«Wenn Kritik an Israel bei Juden platziert wird, ist es antisemitisch»

In Zürich wurden fünf Kunstgalerien versprayt, weil sie von jüdischen Menschen geführt werden oder Werke von jüdischen Künstler:innen ausstellen. Eine Expertin ordnet diese antisemitischen Aktionen ein.

Prof. Dina Pomeranz
«Intifada bis zum Sieg»: Solche Sprayereien bereiten Professorin Dina Pomeranz Sorge. (Bild: zvg)

Wenige Tage vor dem Zurich Art Weekend sind mehrere Galerien in Zürich versprayt worden – darunter die Galerie Bernheim und das Cabaret Voltaire. Die angegriffenen Orte haben eines gemeinsam: Sie werden entweder von jüdischen Menschen geführt oder stellen Werke von jüdischen Künstler:innen aus. 

Auf den Fenstern oder davor am Boden prangten Schriftzüge wie «Free Palestine», «No art for genicode» und «Intifada for Victory». Auch das rote Dreieck, das von der Terrororganisation Hamas benutzt wird, wurde gesprayt, wie die NZZ schreibt. 

Dina Pomeranz ist Wirtschaftsprofessorin an der Universität Zürich, ist jüdisch und hat selbst eine Zeit lang in Israel gelebt. 

Simon Jacoby: Warum sind diese Angriffe auf jüdisch geführte Galerien problematisch?

Dina Pomeranz: Wenn man jüdische Menschen für die Handlungen des Staates Israel verantwortlich macht, dann ist das klar antisemitisch. Die meisten jüdischen Leute sind nicht Israelis. Von muslimischen Freund:innen höre ich manchmal, dass sie in ähnlicher Weise für Handlungen der Türkei oder des Irans verantwortlich gemacht werden. Diese Verwechslungen sind genau, was so problematisch ist. Zudem ist es allgemein nicht ok, alle Bürger:innen eines Landes für die Handlungen ihres Staates zu verurteilen.

Inwiefern unterscheiden sich diese Sprayereien von den anderen Pro-Palästina-Protesten in Zürich? 

Es ist natürlich legitim, sich mit Palästina zu solidarisieren. Deswegen jüdische Geschäfte zu attackieren, ist aber klar antisemitisch. Auch ein palästinensischer Freund von mir verurteilt diese Angriffe auf jüdische Galerien. Er sagt, es sei herzzerreissend, wenn «Free Palestine» genutzt wird, um gezielt jüdische Menschen anzugreifen – und zudem kontraproduktiv für die palästinensischen Anliegen.

Das Markieren von jüdischen Lokalitäten erinnert an die Zeiten des Nationalsozialismus. Befürchten Sie weitere Eskalationen?

Leider scheinen aktuell sowohl der Antisemitismus wie auch der antimuslimische Rassismus zuzunehmen. Es macht mir Sorgen, dass der Nahostkonflikt zum Teil instrumentalisiert wird, um Hass zu schüren. Viele jüdische Menschen haben grosse Angst.

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Vor der Blue Velvet Galerie in Wiedikon prangt der Slogan «Intifada till victory» (Bild: Tsüri.ch / Simon Jacoby)

Was erhoffen Sie sich von der Gesellschaft als Reaktion?

Ich wünsche mir, dass sich alle gegen Antisemitismus und Vorurteile gegen andere Minderheiten einsetzen. Wenn man zum Beispiel in Gesprächen antisemitischen oder rassistischen Aussagen begegnet, wäre es gut, einzugreifen und etwas zu sagen. 

Solidarität mit dem Leid in Gaza muss möglich sein, ohne dass man als antisemitisch verurteilt wird.

Genau. Es ist klar, dass Solidarität mit Palästinenser:innen nicht per se antisemitisch ist. Viele jüdische Menschen machen sich auch grosse Sorgen um die Bevölkerung in Gaza. Einige sind auch Teil von Pro-Palästina Demos. Gleichzeitig kann und soll man antisemitische Elemente kritisieren, die zum Teil innerhalb der Pro-Palästina-Bewegung vorkommen. Leider ist Antisemitismus in vielen Bevölkerungsschichten immer noch weit verbreitet. Mir ist sehr wichtig, dass man nicht pauschalisiert und alle in einen Topf wirft.

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