Tanzende Kinder: «Kunst, die man ernst nehmen sollte»

Ein Projekt an der Gessnerallee in Zürich will der Jugend die Tanz- und Theaterszene näherbringen. Reinschnuppern in eine Welt, die einem sonst verborgen bleibt.

Zwei Wochen lang studieren die jungen Teilnehmer:innen die Tanzschritte ein. (Bild: Isabel Brun)

Ashly dreht ihren Kopf nach links, schwingt beide Arme in die Höhe, macht einen grossen Schritt nach vorne, schliesst kurz die Augen. Die laute Musik schluckt jedes Geräusch.

Hier ist das Mädchen in einer anderen Welt, weit weg vom Stress mit der Familie, Prüfungsdruck, der Angst, nicht dazuzugehören. Hier ist Ashley nur eines: eine Tänzerin.

Zwei Wochen lang proben Kinder und Jugendliche im Rahmen des Projekts «Kids in Dance» in der Gessnerallee eine Performance, die sie am Ende einem öffentlichen Publikum präsentieren. «Wir sind ein sozio-kulturelles Projekt», sagt Bettina Aremu, «aber wir sind eben auch Kunst, die man ernst nehmen sollte.»

Für diese Akzeptanz setzt sich die Sozialpädagogin ein; zusammen mit der Choreografin Sabine Schindler und ihrem Team. 

Kostenlose Teilnahme, professionelles Setup

Seit 2020 führt der Verein während den Schulferien Workshops für Kinder und Jugendliche durch. Mal in Baden, in Luzern oder eben in Zürich. Wichtig dabei: Obwohl die Teilnahme kostenlos und keine Tanzerfahrung erforderlich ist, finden die Proben nicht in Mehrzweckhallen oder Gemeinschaftszentren statt, sondern in Theaterhäusern. 

«Wir wollen den Jugendlichen das Gefühl geben, dass das, was sie zu zeigen haben, einen grossen Wert hat.»

Bettina Aremu, Sozialpädagogin

«Uns ist es wichtig, dass wir den Jugendlichen einen Zugang zu Theaterhäusern ermöglichen», erklärt Aremu. Viele der Teilnehmenden hätten in ihrem Alltag nur wenig Berührungspunkte mit der kulturellen «Bubble» in Zürich, die meisten von ihnen waren selbst noch nie an einer professionellen Tanzvorstellung.

Deshalb begleitet auch eine Musikverantwortliche sowie ein:e Techniker:in die Proben, es gibt jedes Mal ein neues Thema, ein passendes Bühnenoutfit und Requisiten. «Wir wollen den Jugendlichen das Gefühl geben, dass das, was sie zu zeigen und zu sagen haben, einen grossen Wert hat», so Aremu. 

Amen (links) kam durch ihre Cousine zum Projekt. (Bild: Isabel Brun)

Gleichzeitig gehe es auch darum, die Kulturszene zu sensibilisieren. Aremu spricht dabei von einem Wechselspiel, einem Prozess, der auch das Theater verändert. An den Aufführungen seien viele im Publikum erstaunt, wie divers die Gruppen bei «Kids in Dance» sind: in Bezug auf ihre Herkunft, ihr soziales Umfeld, ihre Lebensrealitäten.

Dabei würden sie oft ziemlich genau die Gesellschaft abbilden – im Gegenteil zu professionellen Tanzgruppen, sagt die Pädagogin: «Auch nicht-professionelle Kunstformen haben einen Platz in der hiesigen Kulturlandschaft verdient.»

Tanzen statt Skifahren

In der Gessnerallee wurde die Musik ausgemacht. Jamiro springt aufs Sofa im Backstage Bereich. Der quirlige Junge hatte während der Choreo Mühe, sich zu konzentrieren und scheint nun froh um eine kleine Verschnaufpause. Trotzdem mache ihm das Tanzen Spass, erzählt der 12-Jährige. «Am ersten Tag war ich der einzige Bub, das fand ich etwas doof. Aber jetzt ist Naol hier.»

Naol kommt dazu, schiebt sich seine Brille zurecht. Er sei in den Ferien meistens alleine Zuhause, sagt der Primarschüler. Dass er jetzt jeden Tag mit der Tanzgruppe verbringen kann, findet er deshalb super. 

Bettina Aremu (links) und Sabine Schindler wollen Jugendlichen neue Perspektiven bieten. (Bild: Isabel Brun)

Kinder wie Jamiro und Naol aufzufangen, sei das Ziel des Vereins, sagt Bettina Aremu: «Nicht alle haben die Möglichkeit, im Winter mit ihren Eltern in die Skiferien zu fahren.»

Um an jene Familien zu gelangen, arbeitet der Verein eng mit Schulen, der Offenen Jugendarbeit (OJA) und der Asylorganisation Zürich (AOZ) zusammen. So sollen Jugendliche und Eltern vom Angebot erfahren. «Es reicht nicht, wenn wir irgendwo Flyer auflegen. Wir müssen aktiv auf die Menschen zugehen», so Aremu. Inklusion sei Arbeit – auf beiden Seiten.

Spass und Selbstbewusstsein fördern

«Die Kunstform Tanz eignet sich gut, um Kinder und Jugendliche zusammenzubringen», sagt auch Sabine Schindler. Die Tanzpädagogin unterrichtet seit über 20 Jahren Kinder und Jugendliche. Sowohl auf professionellem Niveau als auch für Projekte wie «Kids in Dance», wo der Spass im Vordergrund steht.

Die Ansprüche seien anders, so Schindler. Eiserne Disziplin wäre hier fehl am Platz. Stattdessen darf auch mal gespielt werden.

«Viel wichtiger als die Performance ist, dass die Kinder selbstbewusster werden und neue Freundschaften schliessen.»

Sabine Schindler, Tanzpädagogin

Die zwölfjährige Amen schätzt diesen Umgang. «Ich finde es gut, dass wir auch mal Pause machen dürfen, wenn wir keine Lust haben», sagt das Mädchen. Während Amen das erste Mal mitmacht, ist Donia bereits zum zweiten Mal dabei. Sie freut sich bereits auf die Abschlussaufführung, bei der auch eine Nebelmaschine und eine Discokugel zum Zuge kommt.

Die Performance vor Zuschauer:innen sei zwar das Highlight des zweiwöchigen Kurses, «viel wichtiger ist jedoch, dass die Kinder selbstbewusster werden, ihren Körper kennenlernen und neue Freundschaften schliessen», sagt ihre Tanzlehrerin.

Deshalb baue sie auch mal eine Übung ein, die den Zusammenhalt stärkt, oder liesse die Jugendlichen auch mal selbst entscheiden, welche Posen man einstudieren möchte.

Sich eigene Choreo-Elemente auszudenken, gefällt Ashly. Die 16-Jährige ist die einzige in der Gruppe, die in ihrer Freizeit bereits einen Tanzkurs besucht. Für sie seien die meisten Schritte «chillig», betont der Teenager. Trotzdem sei auch sie etwas nervös wegen der Schlussaufführung. Noch bleiben ein paar Tage, um die Choreo zu verinnerlichen.

Die Schlussvorstellungen von «Kids in Dance» zum Thema Fragmente finden am 21. und 22. Februar 2025 in der Gessnerallee statt. Die Tickets sind kostenlos. Hier gibt es mehr Informationen.

Im Tsüritipp vom 19. Februar findest du News und Events zur Kultur in Zürich.

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2024-02-27 Isabel Brun Redaktorin Tsüri

Isabel hat an der ZHAW Kommunikation studiert und schreibt seit 2019 für Tsüri.ch. Bevor sie sich dem Journalismus verschrieb, arbeitete sie als tiermedizinische Praxisassistentin. Als erste Klima-Redaktorin von Tsüri.ch trieb sie die Berichterstattung zu Klimathemen massgeblich voran. In der Redaktion hält sie die Fäden in der Hand, findet vergessene Kommas und koordiniert die Kolumnen. 

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Über diese Themen schreibe ich am liebsten:

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Darum bin ich Journalistin:

Weil ich eine Gwundernase bin und es mir durch meinen Beruf erlaubt ist, dumme Fragen zu stellen. Ausserdem finde ich es wichtig, Dinge kritisch zu hinterfragen und Wissen für alle zugänglich zu machen. (Hab mal gehört, das sei wichtig für eine Demokratie.)

Das mag ich an Zürich am meisten:

Die Preise, der unterirdische Teil des HBs und das enorme Selbstbewusstsein der Stadt.

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