Kampf um rassistische Häusernamen: «Heimatschutz ist geschichtsblind»
Der Heimatschutz will verhindern, dass die Stadt rassistische Inschriften zweier Häuser im Zürcher Niederdorf abdecken lässt – und zieht den Fall bis vors Bundesgericht. Dabei stellt sich ein Historiker die Frage, wessen «Heimat» der Verein schützen will.
Dass die Namen zweier Häuser im Zürcher Niederdorf rassistisch sind, darüber herrscht mittlerweile Einigkeit. Was offen bleibt, ist die Frage, wie damit umgegangen werden soll. Während die Stadt die Inschriften «Zum M-Kopf» und «Zum M-Tanz» in erster Linie weg haben will, fordert der Zürcher Heimatschutz (ZVH) eine Informationstafel, welche die Begriffe kontextualisiert.
Deshalb hat der Verein Ende Januar unter der Leitung seines Stadtzürcher Pendants beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht. Damit geht er gegen den Entscheid des Zürcher Verwaltungsgerichts vor, das der Stadt erlaubt hatte, die Inschriften abdecken zu lassen.
Der Heimatschutz wirft dem Gericht vor, das Urteil ohne eine gründliche Abklärung zur denkmalpflegerischen Bedeutung der Inschriften sowie der sich gegenüberstehenden öffentlichen Interessen gefällt zu haben. Damit habe es formelle Rechtsvorschriften verletzt, so das Argument des Beschwerdeführers.
Dass nun das oberste Schweizer Gericht darüber entscheiden muss, ob der Schutz denkmalwürdiger Häuser über dem Schutz vor Diskriminierung steht, löst nicht nur bei Betroffenen ein ungutes Gefühl aus. Der Historiker Bernhard C. Schär stellt sich auch die Frage, wessen Heimat der Heimatschutz bewahren will: «Mit seinem Gang vor Bundesgericht stellt der Verein die Rechte von Minderheiten als Bedrohung von ‹Heimat› dar», kritisiert er.
«Tafel ändert nichts an Diskriminierung»
Den Eindruck hat auch Dembah Fofanah vom Kollektiv «Vo da.». Seit fünf Jahren setzt sich der Zürcher dafür ein, dass die Inschriften an der Niederdorfstrasse 29 und am Neumarkt 13 entfernt werden. Dies sei ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Rassismus im öffentlichen Raum, zumal die Häuser der Stadt und somit auch der städtischen Bevölkerung gehören würden, ist sich Fofanah sicher: «Gemeinden tragen eine Verantwortung, die Grundrechte und damit auch den Diskriminierungsschutz ihrer Einwohner:innen zu gewährleisten.»
Dieser Verantwortung versucht die Stadt Zürich seit längerem nachzukommen. 2021 entschied die Regierung, die Häusernamen abdecken zu lassen. Stattdessen sollten Tafeln über den Sachverhalt informieren.
Gegen diese Massnahme kämpft seit jeher der Stadtzürcher Heimatschutz. Über mehrere Instanzen stritten sich die Parteien, mal erhielt die eine, mal die andere recht. Der Gang vors Bundesgericht wird damit zum Showdown.
«Man kann von Betroffenen nicht erwarten, zu akzeptieren, mit der Reproduktion von Rassismus konfrontiert zu werden.»
Dembah Fofanah vom Kollektiv «Vo da.»
Dass ein Verein, der sich Heimatschutz nennt, ausgerechnet dagegen ankämpft, dass alle Zürcher:innen und Besuchende der Stadt diese als diskriminierungsfreien Lebensraum erleben können, irritiert Dembah Fofanah.
Zwar sei es ihr gutes Recht, sich für den Erhalt historisch bedeutender Objekte einzusetzen, doch dies als Vorwand zu nutzen, um öffentliche rassistische Diskriminierung zu akzeptieren, geht ihm zu weit.
Daran könne auch keine ergänzende Informationstafel etwas ändern, welche die Entstehung des «M-Begriffs» erläutern würde, wie vom Heimatschutz vorgeschlagen. «Schwarze Menschen werden nicht weniger rassistisch diskriminiert, wenn auf einer Tafel steht, was die Gründe dafür sind.»
Ein angeblicher Witz sei schliesslich auch nicht weniger sexistisch, ableistisch oder queerfeindlich, nur weil man die vermeintliche Ironie oder den historischen Kontext dazu erwähnt.
Solche Kontextualisierungen gehören seiner Ansicht nach, wenn überhaupt, ins Museum und nicht an einen Ort, wo man sich im Alltag bewegt. «Natürlich können Erklärungen dabei helfen, den Hintergrund einer Sache zu verstehen. Doch es ist nicht hinnehmbar, von Betroffenen zu erwarten, dass sie es einfach akzeptieren, immer wieder mit der Reproduktion von Rassismus konfrontiert zu werden», so Fofanah.
Heimatschutz soll eigene Geschichte aufarbeiten
Kritik am Vorgehen des Heimatschutzes äussert auch der Historiker Bernhard C. Schär. Gemeinsam mit der Zürcher Forscherin Ashkira Darman hat er im Auftrag der Stadt die Bedeutungsentwicklung des «M-Worts» untersucht.
Dabei zeigte sich: Die Inschriften stammen laut der Studie nicht aus dem Mittelalter, sondern wurden im 20. Jahrhundert an die Fassaden angebracht. Sie seien Teil einer modernen Mittelalter-Fantasie und nicht einer ungebrochenen historischen Tradition, so Schär.
«Die historischen Erfahrungen von nicht-weissen Schweizer:innen fehlen in der Erzählung des Heimatschutzes.»
Bernhard C. Schär, Historiker
Dass der Heimatschutz trotzdem an den Inschriften festhält, zeige, wie geschichtsblind der Verein sei. «Der Heimatsbegriff der Mehrheit hat Minderheiten seit Gründung des Heimatschutzes vor 120 Jahren das Heimisch-werden immer wieder erschwert, unter anderem durch symbolischen Rassismus im öffentlichen Raum», so Schär.
Der Heimatschutz müsste ihm zufolge seine Definition von Heimat überdenken, um diese nicht gegen, sondern mit marginalisierten Minderheiten schützen zu können.
Dazu gehöre auch, dass er seine eigene Geschichte kritisch aufarbeiten würde: «Das Heimatkonzept des Heimatschutzes ist in einem eher bürgerlich-patriarchalen und ethno-nationalen Bild der Schweiz verhaftet. Die historischen Erfahrungen von armutsbetroffenen, migrantischen, nicht-weissen Schweizer:innen fehlen in dieser einseitigen Erzählung.» Zu untersuchen wäre laut Schär, welche Folgen dies für schweizerische Minderheiten hatte und bis heute hat.
Verein sieht Zeitzeugen in Gefahr
Der Heimatschutz widerspricht diesen Vorwürfen. Das aktuelle Verfahren zeige, dass sich der Verein mit der historischen Bedeutung von Begriffen als Teil der Kulturgeschichte auseinandersetze, schreibt die Präsidentin des Stadtzürcher Heimatschutzes, Evelyne Noth, auf Anfrage. Man strebe Lösungen an, die sowohl dem Denkmalschutz als auch der Sensibilität gegenüber diskriminierenden Begriffen gerecht würden. Dabei sei der Vorstand bemüht, «die vielfältige und globalisierte Gesellschaft Zürichs zu berücksichtigen».
«Hausnamen sind Teil der Kulturgeschichte und sagen viel über unsere Gesellschaft aus.»
Evelyne Noth, Präsidentin Stadtzürcher Heimatschutz
Noth ist davon überzeugt, dass eine Beseitigung des historischen Kontextes und der Spuren der Vergangenheit den Diskurs über deren Bedeutung verunmögliche: «Moderner Denkmalschutz, wie wir ihn verstehen, bedeutet, dass wir auch allfällig negativ konnotierte Denkmäler erhalten und diese als mündige Bürger:innen selber deuten können.» Als Beispiele nennt sie Konzentrationslager, die als Gedenkstätten ausgestaltet worden sind.
Nicht nur deshalb bedauert die Juristin den Entscheid der Stadt, das Mahnmal abdecken zu lassen. Auch hätten die Verantwortlichen es versäumt, die Schutzwürdigkeit der Inschriften seriös abzuklären. «Hausnamen sind Teil der Kulturgeschichte und sagen viel über unsere Gesellschaft aus», so Noth.
Der Bericht der Historiker:innen Darman und Schär, auf den sich die Stadt stützt, würde die eigentliche Frage danach, ob die Massnahme die Inventarobjekte in denkmalpflegerischer Hinsicht gefährdet, nicht beantworten. Dies sei die Kernforderung des Heimatschutzes und laut Noth der Hauptgrund, weshalb der Verein den rechtlichen Weg eingeschlagen hat.
Auch wenn die Beschwerde beim Bundesgericht auf einer Formsache beruht, Dembah Fofanah ist davon überzeugt, dass das Urteil ein wichtiges Signal aussenden wird – für, oder eben gegen von Rassismus diskriminierte Menschen. «Schutz vor Diskriminierung ist ein Grundrecht, ich finde, daran sollte es nichts zu rütteln geben», so Fofanah.
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Isabel hat an der ZHAW Kommunikation studiert und schreibt seit 2019 für Tsüri.ch. Bevor sie sich dem Journalismus verschrieb, arbeitete sie als tiermedizinische Praxisassistentin. Als erste Klima-Redaktorin von Tsüri.ch trieb sie die Berichterstattung zu Klimathemen massgeblich voran. In der Redaktion hält sie die Fäden in der Hand, findet vergessene Kommas und koordiniert die Kolumnen.
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