Wie ein Schlossbesitzer im Kreis 4 ein Haus für 12 Millionen verkaufen will
Ein Haus am Helvetiaplatz für 12 Millionen, eine nachlässige Verwaltung und ein Eigentümer, der fernab in seinem Schloss lebt. Eine Stadtzürcher Immobiliengeschichte, die beispielhaft für eine Systemkrise steht.
Mit ganzer Kraft muss man sich gegen die Haustüre werfen, um ins Haus zu kommen. An den Decken hat es dunkle Wasserflecken, einige Rollläden sind seit Jahren defekt. Alle paar Monate kommt ein Hauswart, ersetzt Kochherde, flickt Geschirrspüler oder entfernt Schimmel. Er alleine ist für hunderte weitere Wohnungen zuständig. An sich ist das alles nicht aussergewöhnlich. In der Stadt Zürich gibt es etwa so viele unseriöse Immobilienverwaltungen wie Secondhandläden. Aussergewöhnlich jedoch ist das Verkaufsinserat. Für die Immobilie mit Baujahr 1898 verlangt der Besitzer 12 Millionen Franken.
Das Haus mit acht Wohnungen und zwei Ladenflächen steht an der Stauffacherstrasse 102 am Helvetiaplatz. Strassenseitig hat es einen kleinen Lebensmittelladen mit einer Obst- und Gemüseauslage. Im Laden herrscht am Nachmittag Hochbetrieb. Eine Frau kauft Haargel, frische Petersilie und eine Packung Kaugummi. Die Kundschaft spricht Englisch, Tamilisch oder Spanisch. Während der Inhaber für einen Kunden Bananen einpackt, erzählt er, dass er bereits seit 30 Jahren in dem Haus wohne, den Laden führe er seit 20 Jahren.
Die meisten Bewohner:innen leben gerne hier, die Mieten seien bezahlbar, die Lage im Kreis 4 einmalig. Sowohl die Mieter:innen als auch der Ladenbesitzer zeigen sich unbesorgt über ihre Zukunft an der Stauffacherstrasse. Das Wohnhaus sei schon länger ausgeschrieben und der Preis «gspunne», meint ein Anwohner. Lediglich die Fassade sei saniert worden, damit es von Aussen gut aussehe, aber innen drin sei alles uralt. Für 12 Millionen Franken würde das Haus doch niemand kaufen. Oder?
Ein Selfmademan, der nicht erreichbar sein will
Ganz anders sieht das Bruno Meierhans. In den 80er-Jahren kaufte Meierhans das Haus an der Stauffacherstrasse. Monate-, gar jahrelang habe er Farbe eigenhändig abgebeizt, Platten verlegt und Wände gestrichen. Wenn der 73-Jährige davon erzählt, kommt er ins Schwärmen. Seine Geschichte ist die eines typischen Selfmademans. Mit 24 steckte er all sein Geld in ein kleines Haus, setzte es instand und verkaufte es anschliessend wieder. Sein ganzes Leben lang war er täglich auf der Baustelle und arbeitete an seinen Immobilien. Wenn er nach einem langen Arbeitstag nach Hause kam, habe er dann noch stundenlang mit seinen Mieter:innen telefonieren müssen. Seine Frau hätte sich teilweise den ganzen Tag am Telefon mit den Wünschen der Bewohner:innen herumschlagen müssen.
Dem Ehepaar wurde die aufwendige Kommunikation mit der Mieterschaft irgendwann zu viel und sie richteten einen Telefonbeantworter ein. Wer sie erreichen wolle, solle dies schriftlich per Fax oder über ihr Postfach tun. Auch heute noch verweigert das Tonband jegliche Kontaktaufnahme.
«Man muss halt rational und schnell arbeiten», beschreibt Meierhans seine Einstellung als Hauseigentümer. Er bewahrt jedoch lieber historische Fenster als die Rechte seiner Mieter:innen. Irgendwann hätten seine Kinder die Verwaltung weiterführen sollen. Aber sie liessen es schleifen. Wohnungen standen über Monate leer und es kümmerte sich erst recht niemand mehr um die Mieter:innen. Nur per eingeschriebenem Brief konnte man die «Meierhans Verwaltung» kontaktieren. Auf Google schreibt ein unzufriedener Bewohner einer anderen Liegenschaft: «Die sogenannte Verwaltung will nicht erreichbar sein.»
Schliesslich übergab Bruno Meierhans die Verwaltung einer externen Firma, um sich ganz seinem neuesten Projekt zu widmen. Meierhans besitzt nun ein historisches Schloss in der Nähe von Neuenburg, das er mit seiner zweiten Frau und seinen zehn Hühnern bewohnt. Für das Haus an der Stauffacherstrasse hat er somit keine Zeit mehr. Auch wenn ihm die antiken Türen und Holzbalken am Herz liegen, für 12 Millionen will er all das seit gut einem Jahr verkaufen.
Die mit dem Verkauf beauftragte Immobilienfirma hat ein Verkaufsdossier zusammengestellt, das voller Fehler ist. Das angepriesene Renditeobjekt sei in einem guten Zustand, «da es laufend mit Sorgfalt geplagt und unterhalten wurde».
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Immobilien zu Fantasiepreisen
Für Thomas Hardegger ist klar: Ein solches Angebot diene weder der Gesellschaft noch der Stadt. Hardegger ist Vizepräsident von Casafair, einem Wohneigentümer:innen-Verband, der solche hochspekulativen Praktiken ablehnt.
«Es braucht dringend Instrumente, um das zu unterbinden.»
Thomas Hardegger, Vizepräsident Casafair
Der Preis sei überrissen. Beim jetzigen Mietzins müssten die Mieten mindestens um das 1.7-fache steigen. Eine 4.5-Zimmerwohnung für 2500 Franken würde dann mindestens 4250 Franken monatlich kosten.
Hardegger plädiert dafür, dass Eigentümer:innen ihre gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen. Doch in der Schweiz gelte das verfassungsmässige Recht auf Eigentumsgarantie, womit Immobilienbesitzer:innen ihre Häuser zu Fantasiepreisen an jene verkaufen dürfen, die sich das leisten können. Der überrissene Kaufpreis führe automatisch zu überteuerten Mieten.
Von einem Fantasiepreis kann man sprechen, wenn man bedenke, wie alt das Gebäude ist und nach einer aufwendigen Sanierung würden die Mieten dann nochmals steigen, meint der Immobilienspezialist. «Es braucht dringend Instrumente, um das zu unterbinden.»
«Das ganze Leben lohnt sich nicht»
Wenn das Haus für 12 Millionen verkauft werden soll, müsste der Mietzins also zwingend steigen. Dies wäre aber nur bei einer Leerkündigung der Mieterschaft mit anschliessender Totalsanierung möglich. Doch Meierhans ist sich sicher: «Das Haus ist saniert, da muss man nichts machen.» Wenn es nach ihm gehe, würde er höchstens die Wände neu streichen. Alles andere wäre schade um die antike Bausubstanz.
Bruno Meierhans weiss, dass er monatlich für jede Wohnung auch 500 Franken mehr verlangen könnte. Doch er ist nicht darauf angewiesen. Nach eigenen Angaben besitze er Immobilien im Wert von 100 Millionen Franken und verdiene mit den Mieterträgen genug Geld. Er wohnt in einem Schloss umgeben von Wasser, Zypressen, mehreren Luxusautos und einem eigenen kleinen Wald. In seiner Festung kann er sich zurückziehen – weit weg vom Alltag gewöhnlicher Mieter:innen. Die Frage, wie sich ein Kauf von 12 Millionen lohnen soll, ohne dass die jetzige Mieterschaft vertrieben wird, beantwortet der 73-Jährige geheimnisvoll: «Das ganze Leben lohnt sich nicht.»
Für Meierhans selbst gilt diese Weisheit jedoch nicht. Er scheint alles richtig gemacht zu haben. Auch kann man ihm lediglich vorwerfen, dass ihm antike Türen wichtiger seien als seine Mieterschaft. Er lebt in seinem Schloss und verweigert den direkten Kontakt zu jenen Menschen, die mit ihren Mieten seinen Lebensunterhalt finanzieren.
Der Hausbesitzer muss nicht an sie denken und sich auch nicht mit ihnen solidarisieren. Für ihn ist der Immobilienmarkt ein Kapitalmarkt und mit dem Preis herunterzugehen keine Option. Er hat Zeit und Geduld. Den Preis von 12 Millionen wird früher oder später jemand mit genug Willen zur Renditemaximierung bereit sein zu bezahlen. Bis dahin kann Meierhans in Ruhe einen neuen Stall für seine Hühner errichten.