Gemeinderat der Woche

Ruedi Schneider (SP): «Jugendliche haben immer weniger Kontakt zu Älteren»

Seit drei Jahren ist Ruedi Schneider Mitglied des Zürcher Gemeinderats. Neben seiner Arbeit in der Sozialkommission beschäftigt ihn zunehmend der wachsende Graben zwischen den Generationen.

Gemeinderat Ruedi Schneider
Ruedi Schneider setzt sich im Gemeinderat insbesondere für soziale und gesellschaftliche Anliegen ein. (Bild: Minea Pejakovic)

Im Gemeinderat zählt für den SP-Politiker Ruedi Schneider der Inhalt von politischen Anliegen mehr als die eigene Person. «Ich gehöre sicher zu den Ruhigeren im Rat, die eher im Hintergrund arbeiten», sagt er von sich selbst. Als Vizepräsident der Sozialkommission schätzt Schneider besonders die Arbeit innerhalb des Gremiums. «Hier kann man viel bewegen», erklärt er.

Schon im Teenageralter kam Schneider mit Politik in Berührung. Besonders ein Ereignis sei ihm bis heute in Erinnerung geblieben: die Vorwahlen der Präsidentschaftswahl 2008 der Vereinigten Staaten, als Hillary Clinton kandidierte. «Die Vorstellung, dass endlich eine Frau Präsidentin werden könnte, hat mich damals völlig fasziniert», erklärt er. Auch heute nennt er vor allem Frauen, etwa Micheline Calmy-Rey oder Emilie Lieberherr, als politische Vorbilder.

Mit 18 ist er von Winterthur in die Stadt Zürich gezogen und hat bereits im Seefeld sowie im «Chreis Cheib» gewohnt. Doch so richtig zuhause fühlt Schneider sich im Kreis 1, wo er bereits seit langer Zeit lebt. «Die Altstadt ist meine Heimat geworden», sagt er. 

Dass Schneider in der Zürcher Altstadt wohnt, betrachtet er angesichts der angespannten städtischen Wohnsituation als grosses Glück. «Ich bin mir dieses unglaublichen Privilegs bewusst», ergänzt er. In seiner Freizeit ist der SP-Politiker aber weiterhin gerne in der ganzen Stadt unterwegs, dabei am liebsten mit seinem Göttikind an der Hand. «Ich bin ein stolzer Götti», fügt Schneider hinzu. 

Seit einem Jahr prägen Kinder und Jugendliche auch seinen Berufsalltag, denn der 34-Jährige arbeitet hauptberuflich bei Pro Juventute als Regionalleiter Zentralschweiz.

Politisch denkt er über Generationsgrenzen hinweg. Schneider möchte nämlich künftig im Gemeinderat mit dem zunehmenden Graben zwischen Jung und Alt entgegenwirken. «Heute haben Jugendliche immer weniger Kontakt zu älteren Menschen – und umgekehrt», sagt Schneider und ergänzt: «Wir müssen den Zusammenhalt und das Verständnis zwischen den Generationen stärker fördern.»

Neben Beruf und Politik engagiert sich Schneider auch ehrenamtlich. Freiwilligenarbeit sei für ihn ein persönlicher Anspruch. «Ich möchte gerne einen Beitrag für unsere Gesellschaft leisten, weil es wichtig ist und ich die Möglichkeit dazu habe», erklärt er. So war der Gemeinderat bereits bei Organisationen wie Operation Libero oder dem Verein «Legal Help» aktiv, der mittellose Menschen bei der Ausübung ihrer Rechte unterstützt.

Warum sind Sie Gemeinderat geworden?

Ich war schon immer politisch interessiert und habe mich lange ausserhalb des Parlaments engagiert. Besonders die Zeit rund um die Masseneinwanderungsinitiative im Jahr 2014 hat mich geprägt. Da wollte ich nicht mehr länger «nur» darüber reden und mich ärgern, sondern selbst etwas beitragen. Ich bin daher der SP beigetreten, wo ich mich besonders für lokale Anliegen eingesetzt habe. 

Zur gleichen Zeit habe ich auch die Co-Leitung der Abstimmungskampagne für die «Ehe für alle» bei Operation Libero übernommen. Schliesslich wurde ich von meiner SP-Sektion angefragt, für den Gemeinderat zu kandidieren – so hat eins zum anderen geführt.

Welches Abstimmungsergebnis im Rat hat Sie am meisten gefreut?

Mich freut weniger das Ergebnis einzelner Vorstösse als das sozialpolitische Gesamtbild, das sich in der aktuellen Legislatur aus verschiedenen Puzzleteilen geformt hat. Gerade im sozialpolitischen Bereich konnten wir wichtige Fortschritte erzielen, beispielsweise beim Mindestlohn, bei der Qualität in Kitas oder bei den Energiekostenzulagen. 

Auch kleinere Verbesserungen, etwa Zuschüsse für ältere Menschen mit kleinem Einkommen oder neue soziokulturelle Angebote wie der Mädchen-Treff, sind wichtig. Zudem konnten wir gemeinsam mit anderen Parteien Vorstösse einreichen für den Ausbau der Jugendarbeit. Insgesamt sehe ich in der Stadt einen klaren Fortschritt in der Sozialpolitik, der mich sehr freut. Mit der kommenden Abstimmung zur städtischen Prämienvergünstigung geht es in diese Richtung weiter.

Welches hat Sie am meisten geärgert?

Die Abstimmung über die Entschädigungsverordnung, welche eine Erhöhung der jährlichen Entschädigung der Gemeinderät:innen vorsah. Im Gemeinderat wurde sie zwar angenommen, dann aber vom Volk abgelehnt. Das war eine Enttäuschung, denn ich sehe hier ein Demokratiedefizit: Wir haben ein Milizsystem, an dem aber fast nur die Privilegierten teilnehmen können. Die Belastung als Gemeinderatsmitglied ist inzwischen sehr hoch, wenn man effektiv mitarbeiten und sich einbringen möchte.

«Politische Niederlagen gehören einfach dazu – man kann nicht immer gewinnen.»

Ruedi Schneider, Gemeinderat

Wenn ich mir jetzt eine Person mit geringem Einkommen vorstelle, die vielleicht auch Care-Arbeit leistet, dann wird es schnell enorm herausfordernd sein, das mit einem politischen Mandat zu vereinbaren. Denn eine Reduzierung des Pensums kommt für diese Personen häufig nicht infrage. Deshalb wäre diese Anpassung wichtig gewesen, um politische Partizipation breiter zu ermöglichen. Es war enttäuschend, dass wir diesen Standpunkt nicht ausreichend vermitteln konnten.

Wie gehen Sie mit politischen Niederlagen um?

Ich glaube, politische Niederlagen gehören einfach dazu – man kann nicht immer gewinnen. Wenn man sich die verschiedenen Ebenen anschaut, dann gelingt es uns in der Stadt Zürich häufiger, Mehrheiten zu erreichen, als auf kantonaler oder nationaler Ebene. In der Stadt können wir viel gestalten und bewegen. Auf nationaler oder kantonaler Ebene sieht es jedoch anders aus. Dort gilt es oft Niederlagen zu akzeptieren, daraus zu lernen und weiterzumachen.

Mit welcher Gemeinderätin oder welchem Gemeinderat der politischen Gegenseite würden Sie gerne ein Getränk nach Wahl trinken?

Da bin ich sehr offen. Ich schätze den Austausch mit den verschiedensten Personen im Rat und lerne gerne eine andere Lebenswelt kennen – das ist total bereichernd. Im Moment sind wieder viele neue Gesichter nachgerückt. Ich werde in nächster Zeit versuchen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Sonst fällt mir spontan gerade Karin Stepinski (Die Mitte) ein. Wir waren gemeinsam in der Kommission, heute jedoch nicht mehr. Daher würde ich gerne mit ihr etwas trinken gehen, damit wir uns auch wieder einmal austauschen können.

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Minea Pejakovic

Nach der Ausbildung zur Kauffrau EFZ beim Sozialdepartement der Stadt Zürich folgte die Berufsmaturität an der KV Zürich mit Schwerpunkt Wirtschaft. Anschliessend Bachelorabschluss in Kommunikation und Medien mit Vertiefung Journalismus an der ZHAW. Erste journalistische Erfahrungen als Praktikantin in der Redaktion von Tsüri.

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