Lea Herzig (Grüne): «Niederlagen sind Anreize»
Seit Juli im Gemeinderat, denkt die Grünen-Politikerin Lea Herzig bereits darüber nach, wie Zürich inklusiver werden kann. Verbesserungspotenzial sieht sie nicht nur in der Inklusion von benachteiligten Gruppen, sondern auch in der Diskussionskultur des Gemeinderats.
Mit der Nachricht, dass sie in den Gemeinderat nachrückt, begann für Lea Herzig der Sommer. Während der laufenden Legislatur will sie besonders für Menschen einstehen, die in politischen Debatten oft übersehen werden. Denn als Teil der queeren Community weiss Herzig, wie wichtig Sichtbarkeit ist.
Dennoch, die Grünen-Politikerin lässt sich ungern auf ihre Identität reduzieren: «Queere Menschen gehören zu unserer Gesellschaft dazu – wir sind aber nicht nur ein Adjektiv, sondern bringen vielfältige Perspektiven mit.» Herzig versteht ihre Erfahrungen vielmehr als Instrument, um zu vermitteln und «sich für alle unterrepräsentierten Menschen einzusetzen».
Bevor sie die politische Bühne betrat, sorgte Herzig als Stadtpolizistin für Sicherheit auf den Strassen. Noch heute reagieren gewisse Menschen irritiert, wenn sie von ihrer ehemaligen Berufswahl hören. «Viele haben ein festes Bild davon, welche politische Ausrichtung eine Polizistin haben soll», sagt sie. Getrieben von Neugierde und Wissensdurst studierte die Gemeinderätin später Jura und entdeckte so ihre Leidenschaft für den Beruf als Rechtsanwältin.
Warum sind Sie Gemeinderätin geworden?
Ich konnte 2021 bei der Frauensession mitmachen. Dort wurde mein politisches Feuer gezündet. Ich habe mich schon immer für Politik interessiert, aber dort habe ich gemerkt, dass ich mitreden, am Tisch sitzen und meine Stimme nutzen will.
Besonders motivierend und bewundernswert finde ich alle Vorgängerinnen, die sich kämpferisch für unsere Rechte und Gleichstellung eingesetzt haben. Manchmal denke ich, dass es heute teilweise schwierig ist, etwas umzusetzen, aber damals hatten es Frauen noch schwerer. Die Gesetzes- und Politikwelt wurde von und für Männer gebaut und wir sind die Generation, die nun umbauen darf.
Sie sind seit diesem Sommer im Gemeinderat. Gibt es etwas, das Sie überrascht hat?
Nach meiner ersten Sitzung war ich recht überrascht darüber, was für eine Tonalität im Rat herrscht. Beispielsweise war ich sehr verwundert, dass die Sitzung eröffnet wurde und niemand zuhörte.
«Mein Wunsch ist es Brücken zwischen den einzelnen Parteien und Anliegen zu bauen.»
Lea Herzig, Gemeinderätin
Zudem hat mich erstaunt, was für eine Geschäftslast mit enormer Geschwindigkeit jeden Mittwochabend durch das Parlament gedrückt wird. Zu gewissen Themen kommen dann ständig neue Sachen hinzu oder ähnliche Vorstösse. Das ist auch etwas, was mich ein bisschen irritiert. Denn bezogen auf die Effizienz, würde ich mir auch wünschen, dass Gemeinderät:innen nicht nur den eigenen Namen im Vordergrund stellen wollen, sondern auch die Sachpolitik ernsthaft betreiben möchten.
Welche Themen möchten Sie künftig im Rat behandeln?
Mit meinem Gesicht und Namen stehe ich auf jeden Fall für Diversität und Vielfalt. Daher möchte ich für Menschen Politik machen, die selber nicht im Rat vertreten sind. Beispielsweise will ich mich im Gemeinderat künftig, auch wenn ich selber nicht darauf angewiesen bin, mehr für Barrierefreiheit einsetzen.
Ich wünsche mir, dass wir dazu beitragen können, dass wir Brücken zwischen den einzelnen Parteien und Anliegen bauen. Es ist wichtig, dass man einander zuhört und sich sachlich um Themen kümmert – und da biete ich gerne meine Hand.
Wie gehen Sie mit politischen Niederlagen um?
Ich verstehe Politik als ständigen Wachstumsprozess. Wenn etwas nicht schnell genug geht, versuche ich mich daran wieder aufzubauen, dass es noch mehr Zeit und Investitionen braucht. Ein gutes Beispiel hierfür ist die «Ehe für alle». Als queere Person habe ich über 20 Jahre auf diesen Entscheid gewartet. Es hat mir gezeigt, dass man etappenweise gewisse Zwischenziele erreichen kann. Ich glaube, das ist ein guter Umgang mit politischen Niederlagen – es nicht als absolute Niederlage zu verstehen, sondern als Anreiz, noch mehr für das Anliegen zu machen.
Mit welcher Gemeinderätin oder welchem Gemeinderat der politischen Gegenseite würden Sie gerne ein Getränk nach Wahl trinken?
Ich finde es sehr toll, mit ganz unterschiedlichen Menschen in Kontakt zu kommen. Ich konnte schon in diesen wenigen Wochen im Gemeinderat viele Kontakte über alle Parteigrenzen schliessen. Ich finde Marita Verbali (FDP) eine beeindruckende Person, bei der ich sehr viel Frauenpower spüre. Mit ihr würde ich auf jeden Fall etwas trinken.
Auch finde ich Ronny Siev (GLP) spannend. Mit ihm würde ich auch jederzeit ein Bier trinken. Als Mitglied der jüdischen Gemeinde bringt er sicher interessante Erfahrungen mit. Ich habe mit ihm schon über den aktuell spürbaren Antisemitismus gesprochen. Das sind Erfahrungswelten, die ich nicht kenne.
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