Zurück zum Ursprung? – Hochhäuser der Zukunft

Meghan Rolvien ist Architekturstudentin an der ETH. Ihr ist wichtig, dass mit dem Begriff «nachhaltig» im Zusammenhang mit der Baubranche bedacht umgegangen wird. In diesem Text hat sie deshalb versucht, dies in Bezug auf Hochhäuser genauer zu erörtern. Inspiriert wurde sie vom Projekt ‹Ensemble› für das Hardturm Areal in Zürich.

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Wurde vergangenen Herbst von der Zürcher Stimmbevölkerung gutgeheissen: Das Projekt Ensemble auf dem Hardturm-Areal. Grafik: Büro Boltshauser

von Meghan Rolvien

Der generelle schweizerische Konflikt über Hochhäuser ist zunächst simpel: Die eine Seite sieht im Hochhausbau eine gute Verdichtungsmethode, um die steigenden Bevölkerungszahlen in den Städten aufzunehmen, während die andere Seite das bestehende Stadtbild erhalten möchte und Hochhäuser als Fremdlinge empfindet. In jüngster Vergangenheit kommt ein weiterer Vorwurf hinzu: Das Hochhaus sei per se unökologisch. Der Architekturtheoretiker Philip Ursprung bezeichnete in seinem Beitrag für das Online Magazin Republik das Hochhaus vor Kurzem als den «am wenigsten nachhaltigen Bautyp», der «enorm viel Energie schon dafür benötigt, um sein eigenes Gewicht zu halten.» Schon klar, etwas so Grosses kann nur schlecht für die Umwelt sein.

Die Erregtheit des Hochhaus-Konflikts wurde während der aktuellen Auseinandersetzungen zum neuen Projekt Ensemble für das Hardturm Areal in Zürich erkennbar. Hier planen Credit Suisse, die Immobilienfirma HRS und die Allgemeine Baugenossenschaft Zürich (ABZ) zwei 137 Meter hohe Hochhäuser mit 570 Wohnungen und Büroflächen sowie ein Stadion für 18’000 Zuschauer*innen und einen Bau mit Genossenschaftswohnungen. Über das Vorhaben wurde vom Zürcher Stimmvolk bereits zweimal abgestimmt, 2018 und 2020. Beide Male konnte das Projekt eine Mehrheit der Stimmen für sich gewinnen. Sich erhebende Gegner*innen beklagen unter anderem die erwartete Umweltbelastung durch die Türme.

Nachhaltigkeit – ein dehnbarer Begriff

Was versteht man nun unter der besagten Nachhaltigkeit? Vor allem bedeutet sie Zukunftsfähigkeit im Sinne darin, die Erhaltung der Umwelt zu sichern. Jüngst setzen Architekturbüros dieses Ziel auf verschiedenen Wegen um und nutzen Nachhaltigkeit nicht selten als Teil des Marketingkonzepts. Dabei wird das Material Holz häufig als Klimaretter dargestellt. Die Verwendung des nachwachsenden Rohstoffs soll ein nachhaltiges Gebäude versprechen. Um dem Klischee des Hochhauses als nicht nachhaltige Typologie entgegenzusetzen, entstanden kürzlich einige Entwürfe für Holzhochhäuser in der Schweiz – eine konsequente Fortführung der alpenländischen Tradition, hölzerne Hütten zu bauen. Es wirkt tendenziell so, als wolle man das Fortschrittliche eines Hochhauses mit einem Heimatbezug wieder gut machen.

Im Rahmen ihres Projekts Pi haben Duplex Architekten einen Entwurf für ein nachhaltiges Wohnhochhaus in Zug erarbeitet. Das Zürcher Büro gewann den Wettbewerb, welcher im vergangenen Jahr von der Haushaltsgerätefirma V-Zug in Auftrag gegeben wurde. Angrenzend an ein Produktionsareal des Unternehmens soll günstiger Wohnraum für Fabrikmitarbeiter*innen sowie für die Stadt entstehen. So ergab sich der Vorschlag für ein 80 Meter hohes Gebäude, das im Erdgeschoss öffentliche Nutzungen und in den darüber liegenden Geschossen 190 Wohnungen anbietet. In der Pressemappe des Projekts wurde nicht davor zurückgescheut, die Nachhaltigkeit des Vorhabens hervorzuheben. Das Hochhaus ist nämlich aus Holz.

Holz als strukturelles Material zu nutzen, scheint eine umweltfreundliche Alternative zu Stahl- oder Betonbauweisen zu sein. Der nachwachsende Rohstoff erzeugt in der Herstellung kein CO2, sondern reduziert das Treibhausgas in der Wachstumsphase. Oft wird in der Beurteilung der Umweltbelastung jedoch der Transportweg vergessen. Das Holz für das Hochhaus Pi kommt aus dem über 600 Kilometer entfernten Creuzburg in Deutschland. In der Schweiz gäbe es ja auch viel Holz, aber scheinbar noch nicht die richtigen Hersteller*innen. Die Architekt*innen entschieden sich für ein aufwendiges Holzrahmentragwerk. Nach dem «Tube-in-Tube»-Prinzip besteht die Konstruktion aus zwei miteinander verbundenen Röhren. Damit diese üblicherweise in Stahl ausgeführte Bauweise aber in Holz gelingt, bemüht man einen enorm hohen Materialverbrauch. Im Haus Pi findet man auf einer Stockwerkfläche von rund 870 Quadratmetern insgesamt 46 massive Stützen. Die grosse Holzmenge wird dazu noch mit Betonverbunddecken und einer Keramikverkleidung ergänzt. Optional kann die vorgeschlagene Fassade mit Photovoltaik-Elementen ausgestattet werden, was aber nur ein Drittel des laufenden Energiebedarfs der Bewohner*innen decken würde. Die Umweltfreundlichkeit bleibt zunächst eine Option.

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Die Schweizer Idylle soll erhalten bleiben – dank richtiger Verdichtung in den Städten. Bildmalerei: Johann Jakob Biedermann

Gute Beispiele sind vorhanden

Ein anderer Ansatz wurde bei dem neuen Wohnhochhaus mit Mischnutzung in Genf nahe der S-Bahn Haltestelle Chênge-Bourg, entworfen vom Pariser Architekturbüro Lacaton & Vassal, verfolgt. Das von der SBB im Jahr 2014 in Auftrag gegebene und 2020 fertiggestellte Gebäude soll ein zentraler Ort für das Trois-Chêne-Quartier werden. Der 64 Meter hohe Turm beherbergt in den obersten 14 Geschossen 101 Wohneinheiten, während die fünf darunterliegenden Etagen für tertiäre Aktivitäten genutzt werden können und das Erdgeschoss mit Geschäften und Dienstleistungsangeboten besetzt wird. Das in Stahlbeton gefertigte Stützen-Platten-Tragwerk des Tour Opale ist materialsparend und daher effizient. Auf einer über 900 Quadratmeter großen Geschossfläche gibt es 22 Stützen, im Vergleich zum Holzhochhaus Pi also halb so viel Material. Beton ist zwar in der Herstellung mit einem hohen CO2-Ausstoss verbunden und in dieser Hinsicht nicht ökologisch, für den Baustoff aber sprechen eine lokale Verfügbarkeit verbunden mit kurzen Transportwegen sowie die Möglichkeit zum fast vollständigen Recycling.

Ein ökologisches Verhalten lag den Planer*innen am Herzen, was sich vor allem in den energetischen Überlegungen zeigt. Für das Hochhaus in Genf war es ein Hauptanliegen, das Wohngefühl einer Villa in der Stadt zu ermöglichen. Diese aussergewöhnliche Forderung für einen Wohnturm konnte erreicht werden, indem sämtliche Zimmer über bodentiefe Fenster Zugang zu einem umlaufenden Balkon haben und gleichzeitig mit viel Tageslicht durchströmt werden. Die das Gebäude umschliessende Balkonschicht agiert sowohl als flächenmässige Erweiterung des Raums, sowie als wärmespeichernde Hülle, die eine energetische Optimierung ermöglicht. Das Prinzip ähnelt einem Wintergarten und wird ergänzt durch spezielle silberne Isoliervorhänge, die ein hohes Mass an Flexibilität für das Raumklima erlauben. Bewohner*innen erleben im Verlauf der Jahreszeiten unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten des Wohnraums. Energieeffizienz wird hier durch eine intelligente Fassaden- und Raumanordnung erreicht, welche unabhängig von der Höhe des Gebäudes sowie von technischen Systemen funktioniert.

Es wäre schlussendlich falsch festzustellen, dass eine Bauweise mit Holz grundsätzlich umweltschonender als eine Betonbauweise ist. Für eine genaue Beurteilung muss immer die spezifische Umsetzung eines Bauwerks betrachtet werden. Das Verkaufsargument Holz vom Hochhaus Pi entpuppt sich als Enttäuschung. In der Materialökologie wurden zu viele Kompromisse gemacht, die dem Projekt seine Nachhaltigkeit rauben. Für das aus Beton gefertigte Hochhaus in Genf verbrauchte man nicht nur weniger Material, sondern konnte dieses auch auf kurzen Transportwegen beschaffen. Hinzukommend wurde der Bau aufgrund von neuartigen energetischen Überlegungen mit dem Minergie-Label zertifiziert, welches nachhaltiges Bauen bewertet.

Mit Hochhäusern zu mehr Biodiversität

Dass ein Hochhaus nachhaltig sein kann, beweist ein weiterer Aspekt. Wohnhochhäuser könnten dabei helfen, Biodiversität zu fördern. Zwischen den Jahren 1970 und 2018 sank der Living Plant Index, ein Indikator für die weltweite biologische Vielfalt, um 60 Prozent. Mittlerweile ist die Hälfte aller 235 Ökosysteme in der Schweiz bedroht. Die Ausdehnung der Städte ins Umland ist folgenschwerer als man denkt. Im europäischen Vergleich erreicht die Fragmentierung der Landschaft pro Quadratkilometer hierzulande einen der höchsten Werte. Zu begründen ist dies mit der starken Zersiedlungsrate. Die Fragmentierung einzuschränken, wäre eine bedeutende Massnahme, um wichtige Lebensräume zu schützen. Der Vorteil vom Bauen in die Höhe ist, dass damit innerstädtisch viel Wohnraum geschaffen und so der Zersiedlung entgegengewirkt werden kann. Weiterhin sollten verschiedene Arten auch innerhalb der Stadt leben. Dafür muss man Grünflächen erhalten oder generieren, also den Boden nicht versiegeln. Einfach gesagt: Wenn höher gebaut wird, kann der Fussabdruck kleiner gehalten werden. Um im Sinne der Biodiversität wirksam zu sein, sollte die um das Hochhaus liegende Fläche jedoch nicht asphaltiert werden, was bisher in keinem der aktuellen Hochhausprojekte verstanden wird.

Es kommt nun noch ein anderer, oft vergessener Punkt hinzu. Neben der ökologischen Nachhaltigkeit gibt es auch die gesellschaftliche Nachhaltigkeit. In der Schweiz beurteilt man die gesamtheitliche Nachhaltigkeit im Hochbau im Sinne des 3-Säulen-Modells durch die Dimensionen Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft. Der Bereich Umwelt umfasst Treibhausgasemissionen, graue Energie, Ressourcenschonung sowie Entsorgung und Wiederverwertung. Im Wirtschaftsteil geht es um Lebenszykluskosten und Erfahrung in der Bauweise. Die Dimension Gesellschaft beinhaltet Wohnfläche, Nutzungsflexibilität, Erdgeschossnutzungen, Tageslicht, Veränderbarkeit der Nutzungseinheiten, Schallschutz, sommerlichen Wärmeschutz und Raumlufthygiene. Demnach kann ein Hochhaus erst als unökologisch dargestellt werden, wenn auch der gesellschaftliche Teil untersucht wurde.

Damit ein Hochhaus nachhaltig sein kann, muss es nicht nur in seiner Herstellung die Umweltbelastung minimal halten, sondern auch eine lange Lebensdauer versprechen können.

Meghan Rolvien, Architekturstudentin an der ETH

Eine gesellschaftliche Errungenschaft?

Um das Konzept von sozialer Durchmischung zu stärken, plant Duplex eine Stapelung von Wohnthemen, die mit Familienbudget, Generationenwohnen oder Patchworkhaus betitelt sind. Die obersten Geschosse des Stockwerkeigentums werden thematisch nicht näher definiert. Im Kern jeder Etage befindet sich ein gemeinschaftlicher Begegnungsraum, der das Kennenlernen der häuslichen Nachbarschaft fördern soll. Bedauerlicherweise liegt dieser, für das Projekt signifikante Raum, genannt Piazza, jedoch im Dunkeln. Man fragt sich an dieser Stelle, warum und wie hier das Lebensgefühl einer italienischen Platzanlage aufkommen soll. Auch die Programmierung der Piazza ist fragwürdig. Duplex sieht für jedes Geschoss eine spezifische Nutzung dieses Gemeinschaftsraums vor. So findet man in den unteren Stockwerken kollektive Nutzungen wie eine Bastelwerkstatt, während die oberen Stockwerke einen Weinhumidor und eine Apéroküche unterhalten. Derartige spezifische Zuweisungen unterschlagen potenzielle Aneignung. Ein monoprogrammatischer Raum erlaubt oft wenig Flexibilität. Durch die Nutzungsvorgabe entsteht ein stereotyper Blick auf die Gesellschaft, der Möglichkeitsräume eingrenzt. Fehlende Anpassungsfähigkeit bedeutet immer auch weniger Nachhaltigkeit.

Das Wohnhochhaus in Genf verfolgte auch bezüglich der Dimension Gesellschaft einen konträren Weg. Der Entwurf wendet sich gegen das von Duplex angewandte Konzept der Monofunktionalität. Das strukturelle System ist einfach und flexibel. Da räumliche Anpassungen über die Zeit umsetzbar bleiben, wird eine Freiheit der Gestaltung ermöglicht. Die als Bürogeschosse ausgeschriebenen Etagen verzichten auf eingestellte Wände und sind so konzipiert, dass sie bei Bedarf in weitere bewohnbare Flächen umgewandelt werden können. Das Genfer Hochhaus ist voraussichtlich fähig, sozioökonomische Veränderungen aufzunehmen und gleichzeitig eine hohe Lebensqualität für seine Bewohner*innen zu schaffen.

Das Gebäude beherbergt vier verschiedene Wohnungsgrößen mit 1,5; 2,5; 3,5 und 4,5 Zimmern. Jedes Wohngeschoss ist gleich aufgebaut – die Undifferenziertheit der gleichgrossen Wohnungen war hier eine bewusste Entscheidung und steht im Gegensatz zum Ansatz des Hochhauses Pi, in dem jede Wohnung minimal anders aufgebaut ist. Die gesamte Fläche der Wohngeschosse wird den Wohnungen zugeschrieben. Mit 86 Quadratmeter Grundfläche, bei der die grosszügige Balkonschicht noch nicht inkludiert ist, verhält sich die 3,5-Zimmer Wohnung im Vergleich zum Genfer Durchschnitt von 61 Quadratmeter überdurchschnittlich gross, liegt jedoch preislich im Durchschnitt einer 3,5-Zimmer-Wohnung. Die Architekt*innen vertreten die Meinung, dass eine grössere Wohnfläche besser fähig ist, künftige Veränderungen des Lebensstils oder der Haushaltszusammensetzung aufzunehmen. Es gibt, anders als beim Beispiel in Zug, keine Gemeinschaftsflächen in den Wohngeschossen, jedoch verschiedene öffentliche Nutzungen im zweistöckigen Erdgeschoss. Für die Bewohner*innen des Tour Opale spielt sich das kommunale Leben in der Stadt ab, während dem Privatbereich grosse Freiheit geschenkt wird. Im Hochhaus Pi soll das städtische Leben im eigenen Haus seinen Platz finden, weshalb die private Wohnung flächenmäßig eingeschränkt wird.

Wie am Beispiel vom Hardturm-Areal in Zürich erkennbar wurde, entscheiden oft Volksentscheide über die Verwirklichung von Hochhäusern. Daher muss gegenüber den Abstimmenden eine ehrliche Kommunikation herrschen. Für den Wohnturm in Zug wurde Nachhaltigkeit als Hauptargument vermittelt. Das Genfer Hochhaus beweist sowohl in ökologischer als auch in sozialer Hinsicht mehr Zukunftsfähigkeit. Damit ein Hochhaus nachhaltig sein kann, muss es nicht nur in seiner Herstellung und Unterhaltung die Umweltbelastung minimal halten, sondern auch eine lange Lebensdauer versprechen und auf unvorhergesehene Programmänderungen reagieren können. Ständiger Abriss und Neubau sind nämlich besonders unökologisch.

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