Reis Luzhnica (SP): «Es ist möglich, selbst politisch aktiv zu sein»
Der SP-Gemeinderat Reis Luzhnica flüchtete als Kind aus dem Kosovo in die Schweiz. Heute setzt er sich für migrantische Menschen in Zürich ein. Doch nicht nur seine Familiengeschichte hat ihn politisiert, sondern auch seine Arbeit als Drucktechnologe.
Seit vier Jahren sitzt Reis Luzhnica für die SP im Gemeinderat. Hauptberuflich führt er gemeinsam mit seinem Geschäftspartner eine Druckerei, die sich auf nachhaltigen Druck spezialisiert hat.
Luzhnica sieht seine Position als Führungsperson als Privileg, weil sie ihm den Raum gibt, politisch tätig zu sein. Denn für viele sei der Beruf ein Hindernis, um in die Politik einzusteigen. «Wer einen handwerklichen Beruf ausübt oder ein geringes Einkommen hat, hat oft keine Kapazität, nebenbei als Politiker:in zu arbeiten», erklärt er.
Der 35-Jährige fühlte sich als Teenager von Schweizer Politiker:innen im Fernsehen nie richtig repräsentiert – Luzhnicas Familie kommt ursprünglich aus dem Kosovo. «Ich hatte damals keine Identifikationsfigur in der Schweiz», sagt er.
Heute ist es ihm ein grosses Anliegen, Menschen mit Migrationsgeschichte zu zeigen, dass es Leute gibt, die ihre Interessen vertreten und, «dass es möglich ist, selber aktiv zu sein».
Die albanische Community liegt ihm dabei besonders am Herzen. Beispielsweise forderte er die Stadt Zürich mit einem Vorstoss auf, dass ein geeigneter Standort für die Durchführung des Alba-Festivals gefunden wird.
Darüber hinaus engagiert sich Luzhnica dank Doppelbürgerschaft auch in der kosovarischen Partei «Vetëvendosje!», deren Vorsitzender der amtierende Premierminister Alban Kurti ist.
Warum sind Sie Gemeinderat geworden?
Ich bin eigentlich schon immer politisch interessiert gewesen. Meine Familie ist im Jahr 1992, da war ich zwei Jahre alt, aus dem Kosovo in die Schweiz geflüchtet. Aus diesem Grund war Politik immer ein Thema – wir haben damals auch politisches Asyl beantragt, was aber dann abgelehnt wurde. Das war das erste Ereignis, das mich politisiert hat.
Das zweite war, als ich meine Lehre in einer grossen Druckerei in Winterthur gemacht habe. Die Firma hatte wirtschaftliche Probleme. Dabei wurde ich zum ersten Mal mit gewerkschaftlichen Themen konfrontiert und habe gemerkt, wie wichtig es ist, sich zu organisieren.
Später meinte eine Arbeitskollegin, die im Gemeinderat tätig war, irgendwann, ich solle im Rat mal vorbeischauen. Daraufhin dachte ich, anstatt die Faust im Sack zu machen, probiere ich es mit einer Kandidatur. Im Juli 2021 rückte ich dann für Vera Ziswiler nach.
Welches Abstimmungsergebnis im Rat hat Sie am meisten gefreut?
Severin Meier (SP) und ich haben letztes Jahr ein Postulat zu Racial Profiling eingereicht. Früher ist das Thema oft auf gesetzliche Hürden gestossen. Das Postulat konnte nun vor zwei Wochen an den Stadtrat überwiesen werden. Es ist zwar noch nicht umgesetzt, aber das ist etwas, was mich vor kurzem sehr gefreut hat.
«Es geht nicht darum, die Polizei unter Generalverdacht zu stellen.»
Reis Luzhnica, SP-Gemeinderat
Welche hat Sie am meisten geärgert?
Die Ablehnung der parlamentarischen Initiative der AL zum Thema Racial Profiling. Als das in unsere Kommission kam, haben wir schnell gemerkt, dass der Wille der Stadt nicht da war, das Thema anzugehen. Auch die rechtlichen Hürden waren wieder ein Problem.
Durch das übergeordnete Recht des Kantons waren uns die Hände gebunden. Daher konnten wir es nicht durchbringen. Das war etwas, das mich sehr geärgert hat. Ich war auch ziemlich enttäuscht – aber habe es mittlerweile verarbeitet.
Haben Sie auch schon Racial Profiling erlebt?
Ja. Ich bin in Wiedikon aufgewachsen, noch bevor es ein Trendquartier war. Damals lebten viele Arbeiter:innen dort. Dementsprechend war die Polizei meiner Auffassung nach damals an diesem Ort sehr präsent. Als Jugendlicher, so im Alter von 14 oder 15, kam ich ein paar Mal in die Polizeikontrolle. Das war für mich nicht verständlich. Ich war als Jugendlicher noch recht klein und kindlich. Ich hatte das Gefühl, dass es Racial Profiling war.
Einmal bestätigte mir ein Polizist offen, dass er mich kontrollierte, weil es angeblich viele junge Albaner gäbe, die mit Drogen dealten. Meine Familie wusste nicht, wo man sich in so einem Fall beschweren kann – das löste ein Gefühl der Ungerechtigkeit bei uns aus und beschädigte mein Vertrauen in den Staat.
Deshalb thematisiere ich Racial Profiling im Gemeinderat. Viele Jugendliche mit Migrationsgeschichte haben immer noch ein mulmiges Gefühl, wenn die Polizei sie anspricht, obwohl sie nichts falsch gemacht haben. Es geht nicht darum, die Polizei unter Generalverdacht zu stellen, sondern darum, Rassismus und Vorurteile als gesellschaftliches Problem anzuerkennen.
Mit welcher Gemeinderätin oder welchem Gemeinderat der politischen Gegenseite würden Sie gerne ein Getränk nach Wahl trinken?
Das machen wir immer wieder mal. Zum Beispiel kommen Leute aus der SP und einige aus der FDP zusammen. Wenn ich jedoch jemanden konkret nennen müsste, dann wäre es Michael Schmid von der FDP. Mir gefällt seine ruhige Art. Er verfügt zudem über ein grosses Wissen, da er bereits seit vielen Jahren im Gemeinderat ist.
Bei der SVP habe ich dann schon recht Mühe mit dem offenen Rassismus, den einige von ihnen auch im Gemeinderat tragen. Es ist nicht so, dass ich es kategorisch ablehne – ich bin recht offen für kontroverse Diskussionen. Ich diskutiere auch gerne mit Leuten, die eine ganz andere Meinung haben als ich.
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