Gemeinderats-Briefing #20: Demokratie in Gefahr

Das Gemeinderats-Briefing ist das wöchentliche Update aus dem politischen Herzen Zürichs. Was diese Woche wichtig war: Die Räumung der EWZ-Besetzung, Quittungen bei Racial Profiling und die Gebühren bei Quartierfesten.

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Die Demokratie ist in Gefahr! Für eine kurze Zeit hatte ich wirklich Angst, dass uns nun US-amerikanische Verhältnisse drohen. Von «Schwerverbrecher:innen» war die Rede, von einer Missachtung der Bundesverfassung! Noch vor dem ersten richtigen Traktandum, ging es so richtig los gestern Abend im Gemeinderat. Draussen war es dunkel, kalt, es regnet. Drinnen kochen die Gemüter. Der Grund? Die Räumung der kurzzeitigen Besetzung im EWZ-Gebäude beim Letten. Für die AL und die Grünen war die Räumung völlig sinnlos, für die Bürgerlichen kam sie viel zu spät – und die SP hielt sich vornehm aus der Debatte raus. 

Es konnte nichts mehr entschieden werden. Die Halle ist bereits wieder leer. Trotzdem bedauern und kritisieren AL und Grüne die Räumung. Der Stadtrat habe sich über die eigenen Regeln des «Merkblatt Hausbesetzungen» hinweggesetzt. Das Haus sei nicht einsturzgefährdet und das Argument mit dem Denkmalschutz sei ebenfalls nicht gültig. Die Stadt habe das Haus jahrelang verlottern lassen. Indem die Halle nun wieder leer stehe, habe «der Stadtrat sein Ziel erreicht» und beteilige sich an der Gentrifizierung. Es brauche dringend mehr Kulturräume in Zürich, so die Kritiker:innen. «Ich bin schockiert, dass sich die AL mit Schwerverbrecher:innen solidarisiert», ruft hingegen Stephan Iten (SVP) in den Saal. Die Besetzung verstosse gegen die Bundesverfassung, das Merkblatt der Stadtrates übrigens auch. Ebenfalls unzufrieden mit der Besetzung ist Michael Schmid von der FDP: «Eigentum ist Eigentum und Hausfriedensbruch ist Hausfriedensbruch.» Die Räumung sei deshalb richtig gewesen.  Der für das Areal zuständige Stadtrat Michael Baumer (FDP) sagt, bei der Räumung sei alles tiptop gelaufen, denn die Sicherheit habe nicht gewährleistet werden können. Er habe fast das Gefühl, dass gewisse Leute meinen, es gäbe ein Recht auf eine Besetzung. Nach 2027 könne das Kesselhaus dann anders genutzt werden, weil dann der neue EWZ-Standort an der Pfingstweidstrasse eröffnet werde. Der Stadtrat überlege sich derzeit, wie eine zukünftige Nutzung der Halle aussehen könnte.  Mit einem Postulat von der AL wird der Stadtrat aufgefordert, an diesem Ort eine selbstorganisierte Nutzung für kulturelle und politische Veranstaltungen zu ermöglichen. Darüber wird in einer anderen Sitzung diskutiert. Wir bleiben dran. 

Quittungen gegen Racial Profiling

Dass unsere Gesellschaft teilweise rassistisch ist, hat fast niemand im Rat bezweifelt, als es um Racial Profiling (rassistisch motivierte Kontrollen der Polizei) ging. Die Polizei sei zwar nicht rassistischer als der Durchschnitt der Gesellschaft, aber durch ihre Funktion als Gewaltmonopol des Staates, müsse sie kontrolliert und Racial Profiling eingedämmt werden. Darum haben die beiden SP-Politiker Reis Luzhnica und Severin Meier ein Postulat eingereicht. Die Polizei-Chefin Karin Rykart (Grüne) findet das vorgeschlagene System nicht gut. Die Idee ist, dass bei sämtlichen Kontrollen eine Quittung ausgestellt werden muss: Name der kontrollierten Person, Grund der Kontrolle, Kennzeichen der Polizist:innen. Beispiele aus England und Deutschland zeigten, dass dies ohne grosse Bürokratie und sehr effizient umsetzbar sei. So argumentierten diverse Vertreter:innen von SP, Grüne, AL und der GLP. Diese Parteien verhalfen dem Postulat letztlich auch zu einer deutlichen Mehrheit von 72 zu 41 Stimmen. Die bürgerliche Minderheit war entweder überzeugt, dass das Bauchgefühl der Polizist:innen wichtiger sei als begründete Kontrollen (SVP), oder der Ansicht, dass es beispielsweise mit der Ombudsstelle bereits genügend Rechtsmittel gäbe, um sich bei rassistischen Kontrollen zu wehren (FDP). Das Thema ist nicht neu und wurde von der AL bereits vor Jahren eingebracht. Die Partei ist unzufrieden, was seither geschehen ist und traut dem Stadtrat nicht zu, jetzt endlich vorwärts zu machen. Darum liess die AL eine kleine Bombe platzen und reichte eine entsprechende Parlamentarische Initiative ein (das schärfte aller Instrumente im Gemeinderat). Diese ausserordentliche Massnahme sei nötig, weil sich der Stadtrat weigere, den Willen des Gemeinderats umzusetzen. Der Stadtrat muss nun ein Konzept für das Quittungs-System erarbeiten. Die Parlamentarische Initiative kommt zu einem späteren Zeitpunkt dran. 

«Eigentum ist Eigentum und Hausfriedensbruch ist Hausfriedensbruch.»

Michael Schmid, FDP

Weniger Gebühren für Quartierfeste

Quartierfeste brauchen Platz. Und weil in der Stadt viel Platz aus Parkplätzen besteht, müssen Organisator:innen von Festen oftmals Parkplätze sperren lassen. Dies ist mittels Anmeldung bei der Polizei möglich. Natürlich gegen eine Gebühr, denn schliesslich müssen Schilder hin und später dann auch wieder weggefahren werden. Diese Gebühren will Michael Schmid (AL) jenen Quartierfesten erlassen, die keine Gewinnabsicht verfolgen. Er sei überzeugt, dass die Organisator:innen das Geld besser für das Fest brauchen können, als es für die Sperrung von Parkplätzen auszugeben. Sein Namensvetter von der FDP, ebenfalls Michael Schmid, ist gegen die Abschaffung, denn wo staatliche Leistungen anfallen, müssten diese auch bezahlt werden – ähnlich klingt es von der SVP. Auch die GLP findet die Gebühren toll. Patrick Hässig bezweifelt, dass man sich im Quartier besser kennen lerne, weil keine Gebühren erhoben werden. Er bezweifle, dass jemals ein Fest nicht habe durchgeführt werden können, weil die Parkplatz-Sperrung zu teuer war. Aller Gebühren-Liebe der Bürgerlichen zum Trotz: Das Postulat wurde mit einer einzigen Stimme Vorsprung überwiesen (59:58). Nun muss sich der Stadtrat drum kümmern. 

Weitere Themen der Woche

  • Der Stadtrat hätte ein Konzept zur Entlastung der Rosengartenstrasse vorlegen müssen. Weil dies aus diversen Gründen länger dauert, hat die Regierung um mehr Zeit gebeten. Diese Fristerstreckung würde trotz Kritik von rechts gewährt. 
  • Die AL fordert mit einem dringlichen Postulat, dass auf öffentlichem Grund während der Fussball-WM keine Public Viewings stattfinden dürfen. Die WM beginnt in zehn Tagen, das Geschäft wurde noch nicht diskutiert...
  • Ohne Diskussion wurde ein Postulat der Grünen überwiesen, welche das ZFF zu mehr Klimafreundlichkeit bringen will. Noch immer würden Promis per Flugzeug eingeflogen und mit Limousinen zu den Vorführungen gefahren. Der Stadtrat muss nun eine Umsetzung prüfen.
  • Damit es auf den Trottoirs zu weniger Konflikten zwischen abgestellten E-Scooters und Fussgänger:innen oder Menschen mit Behinderung kommt, fordern Islam Alijaj (SP) und Carla Reinhard vom Stadtrat ein Massnahmenpaket. Die Mehrheit ist gleicher Meinung und stimm mit 82 zu 33 für das Postulat.
  • Höhenfeuer werden auch in Zukunft bei grosser Trockenheit nicht erlaubt werden. Die Mehrheit des Parlaments stellte sich gegen eine entsprechende Forderung von SVP und GLP. 

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Simon Jacoby

An der Universität Zürich hat Simon Politikwissenschaften und Publizistik studiert. Nach einem Praktikum bei Watson machte er sich selbstständig und hat zusammen mit einer Gruppe von motivierten Journalist:innen 2015 Tsüri.ch gegründet und vorangetrieben. Seit 2023 teilt er die Geschäftsleitung mit Elio und Lara. Sein Engagement für die Branche geht über die Stadtgrenze hinaus: Er ist Gründungsmitglied und Co-Präsident des Verbands Medien mit Zukunft und macht sich dort für die Zukunft dieser Branche stark. Zudem ist er Vize-Präsident des Gönnervereins für den Presserat und Jury-Mitglied des Zürcher Journalistenpreises. 2024 wurde er zum Lokaljournalist des Jahres gewählt.

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