Baustellenfrust in Zürich: Lokales Gewerbe kämpft mit Einnahmeeinbussen
Überall in der Stadt werden Strassen für den Fernwärme-Ausbau aufgerissen. Darunter leidet vor allem das ansässige Gewerbe. Nun will die FDP einen Vorstoss zur Unterstützung der Kleinunternehmen einreichen.
«Hast du gehört, die Oski Bäckerei muss wahrscheinlich bald schliessen.» Solche Aussagen hört man immer wieder. Kleine Nischengeschäfte, die sich in Krisenzeiten nicht über Wasser halten können, sind keine Seltenheit. In der Stadt Zürich wird zurzeit an zahlreichen Stellen gebaut. Unter diesen Baustellen leidet das Gewerbe, denn die Kundschaft bleibt aus. Nun wird die Zürcher FDP aktiv und plant, im Gemeinderat einen Vorstoss einzureichen, die finanzielle Unterstützung für Kleinunternehmen fordert.
Geschäfte an der Wildbachstrasse am Anschlag
An der Wildbachstrasse im Seefeld wird zurzeit gebaut, und zwar so richtig. Die Stadt reisst die Strasse auf, verlegt Fernwärmeleitungen und flickt dann alles wieder zusammen. Begonnen hat der Umbau letzten Herbst, enden wird er voraussichtlich im Herbst 2024. Ein langes Jahr für die betroffenen Geschäfte.
Karin Müller, Geschäftsführerin des Kleidergeschäfts «ANDERSWO», erzählt von Herausforderungen, mit denen sie seit letztem Herbst zu kämpfen hat. Es sei extrem, wie die Kundschaft zurückgegangen sei, vor allem als die Parkplätze vor dem Geschäft abgesperrt gewesen seien. Die Kundschaft habe kaum Möglichkeit gehabt zu parkieren, so Müller. Das Kleidergeschäft sei glücklicherweise nicht ihre Haupteinnahmequelle, ansonsten wäre sie definitiv um ihre Existenz besorgt.
Auch das 30 Jahre alte Coiffeurgeschäft «CUTs» ist im Epizentrum der Baustelle. Im Salon hört man den Baulärm und die Geschäftsleiterin Nicole Waser muss laut sprechen, damit man sie versteht. «Wenn man bedenkt, was die Stadt für ein Taylor Swift Konzert ausgeben kann, kommen bei mir Fragen auf», so Walser.
Die Coiffeuse erzählt, dass sie eine Mietzinsreduktion beantragt habe, jedoch abgewiesen worden sei. Sie fühle sich von der Stadt Zürich nicht wertgeschätzt. «Es vermittelt mir das Gefühl, dass es der Stadt egal ist, wie es kleinen Geschäften wie uns geht», sagt Walser.
Dass der Umbau nötig und die Fernwärme sinnvoll ist, bezweifelt die Geschäftsleiterin nicht. Ihr sei bewusst, dass es solche Veränderungen braucht. Sie sei froh, habe sie Kundschaft über 30 Jahre hinweg gepflegt und daher nicht viele Stammkund:innen verloren. Jedoch könne sie es kaum erwarten, bis wieder Normalität einkehre, sagt Walser.
Bei dem Apart-Hotel um die Ecke ist aufgrund des Taylor Swift Konzerts viel los. Der Familienbetrieb habe seit Wochen wieder einmal alle Zimmer besetzt, erzählt Sylvia Hugenschmidt, Geschäftsleiterin des Hotels. Die letzten Monate sei jedoch überhaupt nichts gelaufen, da sich die Baustelle unmittelbar vor der Eingangstür befindet. Baustellenlärm sei das Aus für ein Hotel. «Die Gäst:innen wollen sich entspannen und nicht am Morgen von einer Bohrmaschine geweckt werden», so Hugenschmidt.
Fernwärme und Baustellen für alle
Gebaut wird aus den unterschiedlichsten Gründen. Einer davon ist, dass man in Zukunft vermehrt auf Fernwärme setzt. So sollen Wärmeüberschüsse aus grossen Energie und Kehrichtverbrennungsanlagen für die Beheizung von Siedlungen genutzt werden. Eine sinnvolle Lösung, um Energie wiederzuverwenden. Wer mit Fernwärme heizt, nutzt hauptsächlich erneuerbare Energieträger und Abwärme. So verursachen Fernwärmenetze kaum wärmebedingte CO2-Emissionen.
Auch wenn die Zürcher Stimmbevölkerung dem Ausbau der Fernwärme in mehreren Volksabstimmungen zugestimmt hat, leiden betroffene Geschäfte darunter. Oft fehlt wie bei den Kleinunternehmen an der Wildbachstrasse die Laufkundschaft. Viele fühlen sich von der Stadt Zürich alleingelassen.
Gemäss Sabina Mächler, Sprecherin des Tiefbauamts der Stadt Zürich, wird das Gewerbe frühzeitig über die Baustellen informiert: «Gewerbe erhalten sechs Monate im Voraus ein Schreiben mit Informationen zur Baustelle, sie können sich in dieser Zeit beim Tiefbauamt der Stadt Zürich melden», so Mächler.
Der Umbau von Strassen sei alle paar Jahrzehnte nötig und treffe jede:r irgendwann, schlussendlich würden die Gewerbe dann ja auch von der neuen Infrastruktur profitieren. Ausserdem müsse jedes Kleinunternehmen auf solche Zeiten vorbereitet sein und dementsprechend etwas auf der Seite haben, so Mächler.
FDP plant Vorstoss
Der Aussage «Vorbereitung ist alles» stimmt die Stadtzürcher FDP nicht zu. Finanzielle Unterstützung für das Kleingewerbe sei dringend notwendig. Dies fordert die Partei im geplanten Vorstoss. Die Unterstützung soll nur für Unternehmen bis zu 50 Mitarbeitenden gelten, welche auf Laufkundschaft angewiesen sind. Sie sollen die Einbussen, die sie aufgrund der Baustelle gemacht haben, zu einem gewissen Teil zurückerhalten.
Parteipräsident Përparim Avdili hat eine klare Meinung dazu: Kleinere Unternehmen hätten kaum die Möglichkeit, sich gegen so einen Umbau zu wehren. Sie könnten im Vorhinein Einsprache erheben, jedoch ist der Grund, keine Baustelle vor dem Geschäft haben zu wollen, nicht genug. Sanierungen oder auch die Installation von Fernwärmerohren seien nötig und es gebe immer «Leidtragende», sagt Avdili. Diesen soll der geplante Vorstoss unter die Arme greifen.
Auch die SP sucht nach Lösungen
Für finanzielle Unterstützung ist auch die Stadtzürcher SP, wie deren Co-Fraktionschef Florian Utz auf Anfrage mitteilt. Es bestehe schon heute ein gesetzlicher Anspruch auf Entschädigung durch die Stadt, wenn ein Gewerbe existenziell bedroht sei. Jedoch befürworte die SP Ausgleichszahlungen, welche über die heutigen gesetzlichen Vorgaben hinausgehen würden. Das Kleingewerbe solle auch unterstützt werden, wenn nicht gerade die Existenz auf dem Spiel stehe.
«Wichtig ist, dass die Entschädigung rasch und unbürokratisch abläuft, sodass den Gewerbetreibenden weder ein grosser zeitlicher Aufwand, noch Kosten für Rechtsberatung entstehen», so Utz. Der Aufbau des Fernwärme-Netzes beruhe auf mehreren Volksentscheidungen und sei für den Klimaschutz wichtig. Auch bringe dieser Aufbau dem lokalen Baugewerbe zahlreiche Aufträge, sagt der SP-Politiker.
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