Happy Birthday: Die ersten Worte der Siedlung Hornbach

Die städtische Siedlung Hornbach wird ein Jahr alt. Wäre sie ein Menschenkind, spräche sie nun so langsam ihre ersten Worte. Was sie wohl sagen würde? Gemeinnütziger Wohnungsbau? Politische Notwendigkeit? Mehr Quartierleben? Was würde die Stadt anworten, was die Wissenschaft? Was ihre Bewohner:innen? Und was die Nachbar:innen? Ein Spaziergang durchs Seefeld auf der Suche nach Antworten.

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Gelb und gut gelaunt: die Siedlung Hornbach. (Bild: Alice Britschgi)

Nach dem Opernhaus wird es ruhiger. Zahnärzte, Orthopäden, Sushi-Restaurants reihen sich an der Seefeldstrasse aneinander. Hier ein Coiffeur, dort ein Hairstylist, zwei Schritte weiter ein Hairstudio. Was ist Tibetan Lama Art? Die in Zürich ohnehin schon hohe Daunen-Steppjacken-Dichte nimmt zu. Taxis, schicke Vintageläden, das GZ Riesbach. Zwischen verschnörkelten Altbauten und gräulichen 70er-Jahre-Fassaden ab und zu ein Coop oder eine Migros. Dann die Höschgasse. Das Schulhaus Seefeld. Viele Bäckereien und schon stehe ich am Hornbächli. Mit Blick zum See leuchten mir die gelben Fassaden entgegen. Abbiegen, vorbei an Graffitis, entlang dem Bach, wie früher zum Shisha-Rauchen auf der Chinawiese. Range Rover, Volvo, Fiat und schliesslich steht sie vor mir: die Siedlung Hornbach.

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Der Hornbach in seinem engen Korsett. (Bild: Alice Britschgi)

Ein Jahr ist es nun her, dass die ersten Bewohner:innen die städtischen Wohnungen bezogen. «11’006 Personen hatten sich beworben, 630 schafften es durch den Zufallsgenerator an die Besichtigung. Heute wohnen rund 400 Personen hier», berichtet Kuno Gurtner, Ansprechperson der Liegenschaften Stadt Zürich (LSZ). Öffentlich ausgeschrieben waren 105 der 125 Wohnungen. Zwölf der restlichen 20 seien an bisherige LSZ-Mieter:innen gegangen, die im Gegenzug grössere Wohnungen freigaben. Fünf habe man der Asylorganisation Zürich für Asylbewerbende zur Verfügung gestellt. Drei Wohnungen seien an Menschen mit Behinderungen vergeben worden.

Wilde Mischung

Das Erstvermietungskonzept der Siedlung sah eine wilde Mischung an Bewohner:innen vor. «Die Idealvorstellung ist ein Mix aus Menschen mit unterschiedlichem Einkommen, unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlichem Alter», sagt Gurtner. Wie sich die Mieterschaft heute genau zusammensetzt, kann der Stabsmitarbeiter der Stadt nicht beantworten. Der Bericht für den Gemeinderat sei in Arbeit.

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Ruben W. und Erhart v. A. vom Verein Hornbachsiedlung. (Bild: Alice Britschgi)

Erhart v. A. (67), der dem Verein Hornbachsiedlung angehört und selbst in einer ihrer 2.5-Zimmer-Wohnungen wohnt, kennt den Mix von innen: «Wir sind wirklich sehr bunt gemischt. Wir sind Lehrer:innen, Leute aus den sozialen Diensten, aus der Medizin, vom Bauernhof Wynegg, vom Gartenbau, Menschen mit Kleingewerben, Selbstständige, Beamt:innen, Kreative, Architekt:innen, Personen mit Flüchtlingsstatus, Migrantenfamilien und Menschen mit Beeinträchtigungen». Ruben W. (30), ebenfalls Mitglied des Vereins und Bewohner einer 1.5-Zimmer-Wohnung, fügt an: «Hier gibt es Leute aus dem Seefeld und Leute von anderen Orten.»

«In den weltweiten Rankings zur Lebensqualität rangieren seit vielen Jahren Städte mit hohen Anteilen an kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungen absolut an der Spitze.»

Philipp Klaus, Stadtforscher, Wirtschafts- und Sozialgeograph

In der städtischen Siedlung leben also nicht nur einkommensschwache Menschen, sondern auch Leute aus der Mittelschicht. Wieso? Philipp Klaus ist Stadtforscher, Wirtschafts- und Sozialgeograph sowie Inhaber des unabhängigen Forschungsinstituts INURA Zürich, das sich mit Stadtentwicklung, sozialräumlichen Fragen und Wohnbaupolitik befasst. Dass viele unterschiedliche Menschen in städtischen Wohnungen leben, sei aus sozialgeographischer Sicht wichtig, weil es stabilisierend wirke: «Es macht das Zusammenleben einfacher, wenn nicht alle Bewohner:innen Stress haben, ihren Alltag zu bewältigen.» Ein Beispiel aus seinem Umfeld: Seine Tochter wohne in einer städtischen Liegenschaft. Die junge Wohngemeinschaft habe die Wohnung auch bekommen, weil sie sozial engagiert sei. So habe die WG auch schon notfallmässig Nachbarskinder zum Mittagessen aufgenommen, weil die Eltern nicht zu Hause waren. Das sei gut für alle. Die Mitglieder des Vereins Hornbachsiedlung erzählen von ähnlichen Entwicklungen. Man organisiere sich mit Mittagstischen, hüte Kinder gegenseitig, bringe sie zur Schule, auch wenn man keine eigenen habe.

Für Siedlung und Stadt

Ein Mix von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen sei aus wissenschaftlicher Sicht aber nicht nur entlastend für die Siedlungsbewohner:innen, sondern für die ganze Stadt, betont Klaus. Städtische Wohnungen trügen dazu bei, dass auch einkommensschwache Menschen in den Innenstädten leben können und so auch auf städtischer Ebene eine Durchmischung stattfindet. «Spannend ist, dass in den weltweiten Rankings zur Lebensqualität, die von globalen Unternehmensberatungsfirmen erstellt werden, seit vielen Jahren Städte mit hohen bis sehr hohen Anteilen an kommunalen und genossenschaftlichen Wohnungen absolut an der Spitze rangieren: Wien, Vancouver, Zürich.» Es zeige sich, dass sich die Investitionen in den nicht-profitorientierten Wohnungsbau für die Lebensqualität und damit die Prosperität der Städte auszahle.

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Range Rover, Volvo und Plastik-Töffli. (Bild: Alice Britschgi)

Auf Nachfrage bei den LSZ unterstreicht Gurtner, dass die Durchmischung der Stadtbewohner:innen auch eine politische Notwendigkeit sei: «Den gemeinnützigen Wohnraum in allen Quartieren der Stadt Zürich zu fördern, ist ein politischer Auftrag der Stimmbevölkerung.» 2011 haben die stimmberechtigten Zürcher:innen das Drittelsziel für bezahlbare Wohnungen in der Gemeindeordnung verankert und die gemeinnützigen Bauträger – also die Stadt, Genossenschaften und Stiftungen – damit beauftragt, den Anteil an gemeinnützigen Wohnungen bis ins Jahr 2050 auf einen Drittel zu erhöhen. Die Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus sei zudem in der Verfassung des Kantons Zürich festgelegt.

Beck, Metzger und Kiosk

Angekommen zwischen den beiden Gebäudekomplexen der Siedlung und mit den Ansagen aus Wissenschaft und Politik im Kopf frage ich mich, wie sich das viele Gelb und der bunte Mix hinter den Fassaden wohl auf die Anwohner:innen des Quartiers auswirkt.

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Ein Nachbar zeigt: So sah das Quartier 1942 aus. (Bild: Alice Britschgi)

Ich frage einen älteren Herrn im grauen Norwegerpullover. Seit 1957 wohnt er hier in einem Haus, das heute direkt an die Siedlung angrenzt. «Es lauft öppis», sagt er. Der freundliche 91-Jährige erzählt, dass er vor dem Siedlungsbau von seiner Wohnung aus Seesicht gehabt habe, dass es ihm aber gefalle, dass es nun wieder viele Kinder hier gebe. Seine Frau sei hier geboren worden, ging in den Kindergarten, wo jetzt die Siedlung stehe. Er nimmt mich mit in seine Wohnung und zeigt mir Fotos von 1942 und ein Bild, gemalt von seinem Nachbarn: sein Wohnhaus ohne Siedlung.

Ich frage weiter. Ein Mann mittleren Alters, der mit Fötzeln beschäftigt ist, meint, er habe seit dem Bezug der Siedlung Hornbach keine Veränderung im Quartier bemerkt. Aber er wohne auch nicht direkt hier, sondern beim Tiefenbrunnen. Weit ist er gekommen mit dem Müllsack und der Greifzange, denke ich. Auch beim Beck, in der Apotheke, im Brocki, beim Metzger und im Kiosk hat man nichts gemerkt. Der junge Kioskverkäufer mit Käppi stellt eine Gegenfrage: Ob ich wisse, wie es mit freien Wohnungen in der Siedlung aussehe. Das wäre was für ihn.

Gartenbeete und Weihnachtapéro

«Warte noch mal ein halbes Jahr oder ein Jahr», sagt Erhart v. A. vom Verein Siedlunghornbach, «dann merkst du, dass wir alle sehr aktiv sind.» Innerhalb der Siedlung hat sich schnell nach dem Einzug eine Gruppe äusserst motivierter Bewohner:innen formiert. Auf die Frage, was schon so ging im ersten Jahr, zählen sie einiges auf: Weihnachtsapéro, die ResiBar, ein kultureller Veranstaltungsort für Siedlungsbewohner:innen, ein «Samichlausfäscht» mit der angrenzenden Häuserreihe. Ausserdem ist viel in Planung. Zum Beispiel die Bepflanzung der Gartenbeete mit Leuten aus dem Quartier, ein Kinderflohmarkt, ein Mittagstisch und ein Tauschmarkt.

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Hier soll bald geerntet werden - und vorher noch gesät. (Bild: Alice Britschgi)

Der Verein will auch über die Grenzen der gelben Fassade hinaus aktiv sein. Urs Frey, Präsident des Quartiervereins Riesbach, der selbst in der Siedlung wohnt, bestätigt, man habe einige neue Anmeldungen erhalten im letzten Jahr. Erhart v. A. ist in der Arbeitsgruppe Verkehr des Quartiervereins tätig, wo er sich für Ideen wie Tempo 30 auf der Bellerivestrasse einsetzt. Ruben W. plant einen Auftritt der ResiBar am Seefeldfest. «Das ganze fängt so langsam zu leben an», sagt Erhart v. A. und fügt an: «Man muss was draus machen. Das hier ist ein Strauss an Optionen. Und es wäre nicht interessant, wenn die Leute hier die Wohnungen nur konsumieren würden und fertig.»

Erste Worte

Richtung Chinagarten verlasse ich das Geburtstagskind. Sie ist jung, die Siedlung Hornbach. Wäre sie ein Mensch, könnte sie jetzt so langsam ihre ersten wackeligen Schritte machen und mit ihrem Mündchen ein paar Worte formulieren. Was sie wohl sagen würde? Seefeld? Politische Notwendigkeit? Gemeinnütziger Wohnungsbau? Wahrscheinlich nicht. Linguistisch gesehen, viel zu kompliziert. Wahrscheinlicher wäre: «meh». So, wie es auch Kleinkinder sagen: «Meh Breili, meh Umeträge, meh Spiele.» Mehr Quartierleben? Mehr Vernetzung? Mehr Stabilität? Wir dürfen gespannt sein.

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