Jede dritte Fachperson Betreuung verlässt den Job: Drei Kita-Mitarbeiterinnen erzählen

Fast jede:r dritte:r Kita-Mitarbeiter:in verlässt die Branche. Drei Betreuerinnen erzählen, warum sie unter diesen Umständen nicht mehr im Beruf bleiben wollen.

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Alle drei Betreuerinnen erzählen von Stress, Überforderung und Krankheitsausfällen im Kita-Alltag. (Bild: unsplash)

Laut der Umfrage von Kibesuisse, dem Verband Kinderbetreuung Schweiz, verlassen 30 Prozent aller Kita-Mitarbeitenden den Beruf wieder. Für Zürcher Kitas, die bereits stark vom Personalmangel betroffen sind, ist dies verheerend. Woher soll das neue Personal kommen und wie können sich die Arbeitsbedingungen verbessern?

Laut Maximiliano Wepfer, dem Kommunikationsverantwortlichen von Kibesuisse, muss sich dringend etwas ändern. Das Ausmass der Problematik widerspiegle sich auch in den Jobportalen: 2022 hatten 95 Prozent aller Kitas in der Schweiz mindestens eine offene Stelle, die sie nicht besetzen konnten.

Drei Zürcher Fachfrauen Betreuung (FaBe EFZ) berichten aus ihrem Alltag in der Kita. Sie schildern, was ihnen besonders schwerfällt und warum sich die Arbeitsbedingungen ändern müssen.

Lara Visini: Bisschen Kinderhüten können alle

Für Lara Visini ist die fehlende Wertschätzung eines der Hauptprobleme. Wie oft man als FaBe belächelt werde, sei unglaublich. «Ich habe Kommentare wie ‹ein bisschen Kinderhüten können doch alle› satt», sagt Visini. Die 23-Jährige beginnt nächste Woche mit dem Logopädie-Studium – die Arbeit als FaBe lässt sie hinter sich. Verkürzte Pausen, Personalmangel und Stresssituationen im öffentlichen Verkehr seien Alltag gewesen. «Unter diesen Arbeitsbedingungen kann und will ich nicht mehr in der Kinderbetreuung arbeiten», sagt sie zu ihrem Berufswechsel.

Visini erinnert sich an eine Situation im Tram: «Ein älterer Mann schnauzte uns an, dass wir die Kinder nicht unter Kontrolle hätten und viel zu laut seien.» Solche Reaktionen würden die Arbeit zusätzlich erschweren. Es fühle sich oft so an, als hätten viele vergessen, wie es war, selbst ein Kind zu sein.

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Lara Visini hat nach der Lehre die Erwachsenen Matura gemacht, um die Branche wechseln zu können. (Bild: Anna Pfister)

Dass auch die Stimmung unter den Mitarbeitenden oft angespannt sei, habe sie in vielen Zürcher Kitas erlebt. Sie habe einige Zeit temporär gearbeitet und dadurch Einblick in viele Betriebe erhalten. «Bei solch einem Stress einen wertschätzenden Umgang miteinander zu pflegen, ist für viele schwer.» Sie habe oft unter dem rauen Umgangston gelitten, auch das sei einer der Gründe, warum sie den Kita-Alltag hinter sich lasse. 

Dass 30 Prozent den Beruf verlassen, überrascht Visini nicht. «Es tut mir leid für diejenigen, die gerne wechseln würden, es aber aufgrund von Lebensumständen nicht können.» Sie habe das Privileg, noch ein Studium machen zu können. Aber wenn sie sich vorstelle, FaBe bleiben zu müssen, wäre das für sie extrem belastend. Ihr Lohn von circa 4500 Franken brutto sei enttäuschend, wenn man ihn mit anderen Berufslehren vergleiche. «Mit diesem Lohn wird der Beruf definitiv nicht attraktiver.»

Das muss sich verändern

Laut Maximiliano Wepfer muss sich die Lohnsituation der Betreuer:innen ändern. Denn Kibesuisse geht davon aus, dass die Umfrageergebnisse auf den tiefen Lohn, die langen Arbeitszeiten, den hohen Lärmpegel und unzureichend ausgebildetes Personal zurückzuführen sind. 

Der Verband fordert daher dringend politische Massnahmen. Neben einer Anpassung des Lohns sollen auch Praktikant:innen und nicht ausgebildetes Personal nicht mehr in den Betreuungsschlüsseln berücksichtigt werden. Dies erfordere laut Wepfer gesetzliche Vorgaben und eine nachhaltige Finanzierung. Laut der 
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gibt die Schweiz bisher weniger als 0,1 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts für die Finanzierung familienexterner Betreuungsstrukturen aus, was im Vergleich zu den meisten europäischen Ländern sehr gering sei.

Der Verband hat es sich zum Ziel gemacht, dass bis 2030 50 Prozent der Mitarbeitenden in Kitas einen höheren Abschluss machen. Dies soll dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Erfahrungen aus Städten wie Neuenburg und Lausanne würden zeigen, dass der Einsatz von besser ausgebildetem Personal zu besserer Qualität, weniger Burnout und weniger Personalwechsel führe. 

Diese Ziele stehen aktuell im Kontrast zur Realität. Obwohl alle zwölf stadteigenen Kitas derzeit ihre Stellen besetzt haben, würden sie den Fachkräftemangel spüren, heisst es bei der Stadt auf Anfrage. Dass Bewerbungen deutlich länger online bleiben als früher, sei zu beobachten. Auch die private Kindertagesstätte Globegarden berichtet, dass sie den Fachkräftemangel registrieren, wenn auch je nach Kanton unterschiedlich ausgeprägt. Ähnlich sieht es bei der Güxi-Kette aus: Man sei stark vom Personalmangel betroffen und die Mitarbeitenden seien stark belastet.

Linda Gonzalez: Personalmangel führt zu mehr Unfällen

Linda Gonzalez heisst eigentlich anders. Sie will anonym bleiben, da sie ihren Arbeitsort nicht in ein schlechtes Licht rücken will. Dass sich an der Kita-Situation etwas ändern muss, ist für die 24-Jährige klar. 

Seit 2016 arbeitet Gonzalez in derselben Kita in Zürich als FaBe. Sie hat mit einem Praktikum angefangen, danach die Lehrstelle bekommen und nun arbeitet sie als ausgelernte Fachkraft.

Der Grund, warum sie noch immer am gleichen Ort arbeite, sei jedoch nicht, weil es der perfekte Arbeitsplatz für sie sei. Nein, Gonzalez betont, dass sie sich täglich extrem ausgelaugt fühle. Es sei mehr ihr Verantwortungsgefühl, das sie zum Bleiben bewege – Verantwortung den Kindern gegenüber, die auf gute Betreuung angewiesen sind. Gut ausgebildetes Personal gebe es viel zu wenig.

Als ausgebildete Betreuungsperson sei es keine Seltenheit, dass man, wenn jemand krank wird, noch eine zweite Gruppe übernehmen müsse. «Krankes Personal gehört zur Tagesordnung.» Vor allem in den letzten Jahren habe das in ihrem Betrieb deutlich zugenommen.

«Klar, der Lohn ist nicht gut. Aber wenn wir einfach mehr Personal wären, wäre ich zufrieden.»

Linda Gonzalez

Auch die Unfallquote unter den Kindern steige enorm. Verletzungen passierten deutlich öfter, wenn weniger Personal da sei. «Letztens, als wieder alles drunter und drüber ging, stieg ein Kind auf einen viel zu hohen Tisch.» So etwas dürfe nicht passieren. Eltern geben ihre Kinder im Vertrauen ab, und die Grundbedürfnisse zu stillen, sei das Mindeste.

Die vielen Krankmeldungen machen das Planen extrem schwierig. Dass sich etwas ändern muss, liegt für Gonzalez auf der Hand. Was genau, finde sie jedoch schwer zu sagen. «Klar, der Lohn ist nicht gut – ich verdiene mit allen Abzügen 4100 Franken netto. Aber wenn wir einfach mehr Personal wären, wäre ich zufrieden. Doch woher sollen diese Leute kommen?», fragt sich Gonzalez.

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Zwei Fachpersonen auf zwölf Kinder: Das ist zu wenig, bemängelt Javeria Chima. Sie selbst ist für acht Babys zuständig. (Bild: unsplash)

Javeria Chima: Würde eine andere Lehre machen

Javeria Chima arbeitet bereits seit acht Jahren als FaBe mit Kleinkindern. «Es gibt nichts Schöneres, als Kinder bei ihren Fortschritten zu beobachten», sagt Chima. Sie arbeitet zu 100 Prozent in einer Kita in Zürich. Auch sie spürt den Personalmangel täglich: Für zwölf Kinder sind zwei Fachpersonen vorgesehen. Auf alle individuellen Bedürfnisse einzugehen, sei dabei unmöglich.

«Als ich noch in der Lehre war, war das Betreuungspersonal pro Kind doppelt so hoch», erinnert sie sich. Es müsse sich dringend etwas ändern, doch mehr Personal einzuplanen, sei nicht so einfach, wenn keine Fachkräfte verfügbar sind.

Zurzeit ist Chima für acht Babys zuständig – «eine wunderschöne Arbeit», schwärmt sie. Doch: «Das Schlimmste ist, das Gefühl zu haben, den Kindern nicht gerecht zu werden.» Hätte sie gewusst, was es bedeutet, unter diesen Bedingungen Fachfrau Betreuung zu sein, hätte sie einen anderen Beruf gewählt, sagt Chima.

Auch sie überlegt sich einen Wechsel vorzunehmen, da sie sich zunehmend erschöpft fühlt. «Entweder einen anderen Job oder das Arbeitspensum reduzieren», sagt Chima. Was sie sonst interessieren könnte, wisse sie noch nicht, aber eines ist ihr klar: Unter den aktuellen Bedingungen wird sie ihren jetzigen Beruf nicht mehr lange ausüben.

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