Gemeinderat beschliesst mehr Schutz für werdende Mütter
Schwangere städtische Mitarbeiterinnen erhalten künftig drei Wochen bezahlten Urlaub vor der Geburt, danach können sie ihr Arbeitspensum reduzieren. Gleichzeitig sorgt die Prämienentlastungs-Initiative für zusätzliche Unterstützung bei den Krankenkassenkosten.
Am Mittwochabend tagte wieder der Gemeinderat. Wer nichts verpassen wollte, musste viel Sitzfleisch mitbringen. Denn es wurde ausgiebig geredet, gestritten, gedrechselt.
Besonders präsent war Samuel Balsiger, SVP-Fraktionspräsident. Der amtierende Dauerredner im Gemeinderat könnte nach der gestrigen Sitzung seinen eigenen Rekord in der Anzahl der Wortmeldungen und der Gesamtdauer seiner Redebeiträge weiter ausbauen.
Doch nun zu den wichtigen Themen. Städtische Mitarbeiterinnen, die ein Kind erwarten, bekommen künftig drei Wochen bezahlten vorgeburtlichen Mutterschaftsurlaub, um sich besser auf die Geburt vorzubereiten. Nach der Geburt stehen ihnen weiterhin 16 Wochen Mutterschaftsurlaub zu.
Zudem können Eltern nach der Geburt oder Adoption ihr Arbeitspensum um 20 Prozent auf mindestens 60 Prozent reduzieren. Die Verwaltung praktiziert dies bereits, nun wird es offiziell gesetzlich verankert. So würden Eltern mehr Zeit für Familie und Erholung erhalten.
Die Vorlage geht auf Motionen von SP und Grünen zurück. «Die Anpassungen geben Familien Sicherheit und die Chance für mehr Gleichberechtigung, um Geschlechterrollen aufzubrechen», sagte Anna-Béatrice Schmaltz (Grüne). Ebenfalls würde sie den Eltern mehr Planungssicherheit geben. Auch Serap Kahriman (GLP) betonte die präventive Wirkung: weniger Stress, bessere Gesundheit für Mutter und Kind.
«Europaweit gesehen sind wir im Besenwagen.»
Stadtrat Daniel Leupi (Grüne)
Ganz anders sahen das die Bürgerlichen. «Das heutige System genügt», sagte Emanuel Tschannen (FDP). Wenn eine Frau nicht mehr arbeiten kann, bestehe bereits jetzt die Möglichkeit, ein Arztzeugnis zu erhalten. Die Stadt dürfe keine Sonderregelungen einführen, die ins Bundeszivilrecht oder Obligationenrecht gehörten. Auch ein städtischer Sonderweg führe zu einem «Urlaubsflickenteppich» und setze KMU unter Druck.
SVP-Fraktionschef Samuel Balsiger ging noch weiter: «Das ist ein Geschenk der Linken, das komischerweise immer vor Wahlen kommt.» Er stellte gar den Zusammenhang zwischen linker Politik und Wohlstand infrage: «Es gibt kein einziges Land, wo linke Politik macht, wo Wohlstand herrscht.»
(Kurze Einordnung: Offizielle OECD-Daten zeigen das Gegenteil. Gerade die nordischen Wohlfahrtsstaaten – Norwegen, Schweden, Dänemark und Finnland – gehören zu den reichsten Ländern der Welt. Sie kombinieren hohe Sozialausgaben von über 25 bis 30 Prozent des BIP mit stabilen Wirtschaften und hoher Lebensqualität.)
Auch die Mitte-/EVP-Fraktion unterstützte die Weisung. «Wir leben im Jahr 2025, da ist es durchaus angebracht, dass man schwangere Frauen unterstützt», sagte Karin Stepinski. Moritz Bögli, AL, betonte, dass Care-Arbeit noch immer hauptsächlich von Frauen übernommen werde. Der Stadtrat solle Lösungen erarbeiten, damit auch Männer mehr Teilzeit arbeiten und Care-Arbeit übernehmen könnten.
Stadtrat Daniel Leupi (Grüne) betonte, die Vorlage fordere moderate Anpassungen. In allen EFTA-Ländern gibt es bereits einen vorgeburtlichen Mutterschaftsurlaub, die Schweiz hinke hinterher. Leupi sagte: «Europaweit gesehen sind wir im Besenwagen.»
Dem Änderungsantrag wurde zugestimmt. Die Vorlage geht nun in die Redaktionskommission.
Zürcher Gemeinderat debattiert über Prämienentlastungs-Initiative
Im Zürcher Gemeinderat stand die Volksinitiative «Zur Entlastung der Bevölkerung von steigenden Krankenkassenprämien» zur Diskussion. Sie verlangt, dass die Stadt jährlich 60 Millionen Franken auszahlt, um Haushalte mit tiefem und mittlerem Einkommen zu entlasten. Pro Person soll es maximal 500 Franken im Jahr geben. Der Stadtrat erklärte die Initiative für gültig, empfahl aber ihre Ablehnung. Sozialvorsteher Raphael Golta (SP) nannte die Kosten zu hoch und legte einen Gegenvorschlag vor.
Dieser Gegenvorschlag sah Zuschüsse von 20 Millionen Franken vor und will nur einkommensschwache Familien unterstützen, die seit mindestens zwei Jahren in der Stadt wohnen. Die Höhe richtet sich nach der Differenz zwischen Zürcher Durchschnittsprämien und den günstigsten Prämien im Kanton. Wer eine tiefere Franchise wählt, soll mehr erhalten. Der Stadtrat könnte die Beiträge kürzen oder aussetzen, wenn die Finanzen es erfordern.
SP-Gemeinderätin Hannah Locher verteidigte die Initiative. In den letzten zwanzig Jahren hätten sich die Prämien fast verdoppelt. Heute zahle eine erwachsene Person in Zürich rund 7300 Franken pro Jahr – unabhängig vom Einkommen. Die bisherigen Verbilligungen reichten nicht, eine zusätzliche Entlastung sei nötig.
«Wenn die Stadt Zürich ein eigenes System aufzieht, entsteht nichts anderes als Doppelspurigkeiten, Ineffizienzen und ein Kompetenzübergriff.»
Marita Verbali (FDP)
Die AL forderte, die Hilfen stärker auf armutsbetroffene Haushalte zu konzentrieren. Statt breite Zuschüsse auszuschütten, solle die Stadt bis zu 75 Prozent der Prämien für jene übernehmen, die am stärksten leiden. Moritz Bögli (AL) nannte den Gegenvorschlag des Stadtrats zwar «zu eingeschränkt», lobte aber die Idee einer abgestuften Zulage. Die GLP unterstützte die Kosten von 20 Millionen, lehnte jedoch die Abstufung nach Franchise ab. Die Wahl der Franchise sei Eigenverantwortung, deshalb solle jeder gleich viel bekommen, sagte Ronny Siev (GLP).
Weitere Kritik kam von der Mitte/EVP und der FDP. Marita Verbali (FDP) erinnerte daran, dass Bund und Kanton für Prämienverbilligungen zuständig seien. Familien erhielten schon heute Unterstützung, zusätzliche städtische Zahlungen würden Doppelspurigkeiten schaffen und die Stadtfinanzen belasten. Zudem hätten Volk und Kanton frühere Vorlagen abgelehnt. Die SP versuche, diesen Volksentscheid auf städtischer Ebene zu umgehen. Das sei demokratiepolitisch fragwürdig, sagte sie.
Die Grünen hingegen stellten sich hinter die Initiative. Anna-Béatrice Schmaltz forderte mehr Mittel und verwies auf soziale Gerechtigkeit: «20 Millionen reichen nicht.»
Für Unruhe sorgte ein taktisches Manöver der SP. Die Sozialkommission hatte einen Kompromiss zwischen Initiative und Gegenvorschlag ausgearbeitet. Kurz vor der Sitzung kündigte die SP jedoch an, diesen Vorschlag zu kippen, um den Gegenvorschlag des Stadtrats zu blockieren. Vertreter:innen von Grünen und AL reagierten verärgert. Am Ende blieb die Linke gespalten, die Bürgerlichen lehnten zusätzliche Zahlungen mehrheitlich ab. Durchgesetzt hat sich die SP: Zur Abstimmung kommt nur ihre Initiative – ohne Gegenvorschlag.
Weitere Themen aus dem Rat
Stadt unterstützt Kiosk auf der Josefwiese: Nach dem Brand im Juni kann der historische Kiosk auf der Josefwiese noch immer keine Gäste empfangen. Der Verein nutzt darum ein Provisorium im Viaduktbogen, das aber den regulären Betrieb nicht ersetzt und Einnahmen für soziale Angebote fehlen lässt.
Deborah Wettstein (FDP) sagte: «Seit der Kiosk fehlt, gibt es mehr Vandalismus, herumliegenden Abfall, auch Drogenkonsumierende auf der Josefwiese.» Darum fordert die FDP unbürokratische Hilfe, etwa temporären Mietverzicht, Gebührenerlass und schnellere Bewilligungen für Ersatzbauten. SVP und Grüne lehnten ab, SP, AL, Mitte/EVP-Fraktion unterstützten das Anliegen. Mit 77 Ja- zu 27 Nein-Stimmen wurde das Postulat angenommen.
Energiekostenzulagen in Zürich: Der Gemeinderat diskutierte über die Energiekostenzulagen anhand eines Berichts für die Jahre 2023 bis 2025. Der Bericht zeigt, wie viele Haushalte von der Zulage profitiert haben. Laut Moritz Bögli (AL) erhielten 2023 fast 17'000 Haushalte insgesamt 13 Millionen Franken. Dies lag deutlich unter den ursprünglichen Schätzungen, weshalb Massnahmen ergriffen wurden, um die Zahl der Gesuche zu erhöhen – was erfolgreich war: 2024 meldeten 7'000 Haushalte mehr Anspruch auf die Zulage an.
SVP-Gemeinderat Samuel Balsiger bezeichnete die Zahlungen erneut als «Geschenke», FDP und GLP sprachen sich für eine Verlängerung des Postulats um ein Jahr aus, um genauere Ergebnisse zu erhalten. SP und EVP stimmten dem Bericht und der Abschreibung des Postulats zu, während die Grünen die Notwendigkeit nachhaltiger Energiepolitik betonten. SP-Stadtrat Rafael Golta erläuterte, die Energiekostenzulagen seien eine effiziente und schlanke Lösung, die Menschen mit tiefem und mittlerem Einkommen entlaste, ohne den individuellen Energieverbrauch zu belohnen. Der Bericht wurde schliesslich zur Kenntnis genommen, das Postulat abgeschrieben.
Vom Politiker zum Landwirt: Matthias Probst sass fast 20 Jahre für die Grünen im Zürcher Gemeinderat. Er war bekannt für sein provokantes Auftreten: T-Shirt, Cargohose, Pferdeschwanz anstelle von Anzug und Krawatte. Er setzte sich unter anderem für autofreie Städte, Gratisveloabstellplätze und Klimaschutz in der Landwirtschaft ein. Nach seinem Rücktritt zog er mit seiner Familie auf den Bauernhof seiner Grosseltern im Zürcher Oberland, um dort als Landwirt Gemüse und Wein anzubauen. Redaktorin Nina Graf hat ihn dort besucht. Probsts Markenzeichen bleibt Pragmatismus: «Niemand trägt mehr eine Krawatte.»
Nachrücken im Gemeinderat Zürich: David Ondraschek (Die Mitte) tritt per 30. August aus dem Gemeinderat zurück. Vier Ersatzkandidierende der Mitte lehnten das Mandat ab. Somit rückt Loïc Hurni nach und übernimmt den Sitz bis zum Ende der Amtsdauer 2022 bis 2026.
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Bachelorstudium der Psychologie an der Universität Zürich und Masterstudium in politischer Kommunikation an der Universität von Amsterdam. Einstieg in den Journalismus als Redaktionspraktikantin bei Tsüri.ch. Danach folgten Praktika bei der SRF Rundschau und dem Beobachter, anschliessend ein einjähriges Volontariat bei der Neuen Zürcher Zeitung. Nach einigen Monaten als freie Journalistin für den Beobachter und die «Zeitung» der Gessnerallee seit 2025 als Redaktorin zurück bei Tsüri.ch.