Hitzestadt Zürich – und es wird noch heisser

Der Sommer ist da und mit ihm die Hitzewellen, die das alltägliche Leben oft ziemlich erschweren können. Am meisten zu spüren bekommen die Hitze Bewohner:innen von Städten. Denn schwarze Asphalt- und Betonflächen, eine schwache Durchlüftung und fehlende Grünflächen heizen eine Stadt auf wie ein Backofen. Wir haben mit einem Experten gesprochen, was es dagegen zu tun gibt.

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Die Europaallee als eines der umstrittenen Zürcher Quartiere. (Foto: Jenny Bargetzi)

Die Klimakrise hängt über unseren Köpfen wie eine dunkle, graue Wolke, die sich mit voller Wucht zu entleeren droht. Es ist eine Frage der Zeit, die aber eigentlich schon längst überfällig ist. Neben den bekannten Folgen wie steigendem Meeresspiegel und ausgedehnten Dürreperioden, zieht die Klimaveränderung aber noch ganz andere Auswirkungen mit sich. Zum Beispiel solche auf die Stadt, die eigenen vier Wände und die Strasse vor der Tür, die für unsere Kinder durch die Hitze längst nicht mehr so schön ist zum spielen, wie es für uns einmal war.

Wenn die Hitzephasen zur Normalität werden

1.5 Grad; so viel höher war die letztjährige, durchschnittliche Jahrestemperatur in der Schweiz. Ein neuer Rekord, denn zusammen mit 2018 war das Jahr 2020 mit einer Maximaltemperatur von über 36 Grad das wärmste Jahr seit Beginn der Temperaturmessungen. Begonnen hat das überdurchschnittlich warme Jahr bereits mit einem milden Winter. Die drei Grad Celsius über der Norm erschienen schon beinahe unangenehm warm. Nach dem deutlich zu kalten März drehten sich die Temperaturen plötzlich um 180 Grad und es folgte ein ungewohnt warmer April. Der Sommer war geprägt von zwei Hitzewellen und der Herbst durchzogen von Trockenheit. Diese Statistiken und daraus abgeleitete Modellrechnungen von Meteo Schweiz verdeutlichen, wie dramatisch die Auswirkungen der Klimakrise sind – auch in der Schweiz.

Klettert die Temperatur auf über 30 Grad Celsius, gilt das als Hitzetag. Mehrere davon nacheinander ergeben eine Hitzewelle. Hält sich die Wärme zusätzlich während der Nacht über der 20-Grad-Grenze, ist es eine Tropennacht und mühsames Einschlafen nach etlichem Hin- und Herwälzen ist vorprogrammiert.

Nimmt die globale Erwärmung dabei weiter zu und erreicht die Grenze des Pariser Abkommens von 1.5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit, liegt die Wahrscheinlichkeit hoch, dass solche Hitzephasen zur Normalität werden. Was die Tropennächte betrifft, zeigen Klimaprognosen sogar eine extreme Steigerung in der Anzahl solcher bis im Jahr 2040, von 20 auf 50. Dass der Mensch mit seinen Treibhausgasemissionen eine Mitverantwortung am Klimawandel trägt, ist bekannt. Hingegen fehlt es am allgemeinen Bewusstsein darüber, welche Faktoren in städtischen Hitzephasen eine Rolle spielen und tatsächlich mit einfliessen.

Einer solcher Faktor ist nach Jan Carmeliet die verdichtete Bauweise einer Stadt. Der ETH Professor und Forscher hat zusammen mit weiteren Wissenschaftler:innen vor einigen Jahren Hitzekarten von heissen Juni- und Juliwochen in Zürich erstellt. Sie verdeutlichen, an welchen Orten sich Hitzezonen bilden und wie gross der Temperaturunterschied innerhalb der Stadt ist.

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Die Hitzekarte zeigt die Lufttemperatur in Zürich am 22. Juni 2017 um 16 Uhr zwei Meter über dem Boden an. Bei den roten Flächen wurde eine Lufttemperatur von 36 Grad gemessen, orange 35 Grad, hellgelb 34 Grad, grün 33 Grad und weiss 32 Grad. (Quelle: Gianluca Mussetti, ETH Zürich, Empa.)

So stieg das Thermometer tagsüber beim Hauptbahnhof Zürich oder beim Letzigrundstation des Öfteren auf über 35 Grad und fiel in der Nacht nicht unter die 23-Grad-Grenze. Die umliegenden Gebiete wiesen dabei deutlich kühlere Werte auf. Die Folge sind urbane Wärmeinseln, die sich im Vergleich zu den ländlichen Einzugsgebieten tagsüber stärker aufheizen und in der Nacht weniger abkühlen.

Ist die Klima-Gentrifizierung der Feind der Sozialverträglichkeit?

Unter einer solchen Hitze leiden vor allem die Stadteinwohner:innen, darunter besonders ältere Personen, Pflegebedürftige, Schwangere und Kleinkinder mit einem geschwächten Herz-Kreislauf-System oder Dehydrierung. Um der Hitze zu entgehen, bleiben sie in der Wohnung – wenn es diese von den Temperaturen her überhaupt erlaubt.

Denn auch vor dem eigenen Zuhause macht die Hitze keinen Halt und das hat durchaus Folgen für die Wirtschaft. Dachgeschosswohnungen als eigentlich beliebte Wohnform, verlieren während Hitzetagen ihren Reiz. Die Bewohner:innen fliehen regelrecht aus den Sauna ähnlich aufgeheizten Räumen und suchen vorübergehend Zuflucht in kühleren Bleiben. Während von der Klimakrise geschützte Immobilien an Wert gewinnen, sinkt der Markt- und Verkaufswert der Dachgeschosswohnungen jährlich. Ein Phänomen, das unter dem Namen «Klima-Gentrifizierung» bekannt ist.

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Die zweite Hitzekarte wurde aus den Daten des 25. Juni 2019 um 18 Uhr erstellt (die Zeiten sind in der Koordinierten Weltzeit (UTC) angegeben). (Quelle: Dominik Strebel, Professur für Bauphysik, ETH Zürich.)

Vermieter:innen müssen sich demnach früher oder später mit der Frage einer Renovation und Hitzeisolation auseinandersetzen. Auch Eigentümer:innen anderer Häuser und Wohnungen werden sich zukünftig gezwungen sehen, sich der Entscheidung zwischen einer kostspieligen Renovation oder Marktwertverlust zu stellen. Gemeinnützige Mieten werden zur Rarität, denn der nächst logische Schritt ist die Mieterhöhung. Von der Klimakrise stark betroffene Regionen zwingen sozial schwächer gestellte Personen folglich zum Wegzug. Denn ein schmales Portemonnaie stellt sich in einer klimaverträglichen Stadt als schwierig heraus. Wo findet da die Inklusion schwächer gestellter Personen in einer klimaneutralen Stadt ihren Platz?

Stadt Zürich – die Asphaltliebhaberin

Lässt man den Blick weiter schweifen, ist das nächste Problem nicht weit. So ist die Hitze auch für die Infrastruktur einer Stadt verheerend. Ersichtlich wird das an sogenannten Blow-ups, hitzebedingten Aufwölbungen oder gar Aufbrüchen in der Strasse, die durch Wärmeausdehnungen verursacht wurden. Wie aber kommt eine solche Hitze zustande?

Die Erklärung ist vielschichtig, eine davon liegt beim genauen Betrachten des Materials aber auf der Hand. Eine Stadt wie Zürich ist bekannt für ihre Vorliebe für Asphalt und Beton als Baumaterialien. Das Problem dabei ist, dass solche Oberflächen die Sonneneinstrahlung stärker aufnehmen, länger speichern und die daraus entstandene Hitze anschliessend auf die dicht anliegenden Räumlichkeiten übertragen. Es ist ein sich selbst aufheizender Prozess, der durch die Abwärme von Gebäuden, Verkehr und Industrie zusätzlich verstärkt wird.

«Ein Beispiel für einen solchen Hotspot ist der Hauptbahnhof. Hier wird der Hitzeeffekt zusätzlich durch Wärmeabsorption der Gleise und Steine verstärkt», so Carmeliet. Daraus ergibt sich ein regelrechter Backofeneffekt.

Angrenzend an das Gleisfeld liegt die Europaallee. Das vor einem Jahr fertig gebaute Quartier setzt sich aus grossen, modernen Wohn-und Büroblöcken zusammen. Vom Europaplatz bis zum Gustav-Gull-Platz türmt sich Glas und Metall umgeben von einem Teppich aus Asphalt und Beton. Wer mit der Hoffnung auf idyllische Grünflächen durch den neuen Stadtteil schlendert, ist definitiv fehl am Platz. Einzig und allein der urbane Brunnen, eine schräge Wasserfläche am Ende der Allee, lockt zum kurzen Abkühlen ein.

Und genau hier liege das Problem, meint Carmeliet: «An solchen Orten sammelt sich enorm viel Hitze, die nicht entfliehen kann. Um sie zu reduzieren braucht es dichte Bäume, die Schatten spenden und durch die Wasserverdunstung der Blätter zusammen mit einem kühlen Wind diese abkühlen». Darüber hinaus betrachtet sei das Quartier der Europaallee durchaus ein schickes Viertel, jedoch wurde dem Klimaproblem seiner Meinung nach zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. «Es ist kein guter Kompromiss, vielleicht sogar eine verpasste Chance», so Carmeliet weiter.

Ein anderes Beispiel ist der Münsterhof. Ein Pflasterplatz umgeben von massiven barocken Gebäuden, ohne jegliche Grünflächen oder Bäume als Schattenspender. Lediglich ein Brunnen aus Kupfer und Bronze am westlichen Ende des Platzes, ausgerichtet zur Münsterkirche, unterteilt die Fläche. Es sollte ein Ort zum Verweilen und Flanieren sein, jedoch scheinen die Menschen an warmen Sommertagen davon wenig begeistert zu sein. Der eingekesselte Standort verunmöglicht eine nachhaltige Durchlüftung des sich selbst aufheizenden Platzes. Das Resultat ist eine Glühinsel inmitten der Hitzestadt.

Möglichkeiten gibt es viele und die Stadt ist dran

Die Stadt ist bereits auf der Suche nach Lösungen im Kampf gegen die Hitze und hat die Fachplanung Hitzeminderung ins Leben gerufen. Die Personen dahinter haben drei Handlungsansätze erarbeitet, um die negativen Auswirkungen der Überwärmung so gering wie möglich zu behalten oder bestenfalls sogar zu vermeiden. Das Ziel soll mit drei Teilplänen erreicht werden. Funktionieren die Handlungsansätze, können in einigen Stadtteilen maximale Temperaturunterschiede von bis zu 5.5 Grad erreicht werden.

Einer der drei Pläne nennt sich «Entlastungssystem» und soll wärmebelastete Gebiete von der hohen Bevölkerungsdichte erleichtern. Ermöglicht wird das durch neue oder verbesserte Grünflächen, die in kurzer Distanz oder auf klimatisch angenehmen Wegen erreichbar sind.

Ein weiterer wichtiger Beitrag zur Kühlung leistet die Durchlüftung der Städte, festgehalten im Teilplan «Kaltluftsystem». Dieser sorgt dafür, dass der Zustrom kühler Luft gegeben ist und der Wind natürlich und effizient zwischen den Bauten hindurchwehen kann. Carmeliet meint ergänzend dazu: «Es benötigt immer einen Ein- und Ausgang für die Luft. Im Optimalfall sind Gebäude so gebaut, dass ein potenzieller Kaltluftwind, der seinen Ursprung von Gewässern oder begrünten Hügeln hat, nicht blockiert wird». Für die effiziente Durchlüftung seien zudem offene Räume enorm wichtig, ansonsten werde der Wind über die Dächer der Gebäude umgeleitet und das Abkühlen der Strassen würde ausbleiben.

Schliesslich sieht der Teilplan «Hitzeminderung» die Stadtbegrünung auf Strassen, Oberflächen oder Fassaden, die Entsiegelung von Oberflächen oder die Etablierung von Wasser im städtischen Raum vor. Die Bäume stehen dabei im Zentrum, denn sie sollen als natürliche Klimaanlagen den Hotspots auf zwei Wegen entgegenwirken. Zum einen durch die natürliche Schattengebung und zum anderen durch Transpiration. Diese bezeichnet den Vorgang, wenn Wasser an der Unterseite der Blätter über spezielle Spaltöffnungen verdampft wird. Über die Wasserabgabe kühlt ein Baum sich selbst und seine Umgebung ab. Um grosse Asphaltplätze und Strassen effektiv abkühlen zu können, helfe ein einzelner Baum aber nur mässig, sagt Carmeliet und ergänzt: «Es braucht durchaus mehr, denn der Kühleffekt verliert mit zunehmender Distanz zu den Bäumen seine Wirkungskraft.»

Der gleichen Meinung ist auch der Verein umverkehR und hat gleich zwei Stadtklima-Initiativen lanciert; die Zukunfts-Initiative und die Gute-Luft-Initiative. Die Kernaussage der beiden: Bäume statt Asphalt. Das Ziel ist, während zehn Jahren je ein halbes Prozent der Strassenfläche in Grünräume oder in Flächen für den Fuss-, Velo- und öffentlichen Verkehr umzuwandeln. Unterstützt werden die Initiant:innen von allerlei politischen und aktivistischen Gruppierungen.

Zuletzt liege auch grosses Potenzial in den veränderten Baumaterialien. Bereits ein Wechsel von dunklem auf hellen Asphalt bewirke einen enormen Temperaturunterschied. Aus diesem Grund startete die Stadt vergangenen Sommer ein Pilotprojekt an der Roggenstrasse im Kreis 5. Dabei testet sie drei unterschiedliche Oberflächen, um die horizontalen Hitze, die sich in den Strassen speichert, so gut wie möglich zu mindern. Zum herkömmlichen dunklen Bodenbelag werden die Hitzeabsorption zweier helleren Beläge untersucht, die sich in Farbe und Zusammensetzung unterscheiden.

Ende diesen Sommers sollen die Ergebnisse vorliegen. Laut Carmeliet könne das durchaus helfen, dass die Strasse in sich weniger Hitze speichere und mehr Sonnenstrahlung reflektiere. Trotzdem; sei die Luft in direktem Kontakt mit einer heissen Oberfläche, würde die Lufttemperatur über der Strasse zwar erhöht sein, der Effekt sei aber weniger extrem als man denke. Zwischen hellen und dunklen Materialien könne der Temperaturunterschied der Oberflächen bis zu 20 Grad erreichen. Messe man aber die höher darüber zirkulierende Luft, liege die Differenz nur etwa bei 2 bis 3 Grad. «Die Luft ist leicht und speichert nur verhältnismässig wenig Hitze», so Carmeliet.

Die allumfassende Lösung sind hellere Asphaltflächen deshalb also nicht. Es braucht mehrere zusammenspielende Faktoren, die zur Bekämpfung der Hitze beitragen. «Zum Beispiel, indem mehr Menschen davon überzeugt werden, ihre privaten Aussenbereiche zu begrünen», meint Carmeliet. Das hätte zur Folge, dass neben zusätzlichen Bäumen sowie begrünten und entsiegelten Flächen im öffentlichen Raum die Nutzung des gesamten Aussenraums überdenkt werde.

Trotz allem, wenn er selbst zurückschaue, sehe er durchaus eine Veränderung, meint Carmeliet. «Vor einigen Jahren wurde man nur schon beim Wort Klimawandel misstrauisch angeschaut. Das hat sich deutlich verändert. Man ist am Thema dran und es gibt viele Pläne, die Stadt umzugestalten. Die Fortschritte sind langsam, aber ich bin zuversichtlich.»

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