Interview mit Performerin Teresa Vittucci: «Man hasst nichts, was einem egal ist»

Der letzte Teil von Benny Claessens Trilogie «Period Pieces» im Theater Neumarkt wurde von Teresa Vittucci miterarbeitet. Sie lebt seit viereinhalb Jahren in Zürich und wurde 2019 vom Tanzhaus zum Young Associated Artist ernannt. Im Gespräch erzählt sie vom Stück «Measure for Pleasure» und von ihrer Recherche über Feminismus, Hass und was Eva damit zu tun haben könnte.

Mood image for Interview mit Performerin Teresa Vittucci: «Man hasst nichts, was einem egal ist»
Bild: Flavio Karrer

Du kommst aus Wien und bezeichnest Dich als Wahlzürcherin – was hält Dich hier?

Teresa Vittucci: Zürich ist für mich der beste Ort, um kreativ zu arbeiten. Ein konzentrierter Ort, wie ein Campus – eine Arbeitsstadt. Es gibt vieles, das ich an der Stadt liebe. Die vielen Gewässer, die Ruhe und Nähe zum Wald – und auch die Zusammenarbeit mit dem Tanzhaus. Es ist eine gute Brutstätte für das, was ich mache. Ich kann mich hier als Künstlerin und Choreografin sehr gut entwickeln, wachsen und es sind viele Interessante Künstler*innen hier, die mich inspirieren.

Was ermöglicht Dir der Status des Young Associated Artist, der Dir vom Tanzhaus Zürich für 2019 und 2020 verliehen wurde?

Ich habe einen Proberaum, kann Stücke produzieren und mit weniger Produktionsdruck an grösseren Rechercheprojekten arbeiten. Darin muss auch ein spielerischer Zugang und eine intensive Beschäftigung mit der Materie Platz haben. In meinen Arbeiten beschäftige ich mich immer mit recht grossen, grundlegenden Thematiken und dafür brauche ich Zeit, Expertisen und auch finanzielle Mittel.

Aus welchem Bedürfnis heraus kommt Dein Fokus auf die Themen Feminismus und Hass?

Sie gehören zu einer Recherche für die Trilogie «In Praise of Vulnerability». Aber diese Themen beschäftigen mich schon lange. Ich lebe in dieser Welt und bin hier als Frau sozialisiert und mit viel Misogynie konfrontiert worden, was meinen Körper als Mädchen, Frau und auch als Tänzerin betrifft. Und ich weiss, dass es nicht nur mir so geht. Misogynie funktioniert strukturell. Ich habe einerseits eine so grosse Liebe und Leidenschaft für Frauen und den «Underdog», der gerade oft das Weibliche ist, andererseits bin ich streng christlich erzogen worden. Hass, Dunkelheit, Satan wurden mir als absolute Tabus und als etwas Schlechtes, Gefährliches vermittelt. Irgendwann wurde mir klar, wie sehr unser Sein von diesem Dunklen abhängt und wie sehr mich unsere Abgründe faszinieren.

Wie definierst Du Hass?

Hass ist für mich die innere oder äussere Ablehnung und Entwertung des Verletzlichen. Natürlich gibt es nicht die eine Antwort, es ist komplexer. Ich empfinde auch Empathie für das Gefühl des Hasses und finde es interessant, woher Aggressionen generell und vor allem gegenüber Frauen kommen. So hat auch die Recherche meiner Arbeit «Hate Me, Tender» über die Jungfrau Maria angefangen. Eine nächste wird von Eva handeln, weil ich das Gefühl habe, dass es dort vielleicht angefangen hat. Beim Sündenfall: Eva ist schuld an allem. Aber war ihr Wunsch, mehr zu wissen und die Konsequenzen dafür zu tragen nicht mutig? Wir sind kollektiv wütend auf die Person, die uns die Augen geöffnet und den Platz im Paradies ungemütlich gemacht hat. Weil offenen Augen auch Verantwortung mit sich bringen.

Die Trilogie des belgischen Schauspielers Benny Claessens heisst «Period Pieces»: In welcher Periode befinden wir uns?

Im Umbruch. Mal wieder – aber ich bin sehr zuversichtlich.

Du hast nur im letzten Teil mitgewirkt: Kannst Du «Measure for Pleasure» in drei Worten beschreiben?

Nicht in drei Worten aber vielleicht einem Satz: Ein sinnlicher Trip, in dem ein als Mann und eine als Frau sozialisierte Person versuchen, nebeneinander zu existieren, ohne auferlegten Rollen einzunehmen und ohne Konflikte zu verursachen.

Wie zeigt ihr dieses Scheitern im Stück?

Wir arbeiten mit historischen Kostümen, versuchen historische Rollenbilder zu zeigen – was aber nicht funktioniert – und haben uns mit der Geschichte des Neumarkts auseinandergesetzt. Im 19. Jahrhundert war dort 80 Jahre lang eine Töchterschule untergebracht. Wegen den Kostümen nennen wir das Stück «Kostümdrama» – mit Augenzwinkern.

Wenn Frauen aufhören würden, ihren Körper zu hassen, dann würde die gesamte Wirtschaft einbrechen.

Ist eine Neuschreibung dieser Geschichte nötig – oder überhaupt möglich?

Im Sinne eines Überarbeiten: Auf jeden Fall. Wir bauen die fiktiven Räume der Töchterschule mit beweglichen Vorhängen nach, aber es ist wie mit einer Sandburg, die zerfällt: Der Sand bleibt der gleiche, aber man baut sie nochmals anders. Ich glaube, ganz von Null kann man nie anfangen.

Wieviel Vorwissen brauchen die Besucher*innen, um dem Stück folgen zu können?

Von Innen ist das schwer zu sagen. Ich denke auch, es gibt verschiedene Typen von Zuschauer*innen: Manche brauchen viel Vorwissen, damit sie sich entspannen können, und andere sind froh, wenn sie unvoreingenommen kommen. So oder so ist es sehr hilfreich, wenn man sich auf ein Kunstwerk, egal ob Bild oder Theater erst mal einlässt.

<div style="background-color:#3dafe8;color:white;font-weight:bold;padding:10px"> Measure For Pleasure</div> <div style="font-size:18px;padding:10px;background-color:#dddddd"> Das neue «Kostümdrama» von Benny Claessens rückt die Schülerinnen der von 1811 bis 1877 im Neumarkt 5 untergebrachten Töchterschule ins Zentrum. Als sie in den Performer*innen Teresa Vittucci und Rob Fordeyn wiedererwachen, ist an die Stelle ihrer am Patriarchat und an ökonomischen Pflichten orientierten Erziehung eine neuartige Erfahrung gerückt: das Dionysische, die Verschwendung und die Lust.<a href="https://www.theaterneumarkt.ch/programm/measure-for-pleasure"target="_blank"> Im Neumarkt könnt ihr Measure for Pleasure noch am 29., 30. und 31. Januar jeweils um 19.30 sehen! </a> </div>

__html

Die Angst vor dem Unwissen oder Unerwarteten schliesst einen Teil des Publikums möglicherweise aus – ist neugedachtes Theater elitär und nur für eine bestimmte Gruppe von Menschen bestimmt?

Klassisches Theater ist meiner Meinung nach auch recht exklusiv. Ich bin mir bei unserem Stück nicht sicher: Einerseits kann man sagen, dass es ein wenig bildungsbürgerlich ist, weil viele der Texte auf Englisch sind und nicht jede*r Englisch versteht. Aber andererseits arbeiten wir auf verschiedenen Ebenen und thematisieren so grundlegende Dinge, dass man den Text nicht zwingend verstehen muss, wenn man aufmerksam ist. Wir sind uns vielleicht auch nicht mehr so gewohnt, zu verweilen und uns mit dem, was ästhetisch angeboten wird auseinanderzusetzen. Wir haben uns auf schnelle Befriedigung programmiert und wenn uns etwas nicht sofort stimuliert, passt es uns nicht. Aber jede*r hat das Recht zu gehen, wenn etwas nicht gefällt.

Was sind Deiner Meinung nach «verwirrend non-binäre Körper», wie es in der Rezension vom Tagesanzeiger steht?

(lacht) Wir leben in einer sehr binären Welt und um die Extreme zu verstehen, ist die Idee des Binären auch hilfreich. Aber es ist extrem wichtig, uns immer wieder daran zu erinnern, dass es nicht nur die beiden äussersten Extreme gibt, sondern eben auch alles im Dazwischen. Wir haben Ideen von Normen, die konstruiert wurden. Es gibt verschiedene Reaktionen, wenn jemand mit der eigenen Norm konfrontiert wird: Ablehnung, Verweigerung, Erkenntnis. Aber auch Ablehnung berührt: Man hasst nichts, was einem egal ist.

Wenn wir wieder beim Hass sind: Woher kommt der doch noch weit verbreitete Hass auf den eigenen Körper?

Es gibt eine Studie, die besagt, wenn Frauen aufhören würden, ihren Körper zu hassen, dann würde die gesamte Wirtschaft einbrechen. Es gibt ein systematisches Interesse daran, dass sich Menschen unvollständig fühlen und etwas kaufen müssen, um sich selbst zu optimieren. Ich weiss nicht, woher es kommt. Ich vermute ja den Anfang bei Eva, oder genauer gesagt bei der Art und Weise wie über Eva erzählt und geschrieben wurde. Was mich besonders wütend macht, ist die Kraft, Zeit und Intelligenz, die beim Nachzudenken darüber verloren geht, wie hässlich, unpassend oder alt der eigene Körper ist. Es ist eigentlich ein ständiges Ablenken, eine ständige Beschäftigung mit sich. Wenn ich irgendetwas in dieser Welt bewirken könnte, wäre es, dass Menschen aufhören, ihren Körper zu hassen. Weil ein Körper ist einfach nie, nie falsch.

Article image for Interview mit Performerin Teresa Vittucci: «Man hasst nichts, was einem egal ist»
(Bild: Gianna Rovere)

«Measure for Pleasure – Another Period Piece»

  • Konzept und Regie: Benny Claessens
  • Bühne: Stefan Britze
  • Kostüme: Teresa Vergho
  • Dramaturgie: Tine Milz
  • Schauspieler*innen Performance: Teresa Vittucci, Rob Fordeyn

Dieser Artikel wurde automatisch in das neue CMS von Tsri.ch migriert. Wenn du Fehler bemerkst, darfst du diese sehr gerne unserem Computerflüsterer melden.

Das könnte dich auch interessieren

Kommentare