Journalist*innen im Konflikt zwischen Verlag und Redaktion

Die beiden Mediengruppen NZZ und TX Group schütteten im März Dividende aus und führten Kurzarbeit ein. Rechtlich erlaubt, moralisch sei es fragwürdig, so der Bund. Wichtig ist hier, die Trennung zwischen Verlag und Redaktion zu machen. Wie steht es um die gute alte chinesische Mauer zwischen Verlag und Redaktion? Und wie geht es den Journalist*innen?

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Foto: Patrik Tschudin (CC 2.0) (2011)

Die NZZ Mediengruppe und die TX-Group stellen Mitarbeiter*innen auf Kurzarbeit. Dividenden haben beide Medienhäuser im April ausgeschüttet. Die TX-Group ca. 37 Millionen und die NZZ-Mediengruppe ca. 8 Millionen Franken. Die politische Debatte um ein Dividendenverbot bei gleichzeitigem Bezug von Kurzarbeitsgeldern ist entfacht.

Dass das publizistische und das ökonomische Ziel keine besten Freundinnen sind, ist nichts Neues. Das Handeln der Verleger*innen und das Schreiben der Journalist*innen sind nicht ein und dasselbe. Darum hat Tsüri.ch bei fünf Redaktionsmitgliedern der NZZ und TX-Group nachgefragt, wie sie zum Verhalten ihres Verlags stehen.

Nach dem Motto Wasser predigen, Wein trinken?

Die angefragten Journalist*innen wollen anonym bleiben, nicht unbedingt aus Loyalität, sondern mehr aus Angst, den Job zu verlieren. In der Medienbranche gibt es bekanntlich kein Überangebot an Stellen.

Inhaltlich fühlten sich die befragten Journalist*innen zwar frei, manche seien aber derzeit in einer «unangenehmen Situation». Es sei ja sehr offensichtlich, dass da etwas auseinander driftet; das was gepredigt und das, was gemacht werde, erzählt eine Mitarbeiterin der NZZ. Zudem ärgere man sich intern sehr über den Kommentar von Eric Guyer, worin er für die Zeit nach Corona weniger Staatshilfe fordert. «Das war ein Fauxpas und keine gute Öffentlichkeitsarbeit», sagt sie. Die Identifikation mit dem Unternehmen sei allgemein nicht so stark, erzählen drei weitere Befragte: Sie kümmern sich nicht um die Reputationsschäden der Firma.

Das Primat der publizistischen Unabhängigkeit

In den Redaktionen sei die Dividendenfrage indes kein Tabuthema. So können die Redaktionen zum Beispiel Kommentare gegen die Ausschüttung von Dividenden publizieren, obwohl der eigene Verlag gegenteilig handelt. Ein Beispiel: NZZ-Redaktor Werner Enz rühmt in seinem Kommentar den Flughafen für seinen Dividendenverzicht: «Da die Corona-Krise bei weitem noch nicht ausgestanden ist, stellt auch der Flughafen Zürich die Sicherung der Liquidität über alles. Der Dividendenverzicht ist zudem ein politisch vernünftiges Signal.» Aber genau seine eigene Arbeitgeberin verzichtet auf dieses politisch vernünftige Signal und hat an der GV Mitte April das Aktionariat um acht Millionen Franken reicher gemacht.

Das Unternehmen sei so gross, dass es viel Distanz zwischen den Redaktionen und dem Verwaltungsrat gäbe – was wichtig für die unabhängige Berichterstattung sei, sagen Mitarbeitende der NZZ. Und auch die NZZ-Mediengruppe sieht die Unabhängigkeit von Verlag und Redaktion als oberstes Primat und keineswegs gefährdet, kommentiert die Sprecherin der NZZ.

«Pauschal will ich das Handeln – Dividende auszahlen und Kurzarbeit einführen – nicht verurteilen. Zumal die Dividende das Jahr 2019 betrifft, betrachte ich die Situation etwas differenziert. 2020 ist das dann ein anderes Thema, da muss der Verlag entsprechend handeln. Aber ja, es hinterlässt einen fahlen Nachgeschmack, dass man in den Redaktionen den Mitarbeitenden die Löhne kürzt, vom Bund Geld will und gleichzeitig Geld ausschüttet», sagt eine Mitarbeiterin der NZZ.

Die journalistische Unabhängigkeit ist ein Markenzeichen von Tamedia.

Nicole Bänninger / Tamedia

Die Währung Glaubwürdigkeit im Kursfall

Etwas weniger Verständnis für das Verhalten seines Verlages hat ein Tamedia-Journalist: «Ich finde das Verhalten sehr dumm und sehr kurzsichtig.» Die Dividendenzahlung sei kein Tabuthema in der Redaktion. Die Glaubwürdigkeit als höchste Währung im Journalismus, darüber macht sich der Journalist sorgen: «Wie sollen wir kritisch über diese Problematik berichten und dabei gleichzeitig glaubwürdig wirken?»

Tamedia zeigt sich in punkto Glaubwürdigkeit unbesorgt: Kein anderes Unternehmen investiere annähernd vergleichbar in den Journalismus. «Die journalistische Unabhängigkeit ist dabei anerkanntermassen ein Markenzeichen von Tamedia», sagt Pressesprecherin Nicole Bänninger.

Da sprechen sie von solch hohen Werbeeinbussen und schütten gleichzeitig 37 Millionen Franken Dividenden aus – das fass ich mir an den Kopf.

Tamedia-Journalist

Die Geschäftsleitung von Tamedia und der TX-Group, darunter Christoph Tonini und Marco Boselli, hätten Ende März zur Situation Stellung genommen, so der Tamedia-Journalist. Die Klickzahlen und die Abo-Abschlüsse seien im März um einiges höher gewesen als zu normalen Zeiten. «Klar, momentan macht das die fehlenden Werbeeinnahmen nicht wett, aber das sind langfristige Dinge, die sich auszahlen werden», sagt er. Der Verlag gehe davon aus, dass 10 bis 20 Millionen Franken wegen der Corona-Krise fehlen werden. «Ich finde es stossend, dass sie den Sozialstaat prellen, obwohl sie es nicht nötig hätten. Da sprechen sie von solch hohen Werbeeinbussen und schütten gleichzeitig 37 Millionen Franken Dividenden aus – das fass ich mir an den Kopf.»

Clownesk findet er auch die Stellungnahme der TX-Group: «Wir versuchen, den legitimen Interessen aller Stakeholder gerecht zu werden und orientieren uns dabei an den Zielen der Angemessenheit, der Stabilität und der Berechenbarkeit.» Für das Geschäftsjahr 2020 könne keine Ausschüttung erwartet werden.

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