Weniger Zeit am Handy – in Zürich treffen sich Menschen zum «Offline-Hangout»
Das Handy ist heute kaum noch aus der Hand zu legen, und trotzdem sehnen sich viele nach Pausen. Ein Club möchte nun mit sogenannten «Offline-Hangouts» die Bildschirmzeit seiner Mitglieder senken. Wir waren beim ersten Treffen in Zürich dabei.
Im Wintergarten des Café Sphères im Zürcher Industriequartier steht auf einem Barstuhl ein kleiner schwarzer Koffer aufgeklappt. Darin liegen mehrere Handys, jedes mit einem Post-it und Namen versehen. Grund dafür ist nicht ein neues Handyverbot des Lokals, sondern das erste Treffen des Offline-Clubs in Zürich.
In sogenannten «Offline-Hangouts» will die Gruppe einen Raum schaffen, in dem man bewusst auf elektronische Geräte verzichtet und sich einer Aktivität widmet – und das kostenlos. An diesem Abend werden Weihnachtskarten geschrieben. «Es soll unseren Mitgliedern eine Möglichkeit bieten, Gleichgesinnte zu treffen und neue Menschen kennenzulernen», sagt Eldrid Funck, die Verantwortliche des Clubs für den Standort Zürich.
Ursprünglich entstand die Idee in den Niederlanden. Drei Freunde suchten vor vier Jahren eine Auszeit vom Alltag und verbrachten einige Tage komplett offline in einer abgelegenen Hütte. Im Februar 2024 führten sie erstmals einen «Offline-Hangout» in einem Café in Amsterdam durch. So wurde schliesslich der offizielle Offline-Club ins Leben gerufen, der heute in Wien, Hamburg, Istanbul oder Madrid zu finden ist.
Insgesamt ist der Club in 16 europäischen Städten vertreten. Nun gibt es ihn auch in Zürich und die Nachfrage ist gross: Anfang Dezember sind schon 250 Menschen Mitglied. Für das Treffen am Mittwochabend gab es sogar eine Warteliste.
Begegnungen statt Bildschirme
Auf den Tischen liegen Sticker in Sternen- und Tannenbaumform, dazu Kugelschreiber und Weihnachtskarten mit einem gezeichneten Igel. «Es soll ein wenig inspirieren», sagt Funck. Nach und nach trudeln die Teilnehmenden ein, einige sitzen bereits vor ihren Bastelutensilien und trinken Tee oder Glühwein.
Eine von ihnen ist Sofia. Die Biomedizin-Studentin entdeckte den Offline-Club auf Instagram. Zu diesem Zeitpunkt gab es diesen aber noch nicht in Zürich. «Ich habe mich daraufhin einfach mal für den Newsletter angemeldet.»
«Ich bin erst kürzlich für die Arbeit nach Zürich gezogen und dachte, das wäre eine gute Gelegenheit, um mich zu vernetzen.»
Suhan, Teilnehmer
Einige Monate später erhielt sie die Nachricht über den ersten Event in Zürich. Das Konzept überzeugte sie sofort: «Ich habe viel Zeit auf Instagram verbracht und es jetzt seit einem Monat deaktiviert.»
Ein weiterer Punkt, der ihr zugesagt hat, ist, dass sie so neue Menschen kennenlernen kann. Suhan, der sich zu ihr setzt, sieht das genauso. «Ich bin erst kürzlich für die Arbeit nach Zürich gezogen und dachte, das wäre eine gute Gelegenheit, um mich zu vernetzen», erklärt er. Das Handy auch mal bewusst wegzulegen, sei ein zusätzliches Plus, «auch wenn ich befürchte, ohne ChatGPT keine guten Texte zu schreiben».
Mitglieder können sich aktiv einbringen
Im Verlauf des Abends entsteht tatsächlich schnell eine offene Atmosphäre. Menschen, die sich vorher noch nie begegnet sind, kommen ins Gespräch und schreiben ihre Karten. «Im Alltag schotten wir uns mit dem Handy und auch durch Kopfhörer ab», sagt Funck. Anstatt im Zug oder an der Haltestelle einige Worte zu wechseln, schaue man heute auf den Bildschirm. Durch die Treffen kommen die Leute also auch ein wenig aus ihrer Komfortzone heraus.
Gleichzeitig gibt es laut Funck in Zürich viele Orte, die eine gewisse Kühle mit sich bringen. «Innerhalb des Clubs kann man unkompliziert miteinander in Kontakt treten – das zieht die Leute an.» Die Events seien aber nicht nur da, um sich miteinander zu vernetzen, sondern auch, um bewusst Zeit für sich selbst zu nehmen. «Wir gönnen uns viel zu selten Momente, in denen wir wirklich abschalten», ergänzt sie.
Für einige Teilnehmende ist es das erste Mal, dass sie eine Weihnachtskarte schreiben. (Bild: Minea Pejakovic) Eldrid Funck ist die Verantwortliche des Offline-Clubs in Zürich. (Bild: Minea Pejakovic) In diesem Koffer werden die Handys bis zum Ende der Veranstaltung aufbewahrt. (Bild: Minea Pejakovic)
Obwohl Funck die Verantwortliche der Gruppe in Zürich ist, «werden die Events von der Community aus gesteuert», wie sie sagt. In den letzten Wochen vor dem Treffen gab es einen Workshop, um mögliche Eventformen zu besprechen. Mitglieder haben so die Chance, Ideen einzubringen. «Feedback ist immer gefragt», so Funck.
Ataol, der mit seiner Arbeitskollegin Marie gekommen ist, war bei diesem Workshop vor zwei Wochen dabei. «Ich habe über YouTube vom Club erfahren und wusste gleich, dass es etwas für mich ist», erzählt er. Ihm war schnell klar, dass er sich auch gerne einbringen möchte: «Beim Workshop hatten wir einen guten Austausch miteinander.»
Der nächste Anlass findet in etwa zwei Wochen, am 15. Dezember, ebenfalls im Sphères statt. Doch statt Weihnachtskarten zu schreiben, werden Neujahrsvorsätze ausgetauscht.
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Nach der Ausbildung zur Kauffrau EFZ beim Sozialdepartement der Stadt Zürich folgte die Berufsmaturität an der KV Zürich mit Schwerpunkt Wirtschaft. Anschliessend Bachelorabschluss in Kommunikation und Medien mit Vertiefung Journalismus an der ZHAW. Erste journalistische Erfahrungen als Praktikantin in der Redaktion von Tsüri.