer historischen Schifffahrt von Zürich nach Strassburg. 

Der grösste Anlass aber ist das Knabenschiessen. Damit dieses Jahr für Jahr stattfinden kann, braucht es die freiwillige Arbeit von 300 Vereinsmitgliedern.

Knabenschiessen Schützengeselslchaft
Freiwilligenarbeit gehört in der Schiessgesellschaft dazu: Pascal Arnet, Elsi Meier, Heinz Büttler, Barbara Brägger, v.l. (Bild: Nina Graf)

«Die Schützengesellschaft Zürich ist nicht nur ein typischer Schützenverein, sondern eine Gesellschaft, die sich um den Erhalt von alten Traditionen kümmert», erzählt Stefan Bachmann am Telefon. Der 37-Jährige war 2003 selbst Schützenkönig am Knabenschiessen und hat heute das Amt des Kommunikationsverantwortlichen inne. Derzeit erledigt Bachmann diese Arbeiten aus der Ferne, er leistet gerade einen WK-Einsatz.

Übers Militär zum Hobby

Für Büttler und Bachmann und viele andere Schütz:innen war das Militär der Einstieg in den Schützenverein, hier erledigten sie die obligatorischen Schiessübungen. Das hat Folgen: Bis heute besteht die Gesellschaft mehrheitlich aus Männern und bis heute ist das Vereinsleben militärisch geprägt. 

«Bevor man bei uns an einer Sitzung das Wort ergreift, begrüsst man den Obmann und die geschätzten Kameradinnen und Kameraden», erklärt Büttler. Neben dem Platzmeister, gibt es auch eine Stubenmeisterin, die sich um Verwaltung und Unterhalt der Schiessanlage kümmert und der Obmann ist das, was woanderswo Vereinspräsident:in genannt wird.

Knabenschiessen Albisgütli
Das bekannte Gasthaus hinter dem Riesenrad. (Bild: Nina Graf)

Oberhalb des Festgeländes, hinter dem Riesenrad mit dem Schweizerkreuz, thront das Gasthaus Albisgüetli. Das wird das von der Schiessgesellschaft an ein Gastrounternehmen verpachtet. Hier findet einmal pro Jahr das Country Music Festival statt und das Gebäude mit seinen Türmchen und Zinnen ist auch alljährlich auf der Einladung zum Parteitag der SVP zu sehen.

Angesprochen auf das konservative Image des Albisgütli meint Stefan Bachmann: «Die SVP kommt nicht zu uns als Schiessgesellschaft, sondern hält ihre Tagung im Albisgütli ab. Natürlich haben wir auch Mitglieder der SVP im Verein, aber auch aus anderen Parteien.» Es sei aber vermutlich schon so, dass sie als Schiessverein eher den bürgerlich geprägten Gesellschaftsteil ansprechen. 

Der Geist von Blocher am Albisgütli

Als «Kraftort der blocherschen SVP», hat die NZZ dieses Stück Stadt einmal bezeichnet. Hier beschloss die SVP 1992 die Nein-Parole zum Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum. Und so ganz scheint dieser Geist nicht vom Albisgütli verschwunden. Stichwort Inländervorrang. 

Am diesjährigen Knabenschiessen gibt es nur zwei Stände, die von ausländischen Schausteller:innen betrieben werden – und das ist gewollt so. «Wenn es Schweizer gibt, die ein Fahrgeschäft haben, dann geben wir ihnen auch den Platz und nicht jemandem von ausserhalb», sagt der Platzchef.

Kommunikationschef Bachmann formuliert diesen Anspruch etwas weniger politisch: «Das Knabenschiessen ist ein Zürcher Fest und deswegen soll das lokale Gewerbe hier zeigen, was es kann.»

Und trotzdem steht dieser Wunsch in schon fast komischem Widerspruch zur unmittelbaren Umgebung des Albisgütli - Wiedikon; Schmelztiegel der Kulturen und Religionen, ehemaliges Arbeiter:innenviertel und heute Gentrifizierungs-Hotspot. Und auch das Knabenschiessen selbst widersetzt sich dem Anspruch. Ein Grossteil der Menschen, die hier an den Bahnen arbeiten, kamen vermutlich irgendwann von «ausserhalb» nach Zürich.

Knabenschiessen Albisgütli
Die Schweiz der Gegenwart ist auch auf dem Albisgütli angekommen. (Bild: Nina Graf)

Die Runde über das Festgelände dauert etwa vierzig Minuten, denn alle paar Schritte wird der Platzmeister angehalten. Heinz hier, Heinz da. Immer wieder klingelt das Telefon. Der Anrufer kommt mit einer Lieferung und sucht den Weg zum Albisgütli. «Wüsseder wod Schüsssaahlag isch?» Doch das scheint im Zürich des Jahres 2024 keine geläufige Orientierungshilfe mehr zu sein. Die Person am anderen Ende der Leitung scheint es jedenfalls nicht zu wissen, und so muss der Platzmeister die Adresse ins Navi diktieren.

Wandel im Schiesssport

Doch Wandel kündigt sich an. Die einzige Goldmedaille für die Schweiz an den Olympischen Spielen schoss dieses Jahr Chiara Leone im 50 m Dreistellungskampf, 2020 stand ihre Teamkollegin Nina Christen zuoberst auf dem Podest. Zwei junge Frauen als neue Gesichter einer traditionellen Sportart.

Bringt das jetzt auch Nachwuchs in die Schützengesellschaft? Das sei schwer abzuschätzen, meint Bachmann. «Aber eine Goldmedaille ist sicher die beste Werbung.» Altersmässig seien die Schütz:innen schon seit vielen Jahren breit gefächert und umfassten alle von Jung bis Alt. Und im Gegensatz zum Knabenschiessen mit einer Verteilung von einem Drittel Mädchen und zwei Dritteln Knaben sei die Geschlechterzusammensetzung bei den Jungschütz:innen heute viel ausgeglichener. In den Schnupperkursen hätten sie teilweise schon mehr Mädchen als Knaben.

Ob die goldene Werbung der olympischen Spiele schon bis nach Zürich wirken, wird sich schon am nächsten Montag zeigen. Dann wird im Albisgütli auch dieses Jahr wieder Zürichs beste Jungschütz:in gekürt.

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