Kein Klimastreik, keine CM: Rad-WM zählt mehr als das Demonstrationsrecht

Wegen der Rad-WM bekommen die Critical Mass und der internationale Klimastreik keine Bewilligung. Das Sicherheitsdepartement verweist auf die Verkehrssituation, Kritik kommt vom Verein «Demokratische Jurist:innen».

Meta image for Das Erfolgsrezept hinter der Critical Mass in 5 Punkten
Wegen eines Grossanlasses hat die Critical Mass diesen Freitag keine Bewilligung erhalten. (Bild: Tsüri.ch)

Am letzten Freitag im Monat rollen im Rahmen der «Critical Mass» (CM) Velos durch die Städte dieser Welt. So auch in Zürich. Wie jeden Monat seit diesem Frühling wurde auch für diesen letzten Freitag im September wieder eine Bewilligung bei der Stadt beantragt. Doch diese wurde von der Sicherheitsdirektorin Karin Rykart (Grüne) abgelehnt. Der Grund: Die Rad-WM, die diese Woche und bis Sonntag in Zürich stattfindet.

Schränkt eine kommerzielle Grossveranstaltung das Versammlungsrecht ein?

Verkehr lässt Demo nicht zu

Dass bei der Prüfung eines Demo-Gesuchs das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gegenüber anderen Interessen abgewogen wird, dem widerspricht Mathias Ninck, Sprecher des Zürcher Sicherheitsdepartements, nicht. Ninck sagt: «Es gibt nicht einfach isoliert und über allem stehend das Grundrecht der Versammlungsfreiheit. Die Aufgabe des Staates ist es, die verschiedenen Interessen gegeneinander abzuwägen.»

Man könne nicht die Critical Mass durch die Stadt fahren lassen, während der städtische Verkehr wegen der Rad-WM im Ausnahmezustand sei. «Aber wir würden ein Gesuch der CM für die Woche nach der Rad-WM bewilligen», sagt die Sicherheitsdirektion auf Nachfrage gegenüber Tsüri.ch.

Stadt muss Grundrechte ermöglichen

Lea Schlunegger, Generalsekretärin der Demokratischen Jurist:innen Schweiz (DJS) findet es keineswegs selbsterklärend, dass eine Demonstration wegen eines Grossanlasses nicht stattfinden kann. «Die Argumentation ist immer gleich: Es gebe zur selben Zeit schon zu viele andere Nutzer:innen im öffentlichen Raum.»

Dabei müssten Grundrechte immer geschützt und gewahrt werden. «Dass die Bürger:innen ihre Grundrechte ausüben können, muss vom Staat nicht nur geduldet werden. Das Grundrecht beinhaltet einen Anspruch auf Nutzung des öffentlichen Raumes. Das heisst, es müssen erst Alternativen geprüft werden, um den Protest zu ermöglichen. Ein Verbot darf immer nur das letzte Mittel sein.»

Für diesen Freitag würde dies bedeuten, dass die Stadt dafür sorgen müsste, dass beide Veranstaltungen gleichzeitig stattfinden können. 

Das letzte Radrennen am Freitag, jenes der U23 Männer, beginnt in Uster und führt dann in drei Schlussrunden über den Bürkliplatz und endet um 17.30 Uhr am Sechseläutenplatz. Die Strassensperren im Seebecken werden ab 19 Uhr aufgehoben. Die Critical Mass startet traditionell um 18.45 Uhr, üblicherweise auch am Bürkliplatz. 

Bezüglich des Ortes könnte man argumentieren, dass die Stadt den Gesuchssteller:innen einen anderen Abfahrtsort hätte nahelegen können. In der Absagemail an die Critical Mass wird allerdings nicht auf die Möglichkeit einer alternativen Route hingewiesen. 

Ziviles Engagement versus Grossanlass

Kein Verständnis für den Entscheid der Stadt hat man in Velokreisen. Die Critical Mass verstehe sich als spontanes Verkehrsaufkommen, so das Argument. Seit dem Entscheid der Stadt, dass die CM unter das Demonstrationsrecht fällt und einem darauffolgenden Ringen zwischen Ordnungshüter:innen und Velofahrer:innen, kümmert sich seit April dieses Jahres das Kollektiv «Zäme Velofahre» um die Bewilligung. 

Lukas Aramis Bühler ist Velo-Aktivist und CM-Teilnehmer. Für ihn ist der Entscheid der Stadt inkonsequent. «Entweder ist die Critical Mass eine Demonstration und dann wird durch das Recht auf Versammlungsfreiheit geschützt oder sie ist keine Demonstration, sondern ein Verkehrsaufkommen und muss keine Bewilligung einholen.» Mit solchen Entscheiden werde ziviles Engagement zugunsten von kommerziellen Grossanlässen verhindert.

Mood image for Jetzt auf den Klimastreik einzuprügeln ist peinlich
Der internationale Klimastreik findet in Zürich zwei Wochen später statt.

Was der Critical Mass diesen Freitag passiert, erlebte auch der internationale Klimastreik. Weltweit wurde am 20. September demonstriert – ausser in Zürich. Hier erhielten die Organisator:innen für das Datum keine Bewilligung und die Begründung war ebenfalls die Rad-WM. An diesem Freitag fanden die Vorbereitungen statt, das Radrennen startete erst einen Tag später. Nun wird der internationale Klimastreik in Zürich zwei Wochen später, am 4. Oktober nachgeholt.

Eine Bewilligung erhalten für die Zeit während der Rad-WM hat hingegen der internationale autofreie Tag, dieser wurde von Pro Velo Kanton Zürich, den «Velo Mänsche Züri» und den Grünen organisiert und startete im Kreis 4.

Ob die Critical Mass denn tatsächlich auch nicht stattfinden wird, das wird sich noch zeigen. Auf einer Webseite, gemäss Beschrieb eine «Fanseite der Critical Mass» hat, steht weiterhin Freitag, der 27. September 2024 als nächstes Datum.

Nachtrag: In einer ersten Version dieses Artikels stand, dass die Stadt eine Durchführung der Critical Mass in der ersten Oktoberwoche bewilligt hat. Diese Aussage stimmt nicht. Es existiert kein Gesuch und keine Bewilligung für eine CM in der darauffolgenden Woche. Die Sicherheitsdirektion sagt gegenüber Tsüri.ch, dass sie eine solche bewilligen würde.

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