K.-o.-Tropfen in Zürich: Schutz bleibt Privatsache

Immer wieder kommt es zum Missbrauch von K.-o.-Tropfen in Zürcher Clubs. Statt Täter:innen am Missbrauch zu hindern, liegt der Fokus auf dem Verhalten der Opfer.

K.-o.-Tropfen in Zürich
Laut der Stadtpolizei Zürich gab es im vergangenem Jahr 35 registrierte Fälle von betroffenen Personen unter K.-o.-Tropfen. (Bild: unsplash)

Es ist laut, es ist eng, es ist dunkel. Lichter blitzen über die verschwitzten Körper. Doch ein gewöhnlicher Clubabend in Zürich endet für manche in einem Kontrollverlust. Immer wieder berichten Betroffene über mutmassliche K.-o.-Tropfen in ihren Getränken. Nur wenige erstatten Anzeige. Die Gründe: fehlende Beweise, Schuldgefühle und ein System, das Prävention oft zur Privatsache macht.

In letzter Zeit sind an den Türen der Zürcher Club-Toiletten vermehrt Plakate anzutreffen, die auf missbräuchliche Verwendung von K.-o.-Tropfen aufmerksam machen.

Schon 2019 gab es eine Anfrage aus dem Gemeinderat zu K.-o.-Tropfen in Zürich. Zahlen aus dem Protokoll zeigen, dass in der Stadt zwischen 2014 und 2019 insgesamt 142 Vorfälle im Zusammenhang mit K.-o.-Tropfen registriert wurden. 63 Prozent der Betroffenen waren Frauen und 37 Prozent Männer. Während Frauen mehrheitlich Opfer sexualisierter Gewalt wurden, waren Männer häufiger von Diebstählen betroffen.

K.-o.-Tropfen werden in allen Fällen dazu verwendet, um das Gegenüber wehrlos zu machen. So war es auch bei Monika. Sie möchte anonym bleiben, weshalb ihr Name im Artikel geändert wurde. Ihre Erfahrung steht exemplarisch für das Problem, mit dem Betroffene konfrontiert sind.

«Viele Betroffene melden sich nicht aus Scham oder weil sie glauben, selbst schuld zu sein.»

Andrea Hofmann, Co-Geschäftsleiterin der Frauenberatung sexuelle Gewalt Zürich

Im vergangenen Oktober fand im Zürcher Club Kauz ein Rave statt. Gegen Mitternacht traf Monika dort gemeinsam mit ihrem Partner und zwei Freundinnen ein. «Es waren viele Leute da, die Stimmung auf den beiden Tanzflächen war ausgelassen», erinnert sie sich. Alkohol habe sie bis zur Ankunft im Club kaum konsumiert.

In den folgenden zwei Stunden tanzte Monika auf der unteren Tanzfläche und trank zwei offene Getränke. Auffälligkeiten bemerkte sie nicht. Später wechselte sie ins Fumoir, wo sie in ein längeres Gespräch mit ihrem Partner verwickelt war.

Plötzlich veränderte sich Monikas Zustand schlagartig. «Du bist ganz bleich», bemerkte ihr Partner und begleitete sie nach draussen. Monika konnte kaum noch sprechen, ihre Zunge war schwer, ihr Körper fühlte sich taub und gelähmt an. «Es war ein unfassbar beängstigender Zustand.»

Kaum an der frischen Luft, habe sie sich übergeben müssen – immer und immer wieder, bis zur völligen Erschöpfung. «Alleine hätte ich mir keine Hilfe mehr holen können», sagt Monika rückblickend.

35 registrierte Fälle im Jahr 2024

Was Monika beschreibt, ist die Wirkung, die klassischerweise nach der Verabreichung von K.-o.-Tropfen eintritt. Unter den Begriff K.-o.-Tropfen fallen unterschiedliche Substanzen, wie zum Beispiel Gammahydroxybutyrat (GHB), Benzodiazepine oder andere illegale Substanzen, welche die Wahrnehmung dämpfen, erklärt Joël Bellmont, Co-Teamleiter vom Drogeninformationszentrum (DIZ) Zürich.

GHB zum Beispiel trete entweder als farbloses Pulver oder als Flüssigkeit auf, die einen salzigen oder leicht seifigen Geschmack hat, jedoch geruchlos ist. Bereits fünfzehn Minuten nach der Einnahme mache sich eine Euphorie breit, sagt Bellmont. Bei niedriger Dosierung sei die Wirkung mit jener von Alkohol vergleichbar. Werde GHB hingegen überdosiert, so könne es betäubend wirken und Betroffene in einen Koma-ähnlichen Zustand versetzen. Typisch dabei sei ein «Filmriss» nach dem Aufwachen, so Bellmont.

Die registrierten Fälle von betroffenen Personen unter K.-o.-Tropfen lagen im vergangenen Jahr bei 35, wie die Stadtpolizei Zürich auf Anfrage schreibt. Derzeit sei die Tendenz im Vergleich zu den Vorjahren eher rückläufig.

Andrea Hofmann, Co-Geschäftsleiterin der Frauenberatung sexuelle Gewalt Zürich, geht aber von einer hohen Dunkelziffer aus. «Viele Betroffene melden sich nicht aus Scham oder weil sie glauben, selbst schuld zu sein, etwa wegen übermässigem Alkoholkonsum oder Erinnerungslücken.»

Einige Frauen, die nach Verdacht auf K.-o.-Tropfen sexualisierte Gewalt erlebt haben, finden über den «Aufsuchenden Dienst der Forensic Nurses» den Weg zur Frauenberatungsstelle am Letzigraben. Diese medizinisch spezialisierten Fachpersonen führen erste Untersuchungen durch, sichern Beweise, beraten und helfen bei der Kontaktaufnahme mit Opferhilfe-Beratungsstellen.

«Forensic Nurses» ist ein Pilotprojekt vom Kanton Zürich, welches letztes Frühjahr ins Leben gerufen wurde und noch bis Ende 2026 getestet wird. Dabei geht es unter anderem darum, forensische Beweise zu sichern, die später in einem Strafverfahren von Bedeutung sein können.

Kein Testresultat, kein Beweis, keine Anzeige

Auch Monika sei von einer Ärztin gesagt worden, dass ihr mit hoher Wahrscheinlichkeit jemand K.-o.-Tropfen ins Glas geschüttet habe. Um wirklich sicherzugehen, dass es an besagtem Abend im Oktober K.-o.-Tropfen waren, hätte Monika einen Test machen müssen. Doch insbesondere wegen der hohen Kosten habe sie sich dagegen entschieden.

«Man muss auf sich selbst aufpassen und kann sich nicht auf ein Awareness-Konzept verlassen.»

Monika (anonymisiert), betroffene Person

Da K.-o.-Tropfen viele verschiedene Drogen sein können, muss auf mehrere Substanzen gleichzeitig getestet werden und das in einem sehr engen Zeitfenster. Im Urin ist die Droge nur acht bis zwölf Stunden nachweisbar, im Blut gar nur sechs Stunden. Durch eine Haaranalyse kann die Substanz bis zu drei Monate später noch nachgewiesen werden. Doch solange keine Strafanzeige vorliegt, müssen Betroffene die Kosten selbst tragen.

Liegt hingegen ein offizieller Untersuchungsauftrag durch die Staatsanwaltschaft vor, übernimmt das Institut für Rechtsmedizin die Analyse. Gemäss dem Institut können solche umfassenden Untersuchungen Kosten zwischen 1500 und 2000 Franken verursachen. In solchen Fällen trägt zunächst der Kanton die Kosten. Im Falle eines Schuldspruchs muss der:die Täter:in sie in der Regel aber übernehmen.

Schutz vor K.-o.-Tropfen bedeutet Selbstschutz

Die Frage bleibt: Wer trägt die Verantwortung für Clubbesucher:innen? Laut dem Gastgewerbegesetz sind Inhaber:innen eines Lokals für die Aufrechterhaltung von Ordnung und guter Sitte im Betrieb verantwortlich. Doch als Monikas Partner das Awareness-Team des Kauz um Unterstützung bat, fiel deren Reaktion laut Monika enttäuschend aus: «Sie wirkte nicht ohnmächtig», habe eine Person vom Team gesagt – für Monika eine empathielose und distanzierte Haltung.

Der Schutz vor K.-o.-Tropfen bedeutet also vor allem: Selbstschutz.

«Wer sich schützen will, sollte bei Benommenheit nicht allein unterwegs sein, sein Getränk nie unbeaufsichtigt lassen und beim leisesten Verdacht sofort Hilfe suchen – bei Freund:innen, dem Personal, der Sanitätsnotrufnummer, dem Aufsuchenden Dienst der Forensic Nurses oder der Polizei», rät Andrea Hofmann von der Frauenberatung Zürich. Noch wichtiger sei jedoch der Blick aufs Umfeld: «Man muss auf Zivilcourage setzen. Hinschauen, wenn sich jemand merkwürdig verhält, nachfragen, Hilfe holen. Niemand sollte allein gelassen werden.»

Gleichzeitig kritisiert Hofmann die Verantwortungsverschiebung: Statt Täter:innen in die Pflicht zu nehmen, liege der Fokus oft auf dem Verhalten der Betroffenen.

Der Club Kauz schreibt auf Nachfrage: «Der erwähnte Vorfall taucht in unseren internen Protokollen zu Awareness-Fällen leider nicht auf, obwohl wir Vorfälle mit Awareness-Relevanz normalerweise sehr sorgfältig und konsequent dokumentieren.» Das bedeute jedoch keineswegs, dass der Vorfall nicht stattgefunden habe. Vielmehr bedaure man zutiefst, wenn in einer schwierigen Situation nicht respektvoll und auf Augenhöhe kommuniziert worden sei – dies widerspreche klar dem eigenen Verständnis von Awareness.

Der Club signalisiert Gesprächsbereitschaft: «Wenn es im Sinne der betroffenen Person ist, stehen wir gerne für ein vertrauliches Gespräch zur Verfügung.» Der persönliche Austausch sei sowohl in der akuten Begleitung als auch in der Nachbetreuung wichtig. «Wir verstehen aber auch, wenn sich die betroffene Person dazu nicht äussern mag.»

Auf Nachfrage bei mehreren Zürcher Clubs zeigt sich, dass ein einheitlicher Umgang mit dem Thema K.-o.-Tropfen fehlt. Das Klaus an der Langstrasse nennt keine präventiven Hinweise oder spezifische Schutzmassnahmen.

Vom Umbo heisst es, sie würden bewusst auf Warnhinweise oder Präventivmassnahmen verzichten, da sie im «kleinen, vertrauten Rahmen keine Ängste schüren» wollten.

Im Exil hingegen liegen kostenlose Bierdeckel an der Bar aus, mit welchen man sein offenes Getränk abdecken kann. «Grundsätzlich sollte jeder Club ein möglichst sicherer Raum sein – mit geschultem Personal und Möglichkeiten zur Selbstsicherung», schreibt der Club. Bei Verdachtsfällen übernehme das Sicherheitspersonal die Erstbetreuung, kontaktiere bei Bedarf Sanitäter:innen oder Angehörige und würde auch ausdrücklich zu einem sofortigen Drogentest raten. Nichtsdestotrotz kam es gemäss Blick im Exil kürzlich zu einem Vorfall, bei dem einer Clubbesucherin K.-o.-Tropfen ins Getränk gemischt wurden.

Die Geschehnisse an dem Abend im Kauz haben Monika misstrauischer gemacht. Bisher war sie einmal zurück im Club. Sie sei ernüchtert und nachdenklich gestimmt. «Man muss auf sich selbst aufpassen und kann sich nicht auf ein Awareness-Konzept verlassen», sagt sie.

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Sophie Wagner

Ausbildung als Polygrafin EFZ an der Schule für Gestaltung in Bern und aktuelle Studentin Kommunikation mit Vertiefung in Journalismus an der ZHAW Winterthur. Einstieg in den Journalismus als Abenddienstmitarbeiterin am Newsdesk vom Tages-Anzeiger, als Praktikantin bei Monopol in Berlin und als freie Autorin beim Winterthurer Kulturmagazin Coucou. Seit März 2025 als Praktikantin bei Tsüri.ch

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Kommentare

Sara
15. Mai 2025 um 05:14

K.o. Opfer

Die Geschichten häufen sich in meinem Umfeld sehr! Das Zitat: «Viele Betroffene melden sich nicht aus Scham oder weil sie glauben, selbst schuld zu sein.» finde ich nicht komplett. Es ist auch weil wirklich viele mit der Polizei nicht die Erfahrung gemacht haben, dass Ihnen geholfen wird. Also lohnt es sich ja eh nicht zu melden, weil sowieso nichts gemacht werden kann. Und das geht hier nicht nur um k.o. Tropfen