Flugverbot für den Adler und Dankbarkeit für die Schweiz
Islam Alijaj weiss sein Leben in Zürich zu schätzen. Trotzdem muss er sich immer wieder rechtfertigen – für seinen Erfolg als Nationalrat mit Migrationsgeschichte, aber auch als Mensch mit Behinderungen.
Zum Jahresende soll meine Kolumne mit einem Geständnis beginnen: Ich bin zu weit gegangen! Ausweislich zahlreicher Reaktionen in meinem Mail-Postfach ist mir letztens ein Satz unterlaufen, der ziemlich daneben war.
Was war geschehen?
Im September war ich beim Unternehmerball von «Swissalbs», einem Verein der schweizerisch-albanischen Diaspora eingeladen, um mich – bescheiden, wie ich bin – als erster Nationalrat mit albanischen Wurzeln feiern zu lassen. In meiner Dankesrede wollte ich aufzeigen, weshalb die politische Repräsentation von Menschen mit albanischen Wurzeln in der Schweiz in meinen Augen bis heute ungenügend ist.
Und nein, ich habe dabei nicht ausgebreitet, wie viel schlechter ausländisch klingende Namen auf Schweizer Wahllisten abschneiden oder wie Kandidierende mit Migrationshintergrund von ihren Parteien oft mit schlechteren Listenplätzen bedacht werden.
«Ab wann gehört man hier eigentlich dazu?»
Islam Alijaj
Im Gegenteil: Mir ging es gerade nicht um die offensichtlichen Hürden der Mehrheitsgesellschaft. Vielmehr wollte ich mich an der Trägheit der albanischen Community abarbeiten, die mir schon seit Jahren gehörig auf die Nerven geht. Ich fragte, warum es uns nicht endlich gelingt, über Parteigrenzen hinweg Kandidat:innen aufzubauen, sie zu fördern und bei Wahlen unsere Community zu mobilisieren.
Und als ich zum Ende meiner Rede richtig in Fahrt kam, rief ich: «Lassen wir den Adler in der Schweiz fliegen.» Der Satz stand dann auch so in der Überschrift, als der Blick tags darauf über die Veranstaltung berichtete.
Nun ja, wahrscheinlich kann ich mich bei Xherdan Shaqiri und einigen jubelnden Nati-Kollegen bedanken, dass das albanische Wappentier unterdessen schlecht beleumundet ist und von vielen als Symbol mangelnder Integrationsbereitschaft gelesen wird. Denn nun folgte eine Menge freundlicher Zuschriften, deren Kurzversion man ungefähr so zusammenfassen kann:
Striktes Flugverbot für den Adler!
Und in der Langversion: Sei doch bitte dankbar, dass du in der Schweiz leben darfst. In deinem Heimatland haben Menschen mit deinen Voraussetzungen nicht solche Lebenschancen wie hier.
Zwei Gedanken dazu.
Erstens frage ich mich: Ab wann gehört man hier eigentlich dazu? Wenn man einen Schweizer Pass hat, wenn man die Sprache spricht, wenn man hier sozialisiert oder sogar gewählt wurde? Und werden Integrationsleistungen dadurch entwertet, dass man sich hörbar für die Belange von Menschen einsetzt, die die eigene Migrationsgeschichte teilen? Ich finde: Nein.
Und zweitens (in der Adventszeit) etwas versöhnlicher: Das mit den Chancen stimmt. Es gibt kaum andere Orte auf der Welt, wo mein Weg vom schwerbehinderten Migranten ins nationale Parlament überhaupt möglich wäre. Und wir alle, nicht nur Menschen mit ausländischen Wurzeln, sollten dankbar sein, in einem Land wie der Schweiz und in einer so grossartigen Stadt wie Zürich leben zu dürfen.
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