Jürg Rauser (Grüne): «Ich werde nicht der erste grüne Bundesrat sein»

Politische Schlammschlachten nerven ihn – so auch die vielen Autos in der Stadt: Jürg Rauser ist seit diesem Sommer Co-Fraktionspräsident der Grünen. Was plant er?

Jürg Rauser
Er ist in einem autofreien Haushalt aufgewachsen: Jürg Rauser. (Bild: Kai Vogt)

Wie viele seiner Generation wurde Jürg Rauser in seiner Jugend durch Umweltkatastrophen wie den Nuklearunfall in Tschernobyl politisiert. Ausserdem prägte ihn der autofreie Haushalt, in dem er aufwuchs. «Das Auto war seit jeher eine Randerscheinung für meine eigene Mobilität», sagt er. Kaum überraschend ist also, dass Rauser seine politische Heimat bei den Grünen fand, denen er jedoch erst mit rund 40 Jahren beigetreten ist. Seit dem Frühjahr 2020 sitzt er für die Partei im Zürcher Gemeinderat.

Eine weitere Verantwortung kam diesen Sommer dazu: Gemeinsam mit Sibylle Kauer übernahm er das Fraktionspräsidium. Seine Hauptaufgabe sieht er darin, die Kräfte der Fraktion zu bündeln. Sie solle das Wissen jedes Mitglieds nutzen und sich stärker auf die Kernthemen konzentrieren. «Es geht um die grossen Linien», betont der Grünen-Politiker: Bildung, Chancengerechtigkeit, Soziales, Wohnen und die Netto-Null-Strategie, also um Bereiche wie Verkehr und Energie.

«Es geht um die grossen Linien.»

Jürg Rauser

Neben seiner Arbeit im Gemeinderat ist Rauser als Architekt tätig und spezialisiert auf nachhaltigen Wohnungsbau, insbesondere mit Holz. Diese berufliche Expertise fliesst auch in seine politische Tätigkeit ein: Im Gemeinderat ist er Teil der Sachkommission des Hochbaudepartements, wo Zonenpläne und Baugesetze diskutiert werden. Seine Erfahrung kommt ihm dabei zugute. «Ich kenne die Abläufe und weiss, was das auf der Baustelle schlussendlich bedeutet.» Die aktuelle Wohn- und Baupolitik der Stadt kritisiert er als zu «investorenfreundlich» und fordert eine stärkere Berücksichtigung des Grünraums und der Bedürfnisse der Quartierbewohner:innen.

Ein weiteres zentrales Thema in Rausers politischer Arbeit ist der Verkehr. Ende August reichte er gemeinsam mit seiner Parteikollegin Brigitte Fürer ein Postulat ein, das die möglichst baldige Umsetzung von Tempo 30 auf der Hofwiesenstrasse fordert, um die Sicherheit zu erhöhen und den Lärm zu verringern – insbesondere für das neue Wohnhochhaus der Stiftung für Familienwohnungen am Bucheggplatz. Um das Hochhausprojekt aber nicht zu bremsen, zogen sie diesen Mittwoch das Postulat zurück, doch der Grundsatz bleibt ihm wichtig: Für ihn ist das Auto ein Störfaktor in der Stadt, das zu viel Lebensqualität raubt. 

In seiner Freizeit findet Rauser Ausgleich beim Handball und Wandern in einsamen, steinigen Landschaften. Pläne für ein höheres politisches Amt hegt er derzeit nicht: «Im Moment gibt es keine Ambitionen, auch wenn wir gerne einen grünen Bundesrat hätten. Aber das werde sicher nicht ich sein», sagt er und lacht.

Warum sind Sie Gemeinderat geworden?

Seit meiner Jugend bin ich politisch interessiert und sympathisierte seither immer mit der SP und den Grünen, der Parteibeitritt kam dann aber erst mit rund 40 Jahren. Danach habe ich mehrere Male auf den hinteren Plätzen der Liste kandidiert und irgendwann kam der Punkt, an dem ich es ernsthaft probieren wollte. Verantwortlich dafür sind auch verschiedene Leute in meinem Umfeld, die mich dazu motiviert haben. Und dann habe ich mich dann auf einem vorderen Listenplatz beworben und wurde gewählt. 

Mit welchem  Ratskollegen oder welcher Ratskollegin der politischen Gegenseite würden Sie gerne mal ein Bier trinken gehen?

Ich habe schon mit recht vielen Ratskolleg:innen ein Bier getrunken. Rein optisch im Gemeinderat liegt vor mir das Ratspräsidium. Christian Huser von der FDP kenne ich zum Beispiel gar nicht – mit ihm könnte ich es mir vorstellen. Oder auch mit Ratspräsident Guy Krähenbühl. Bei der liberalen FDP-Seite oder bei den Grünliberalen gibt es einige, mit denen ich mich gerne mal informell austauschen würde. 

Welches Abstimmungsergebnis hat Sie bisher am meisten geärgert?

Im Gemeinderat gab es nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine ein Postulat von Samuel Balsiger (SVP), das zusätzliche Unterstützung für ukrainische Geflüchtete forderte. Das Postulat hatte eigentlich nur Gutes, obwohl ich nur selten mit Samuel Balsiger einer Meinung bin. Doch dann hat es der Rat fertiggebracht, das Postulat dennoch zu versenken. Und zwar, weil man nicht mehr das sah, was auf dem Postulat stand, sondern nur noch die Politiker:innen dahinter, und sich in der Debatte gegenseitig mit Vorwürfen eindeckte, die nichts mit dem Postulat zu tun hatten. Das hat mich sehr geärgert. 

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