Platzmangel im Frauenfussball – «Wenn wir Frauen fördern wollen, brauchen wir Räume»
Trotz der Frauen-EM in der Schweiz erhalten Männerteams in Vereinen noch immer mehr oder bessere Trainingsplätze. Loredana Baratti und Artemis Siradakis vom FC Wiedikon erklären, wie diese Ungleichheit bei Frauen zustande kommt und warum beim Nachwuchs keine Unterschiede gemacht werden.
Sophie Wagner: Frau Siradakis, in Zürich sind Fussballplätze ein knappes Gut: Die insgesamt 27 Rasenanlagen der Stadt müssen sich fast 600 Fussballteams teilen. Wer legt beim FC Wiedikon fest, wer wann und wo spielen darf?
Artemis Siradakis: Diese Entscheidung trifft der Vereinsvorstand, ursprünglich die Person, die den Spielbetrieb organisiert. Die ersten Jahre lag der Fokus vor allem auf den Jungs. Mädchenteams wurden regelrecht an den Rand gedrängt.
Das ist mittlerweile besser, weil wir uns gewehrt und für faire Verteilung der Trainingszeiten und Plätze gekämpft haben. Heute bekommen unsere Mädchenteams ebenfalls Slots auf den guten Plätzen. Es wird auf ihre Bedürfnisse und Wünsche eingegangen.
Die Ressourcen im Verein werden also inzwischen gerecht verteilt.
Loredana Baratti: Gerade in der Nachwuchsarbeit versuchen wir, Jungen und Mädchen gleichzubehandeln, was uns mittlerweile sehr gut gelingt. Aber es war ein Prozess, Wege zu finden, wie wir die Mädchen in die bereits vorhandenen Strukturen der Nachwuchsabteilung einbringen können. Vor allem bei der Platzvergabe mussten wir immer wieder darauf hinweisen, dass auch Mädchen grosse und gute Plätze brauchen, um sich entwickeln zu können.
Siradakis: Aber man muss realistisch sein: In der Praxis sind die Kapazitäten knapp. Ohne den festen Willen des Vereins wäre es kaum möglich gewesen, diesen Fortschritt zu erzielen. Und bei den erwachsenen Frauen sieht es nochmal ganz anders aus.
Im Nachwuchsbereich kann also fast schon von Gleichheit gesprochen werden. Warum nicht bei den erwachsenen Frauen?
Siradakis: Das könnte daran liegen, dass die Frauen, die heute spielen, selbst noch nicht die Förderung erlebt haben, die Mädchen jetzt erhalten. Jungs und Männer erbringen heute diese Leistung, weil sie von klein auf entsprechend gefördert wurden.
Beispielhaft dafür ist Spanien, wo der Nachwuchs geschlechtsunabhängig schon extrem früh professionell gefördert wird. Das sieht man später im Spielniveau.
Ein Problem ist, dass Forderungen der Frauen bei uns im Verein schnell als «politisch» abgestempelt werden, auch wenn es letztlich sportliche Ziele betrifft. Das erschwert manchmal eine lösungsorientierte Diskussion. Daran zeigt sich: Frauen müssen sich ihre Legitimation im Fussball immer noch erkämpfen.
Frauen-Fussball ist also zwangsläufig politisch?
Baratti: Es gibt viele Frauen, die, wie ich früher auch, das Gefühl haben: Fussball ist halt Männersache. Man trägt selbst Vorurteile in sich. Es braucht Vorbilder, die zeigen: Wir dürfen genauso Fussball spielen.
Wir müssen uns nicht ständig rechtfertigen oder hinterfragen, wenn wir es vielleicht etwas anders machen als die Männer. In vielen Vorständen von Vereinen stecken wir immer noch in diesen festgefahrenen Strukturen.
Frau Baratti, Sie sind seit sechs Jahren Trainerin. Ist Fussball für Mädchen interessanter geworden?
Baratti: Viele Mädchen lassen ihr Leben heute stärker um den Sport kreisen – so, wie es früher meist nur bei den Jungs der Fall war. Ich glaube aber, das Interesse war schon immer da. Früher fehlten einfach die Möglichkeiten und die Vorbilder.
«Männer und Buben sind sich seit Jahrzehnten ihren Platz gewohnt.»
Artemis Siradakis
Anfang Jahr kündigte der Schweizerische Fussballverband an, Mädchen im Nachwuchsfussball zu fördern und die Zahl der lizenzierten Spielerinnen bis 2027 zu verdoppeln. Ist das realistisch?
Baratti: In der Stadt Zürich halte ich das für schwierig. Wir haben eine extrem hohe Nachfrage, aber es fehlt an Infrastruktur. Ohne zusätzliche Plätze können wir keine weiteren Teams aufstellen.
Siradakis: Es klingt gut, aber ohne Bedingungen oder einen konkreten Plan bleibt es ein Lippenbekenntnis. Wenn wir Mädchen und Frauen wirklich fördern wollen, brauchen wir Räume, die wir nutzen können.
Dabei stossen wir schnell auf Widerstand. Männer und Buben sind sich seit Jahrzehnten ihren Platz gewohnt – es kann als Verdrängung empfunden werden, wenn das Feld für ein Frauenteam geräumt werden müsste.
Was sagt die Stadt Zürich zum Platzmangel?
Siradakis: Das Sportamt ist grundsätzlich sehr bemüht. Es hat ein Interesse und sogar den Auftrag, Lösungen zu finden, und würde diese auch gerne umsetzen. Aber die Stadtverwaltung ist extrem komplex aufgebaut.
Es gibt so viele Departemente beziehungsweise Ämter, die alle ihre eigenen Interessen verfolgen. Diese Interessenkonflikte führen dazu, dass praktisch nichts schnell umgesetzt werden kann.
Baratti: Man muss sich vor Augen führen, wie viele Stellen bei einem Sportplatz involviert sein können: das Sportamt, das Schuldepartement, das Sozialdepartement, Grün Stadt Zürich, das Hochbaudepartement. Es sind einfach zu viele Bedürfnisse und Akteur:innen.
Sehen Sie trotzdem Fortschritte?
Siradakis: Wir bewegen uns in die richtige Richtung. Gerade was die Infrastruktur angeht, bin ich zuversichtlich, dass sich in der nächsten Zeit etwas verändern wird.
Baratti: Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg, aber noch nicht am Ziel. Es gibt immer noch Stimmen, die den Frauenfussball belächeln. Andererseits gibt es aber auch immer mehr Männer, die die Juniorinnen-Abteilung unterstützen und sich aktiv einbringen wollen.
Letzte Woche hat die Fussball-EM der Frauen begonnen und schon seit Wochen gibt es sehr viel Berichterstattung. Wie nachhaltig schätzen Sie den Hype ein?
Baratti: Das Interesse, das momentan herrscht, freut mich sehr. Es ist aber wichtig, dass wir den öffentlichen Diskurs nach der EM beibehalten können, denn er schafft Druck, etwa für bessere Infrastruktur und die Anerkennung von Mädchen- und Frauenfussball.
Siradakis: Ich bekam Rückmeldungen von Frauen, die sich vorher kaum mit dem Thema beschäftigt haben, die jetzt aber sagen: «Wow, ich sehe das jetzt ganz anders und verstehe besser, was ihr erlebt.» Das stärkt auch die Solidarität unter Frauen. Ob das nachhaltig ist, bleibt fraglich, aber es hat Potenzial.
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Ausbildung als Polygrafin EFZ an der Schule für Gestaltung in Bern und aktuelle Studentin Kommunikation mit Vertiefung in Journalismus an der ZHAW Winterthur. Einstieg in den Journalismus als Abenddienstmitarbeiterin am Newsdesk vom Tages-Anzeiger, als Praktikantin bei Monopol in Berlin und als freie Autorin beim Winterthurer Kulturmagazin Coucou. Seit März 2025 als Praktikantin bei Tsüri.ch