Critical Mass: Illegal durch Zürich
Alle Augen waren an diesem Freitag auf die Critical Mass gerichtet. Wie wird die Polizei auf die Velofahrer:innen reagieren? Der Wasserwerfer kam nicht zum Einsatz, dafür verteilte die Polizei grosszügig Verzeigungen und machte Fotos und Videos von den Teilnehmer:innen.
An diesem letzten Freitag im Monat war die Frage für einmal nicht nur, ob das Wetter hält, wenn eine Gruppe von Velofahrenden gemeinsam durch die Stadt fährt. Sondern vor allem, wie die Polizei auf dieses Ereignis reagiert. Anfang des Monats hatte der Statthalter einer Beschwerde von zwei FDP-Politikern stattgegeben und erklärt, bei der monatlichen Veloausfahrt namens Critical Mass handle es sich um eine Demonstration, die bewilligungspflichtig sei. Um eine Bewilligung hatte sich aber wie zu erwarten niemand bemüht, schliesslich versteht sich das Happening als spontaner Ausflug und hat keine verantwortlichen Organisator:innen. Und so fand an diesem Abend zum ersten Mal eine illegale Veloausfahrt statt.
Zur gewohnten Zeit am gewohnten Treffpunkt, also um kurz vor 19 Uhr auf dem Bürkliplatz, sah es noch so aus, als habe die Illegalisierung Wirkung gezeigt. Das Verhältnis zwischen angereisten Journalist:innen und zögerlich eintreffenden Velofahrer:innen verschob sich nur langsam zugunsten Letzterer. Dafür fanden sich mehrere Mitglieder der FDP-Gemeinderatsfraktion ein, um die Einhaltung der von ihr geforderten Massnahmen gegen das Geschehen genauestens zu beobachten. Diese gestalteten sich dann wie folgt: Die Polizei erklärte den Anwesenden per Lautsprecherdurchsage, dass es sich um eine unbewilligte Demonstration handle und eine Teilnahme illegal sei. Die Anwesenden antworteten mit ihren Fahrradklingeln und machten sich auf den Weg.
Das kleine Grüppchen war zunächst mit dem üblichen polizeilichen Velo-Dialogteam unterwegs, die Stimmung war ruhig und etwas unsicher-verhalten. Im Kreis 5 wuchs die Gruppe plötzlich an. Wie ein Teilnehmer bestätigte, hatte sich ein Grossteil der Velofahrenden in Kleingruppen an verschiedenen Orten in der Stadt zusammengefunden und traf dann nach und nach mehr oder weniger zufällig auf den Hauptteil. Bei der Bäckeranlage änderte sich die Stimmung schlagartig: Auf der Gegenfahrbahn fuhren mehrere Polizeiwagen heran, die Türen öffneten sich und Filmkameras richteten sich auf die vorbeifahrenden Velofahrenden.
Von da an kam es immer wieder zu Zwischenfällen: Hinter dem Hauptzug holten motorisierte Polizist:innen Velofahrende in kleineren Gruppen ein, zogen einzelne aus dem Verkehr und hielten sie fest. Was ihnen im Einzelfall vorgeworfen wird, bleibt bislang unklar. Die Stadtpolizei verweist darauf, dass sie sich am Samstagvormittag per Medienmitteilung äussern werde. Ein Teilnehmer berichtete im Nachgang davon, dass Menschen bis zu 500 Franken Busse bekommen hätten und dass es zur Konfiszierung von Musikboxen und Fahnen gekommen sei. Ausserdem sei die Stimmung vonseiten der Polizei irgendwann aggressiv geworden. Es seien Sätze gefallen wie: «Wenn du auf die Fresse fliegst, bist du selber schuld», oder: «Pass auf, sonst schubse ich dich um.»
Vor allem eine Situation hätte ins Auge gehen können, so der Teilnehmer: Als die Velofahrenden durch den Tunnel bei der Enge fuhren, seien einzelne Polizist:innen in die Velos hineingefahren und hätten damit Unfälle provoziert. Eine Beobachtung, die sich vom Anfang des Zuges her nicht verifizieren lässt.
Es scheint, als habe die Polizei mit einer «Good cop, bad cop»-Strategie versucht, es allen ein wenig recht zu machen. Mit einem nett plaudernden Dialogteam im Zug die friedlichen Velofahrenden nicht allzu sehr zu verschrecken und mit Bussen und Konfiszierungen die Law-and-Order-Erwartungen der Bürgerlichen zu erfüllen. Das Ergebnis erscheint so durchwachsen wie das Wetter an diesem Tag: So richtig entspannt sind die Velofahrenden nicht, auch wenn Einzelne ihre Freude an Katz- und Maus-Spielen in Kleingruppen mit der Polizei zu finden scheinen. Und die Polizei, die den Abend über mit verschiedenen Verkehrsmitteln durch das Stadtzentrum hetzt, wird sich im Nachgang einige Fragen gefallen lassen müssen: Nach welchen Kriterien hat sie denn nun festgelegt, wer an einer illegalen Demonstration teilnimmt und wer gerade einfach mit dem Velo in der Stadt unterwegs ist? Hält diese Beurteilung auch einer juristischen Überprüfung stand? Und was passiert mit dem Videomaterial der ganzen schöne Mänsche ufem Velo?
In einer früheren Version dieses Artikels hiess es, «fast die gesamte» FDP-Gemeinderatsfraktion sei am Bürkliplatz erschienen. Tatsächlich handelte es sich mit vier Gemeinderät:innen um etwas weniger als ein Fünftel. Dies wurde korrigiert.